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von Inka Grabowsky, 07.07.2025

Ein Fest für die Kultur

Ein Fest für die Kultur
Lauter glückliche Menschen: Reto Friedmann, Barbara Tacchini, Rhona Mühlebach, Linda Heller, Irina Ungureanu und Mikhail Joey Wassmer | © Inka Grabowsky

Der Kanton hat die Förderbeiträge 2025 übergeben. Sechs Kulturschaffende mit Bezug zum Thurgau dürfen sich über je 25'000 Franken freuen, um neue Projekte umzusetzen. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Bei der Feierstunde im Kreuzlinger Apollo betont Regierungsrätin Denise Neuweiler die Unterschiedlichkeit der ausgewählten Kulturschaffenden. «Es ist eine Freude, einen vertieften Einblick in ihre Arbeit zu erhalten. Es gibt die Chance auf Neuentdeckungen, auf Bekanntschaften mit Ideen, die nicht die unseren sind.» Kunst führe behutsam an Unbekanntes heran, so die Regierungsrätin weiter. «Sie irritiert, löst vielleicht Kopfschütteln aus. Dass sie uns herausfordert und provoziert, gehört ebenso zu ihren Aufgaben wie uns heranzuführen und an die Hand zu nehmen.» 

Alle Preisträger schafften es auf ihre Weise, für ein breites Publikum Zugänge zur Kunst zu bieten. Der Leiter des Kulturamts, Philipp Kuhn, weist darauf hin, dass die Anzahl der Bewerbungen um einen Förderbeitrag dieses Jahr mit 65 besonders hoch gewesen sei. «Die Jury aus Fachexperten des Kulturamts und externen Experten hat zunächst die besten jeder Sparte gewählt und dann im Plenum gemeinsam über die Vergabe entschieden.»

 

Der Leiter des Kulturamts Philipp Kuhn führte durch die Feierlichkeiten im heissen Kreuzlinger Apollo. Bild: Inka Grabowsky

Linda Heller tanzt existenzielle Fragen

In einem Fall ging das ganz schnell, wie Carina Neumer, Fachexpertin für Tanz berichtet. «Linda Heller hatte sich schon 2024 beworben und war ganz knapp unterlegen. Doch jetzt passt der Zeitpunkt. Sie ist im Dezember fertig mit ihrem Psychologie-Studium und will sich nun zunächst auf den Tanz konzentrieren.» Die Auseinandersetzung über Fragen des Menschseins im Rahmen ihres Studiums hätte ihr viel Inspiration für Choreographien gegeben, erzählt die Arbonerin. 

«The Weight of Balloons» soll das erste Solostück heissen, dass sie gerade kreiert. Am 7. Oktober im Kreuzlinger Apollo ist sie noch mit dem Tanzstück «Meant to be together» zu sehen. 

 

Linda Heller freut sich über Luft und Raum für ihr Tanzprojekt. Barbara Bucher von der Procom-Stiftung übersetzt in Gebärdensprache. Bild: Inka Grabowsky

Fragen stellen, ohne Antworten aufzudrängen

Die Tänzerin und Kulturmanagerin Neumer sieht Linda Heller als exemplarisch für ein junge Generation von Kulturschaffenden, weil sie in ihren Stücken gesellschaftspolitische Fragen stelle, ohne dem Publikum Antworten aufzudrängen. 

Heller selbst bedankte sich für das Vertrauen, das die Jury in sie setzt. «Ich zweifele oft an meiner Arbeit, aber jetzt ohne zu verzweifeln.» Der finanzielle Rückenwind wird dazu beitragen: «Mein Dank gilt auch den Steuerzahlenden, die mein künstlerisches Schaffen ermöglichen.» Sie sei sich bewusst, dass sie unter privilegierten Bedingungen arbeiten könne. «Ich will dieses Privileg teilen und mit anderen zusammenarbeiten.» 

Mikhail Joey Wassmer bildet Sterne und Höhlen ab

«Ich komme gerade von einer Reise zu Höhlen in Nordspanien zurück und habe Felsmalereien besichtigt», erzählt Mikhail Joey Wassmer aus Kaltenbach-Wagenhausen. «Eine Tour nach Frankreich steht noch aus. Und im Herbst will ich auf die Nordseeinsel Spiekerogg, um einen ungehinderten Blick auf die Sterne zu bekommen.» 

Die Kombination der unterschiedlichen Motive «Höhlen und Frimament» und die Kombination der Ausdrucksmittel der Malerei und der Fotografie sind es, die Wassmer den Förderbeitrag einbringen. «Ein verheissungsvolles Vorhaben», lobt Ray Hegelbach, als bildender Künstler Teil der Jury. 

 

Mikhail Joey Wassmer nutzt die 25'000 Franken für umfangreiche Recherchearbeiten zwischen Spanien und Spiekeoog. Bild: Inka Grabowsky

Barbara Tacchini forscht zu nonverbaler Kommunikation auf der Bühne

Die Frage «Höre ich, was du siehst» beschäftigt die Regisseurin und Dramaturgin Barbara Tacchini aus Sommeri. Spätestens seit sie 2023 das «Zeppelin»-Musical inszenierte, ist sie fasziniert von den Ausdrucksmöglichkeiten der Gebärdensprache.

Der Einbezug von zwei gehörlosen Schauspielern war ein prägendes Erlebnis. «Wir veranstalten mit Hilfe des Förderbeitrags etwa zehn Workshops, in denen wir ausloten, wie ein Musiker, ein gehörloser Schauspieler oder ein kulturaffiner Gast ein bestimmtes Bild darstellt. Das gibt mir viel Material, um ein Konzept für eine Bühnenperformance zu erstellen.» Der Förderbeitrag werde sich auszahlen, meint Laudatorin Anja Tobler. «Es braucht Menschen wie Barbara Tacchini, die sich auf Augenhöhe mit der Thematik der kulturellen Teilhabe auseinandersetzen.»

 

Barbara Tacchini will sich neben ihrem Broterwerb als Dramaturgin auch um das inklusive Theater kümmern. Bild: Inka Grabowsky

Rhona Mühlebach experimentiert zu sprachlichen Missverständnissen

Eigentlich ist Rhona Mühlebach als Filmschaffende bekannt. Doch dass sie mit ihren Förderbeitrag einen Film schaffen wird, ist noch nicht ausgemacht. «Das Endprodukt muss nicht klar definiert sein», sagt sie. «Das ist das Schönste am Beitrag.» Sie weiss bisher nur, dass sie sich im Projekt «In Tongues» (In Zungen) mit sprachlichen Missverständnissen auseinandersetzen will. «Das wird sicher auch humorvoll sein. Man wird kein Studium brauchen, um es zu verstehen.» 

Laudatorin Annette Amberg verspricht sich eine «chaotischen Meditation» über Sprache als Klang. «Rhona Mühlebach macht Videokunst, bei der Text, Sound und Erzählung fragmentiert sind.» Die Künstlerin hofft, dass sie das Ergebnis ihrer Experimente im Thurgau zeigen kann. Dazu muss sich nur ein Veranstalter finden. 

 

Regierungsrätin Denise Neuweiler übergibt  Blumen und Förderbeitrag gern an Rhona Mühlebach. Bild: Inka Grabowsky

Irina Ungureanu singt neu auf Schweizerdeutsch

«Viele Jahre war Irina Ungureanu berühmt für ihre herausragende Präsentation im Feld der Neuen Musik», erklärt Laudatorin Simