von Kathrin Zellweger (1948-2019), 12.07.2011
Die Demokratischen Kunstwochen in Pfyn mit DREI FRAGEN AN ... Alex Meszmer
Demokratische Kunstwochen. Der Titel tönt nach Volksnähe und Schulterschluss, insinuiert Allgemeingut, klingt nach Anpassung und Mittelmass. Nach Biederkeit und Beliebigkeit gar? Erklärung tut Not. Ein Gespräch mit den Initianten Alex Meszmer und Reto Müller sowie mit den beiden „demokratischen Künstlerinnen“ Eva Paulitsch und Uta Weyrich, die in Pfyn als Artists in Residence gearbeitet haben.
Kathrin Zellweger
Es ist die Stärke von Alex Meszmer und Reto Müller, den beiden Vätern der Demokratischen Kunstwochen in Pfyn 2011/12, dass sie eine einmal gefasste Idee und ein einmal entwickeltes Projekt nicht einfach umsetzen und auf das Echo der Kunstwelt und der Kulturinteressierten hoffen. Wohlwollend und selbstverständlich setzen sie sich dafür ein, dass ein Titel mit Inhalt gefüllt und dieser Inhalt bei möglichst vielen Menschen auf Resonanz stösst.
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Demokratisch wollen die beiden Pfyner Kuratoren ganz wörtlich verstanden haben: Zustimmung und Beteiligung der Bevölkerung. Also Kunst zum Volk bringen, damit sich jede Frau und jeder Mann potentiell am Kunstschaffen beteiligen kann – und will. Dass diese Ansicht dem kommerzialisierten, rückwärtsgewandten Kunstbegriff, der sich seit dem 19. Jahrhundert hartnäckig hält, zuwider läuft, versteht sich von selbst. Es steht also die Frage zuoberst: Wie muss Kunst aussehen, damit sie Leben nicht abbildet oder interpretiert, sondern selbst das Lebensprinzip ist?
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Um dies herauszufinden, haben Mezsmer/Müller zehn Künstlerinnen und Künstler, beziehungsweise Künstlerduos in den zeitgarten.ch und das Transitorische Museum zu Pfyn nach Pfyn zu den Demokratischen Kunstwochen eingeladen. Der gemeinsame Nenner der nationalen und internationalen Kunstschaffenden, die ins kleine Thurgauer Dorf kommen, ist, dass sie als Aussenstehende mit der und für die Pfyner Bevölkerung Projekte entwickeln. Dieser partizipative, nicht-hierarchische Zugang zu Kunst schafft Ungewohntes, das wenn möglich über die Region hinausstrahlt und weiter wächst.
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Bis vor kurzem waren Eva Paulitsch und Uta Weyrich die Künstlerinnen in Residence. Die Stuttgarterinnen haben ihren Fokus auf Jugendliche gelegt. Ihre Frage: Wie müsste Kunst aussehen, wenn sie das Lebensprinzip der jungen Menschen sein soll? Um darauf eine Antwort zu finden, haben die beiden Frauen Schülerinnen und Schüler der Region gebeten, ihnen ihre Handy-Filme zu überlassen. Damit erhalten sie Dokumente, die ohne jeden ideologischen oder didaktischen Anspruch als trashige Einweg-Produkte entstanden sind und deswegen ein ungeschöntes Abbild jugendlicher Wirklichkeiten sind. „Unsere Farben sind die Menschen“, sagt Uta Weyrich.
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Auf das Ansinnen der Künstlerinnen reagieren die Jugendlichen erfreut und fragen zurück: „Das interessiert Sie wirklich?“, oder verwundert: „Was kann daran schon Kunst sein?“ Und gleich ist das Stichwort gegeben, um in eine wunderbar offene, fruchtbare Diskussion einzusteigen. In diesem Projekt sind die Jugendlichen Akteure, Zuschauer und (Kunst-)Produzenten in wechselnder Rolle. Ein demokratisches Kunstverständnis, das alle einbezieht, weil es alle in allen ihren unterschiedlichen Funktionen braucht. Es geht um soziale Austauschprozesse, die Geschichte bilden und die kollektive Erinnerung bestimmen.
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Die Handy-Filme sind der Rohstoff, den die Frauen in einem neuen Kontext zueinander in Bezug setzen, so dass sich neue Erkenntnisse und Fragen ergeben. Durch diesen kuratorischen Blick von aussen sehen, reflektieren und begreifen die Jugendlichen ihre Identität anders, erklärt Eva Paulitsch. „Es geht uns um eine sinnliche Archivierung ohne jede moralische Einordnung. Wir wollen das Rätsel, was Jugend ist und ausmacht, nicht erklären. Wir scheren uns nicht um Definitionen und Katalogisierung. Uns interessiert, was entsteht.“ Und die Reaktion der Jugendlichen? Sie stehen sich selbst gegenüber und sind stolz, dass sie mit den gefilmten Sequenzen aus ihrem Alltag einen Beitrag geleistet haben, den man als Teil des Geschichtsbildungsprozesses bezeichnen kann. Sie erkennen, dass sie Multiplikatoren sind als Filmer und Protagonisten, als Be- und Getroffene.
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Kunst ebenso wie Demokratie blieben bloss lebendig, wenn sie sich weiterentwickelten und immer wieder mit sich selbst auseinandersetzten, sind sich die Gesprächsteilnehmenden einig. Das sei befreiend. „Aber nicht im Sinne von Beliebigkeit. Uns geht es um neue Zugänge ohne Ideologie“, präzisiert Weyrich. Das impliziert, dass nicht vorhersehbar ist, was am Schluss vorliegt, ob überhaupt etwas vorliegt. Das muss man aushalten können. Hört man Eva Paulitsch und Uta Weyrich zu, scheint es ihnen mit dieser Unsicherheit sehr wohl zu sein; man wagt gar zu behaupten, dass alles Sichere und Vorhersehbare ihnen ein Gräuel und suspekt ist.
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DREI FRAGEN AN ... Alex Meszmer
Herr Meszmer, ist der Titel Kulturhauptstadt Pfyn notwendig für das Projekt Demokratische Kunstwochen, oder macht ihr euch mit dieser Bezeichnung über etwas lustig?
Alex Meszmer: Das Label Kulturhauptstadt hat einen etwas ironischen Unterton, ist aber durchaus ernst gemeint. Kultur ist in Tradition und Alltag eingebunden; das können wir mit der Kulturhauptstadt vermitteln. Die Folge ist, dass Pfyner und Pfynerinnen näher zu einander hinrücken und die Qualität ihres Umfeldes erkennen. Die Bezeichnung Kulturhauptstadt baut Schwellenängste ab und lädt ein, sich an den Projekten der Demokratischen Kunstwochen zu beteiligen statt zuzuschauen. In diesem Sinn ist dieses Etikett die Klammer, die alles zusammenhält.
Wie haben Sie Gewähr, dass durch dieses partizipative Verfahren, wo der Einzelne sowohl Kunstkonsument als auch Kunstproduzent sein kann, ein neues, unverkrampftes Verhältnis zu Kunst entsteht?
Alex Meszmer: Wir haben den Ehrgeiz, dass aus den Demokratischen Kunstwochen Neues entsteht, das die Pfyner stolz macht und woran sie weiterarbeiten wollen. Aber Gewähr haben wir nicht. Vielleicht wird beim einen oder bei der anderen aus einer Begegnung eine Sehnsucht nach mehr. Neugierde auf das, was unsere Künstler machen, besteht jedenfalls.
Diese geballte Ladung an künstlerischen Positionen, immer wieder andere Kunstschaffenden als Gäste unter dem eigenen Dach, die geforderte Dauerpräsenz und die Verantwortung für das Projekt – wie hält man das aus?
Alex Meszmer: Es ist eine Herausforderung, die ein hohes Mass an Flexibilität und Einsatz voraussetzt. Zum Glück sind Reto Müller und ich zu zweit. Wir können nicht nur das Positive, sondern auch das Negative aufteilen. Aber noch wichtiger ist: Wir haben diese geballte Ladung gewollt und freuen uns darauf. Für 2013 haben wir eine längere Auszeit geplant. (kze)
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Kommt vor in diesen Ressorts
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- Kulturpolitik
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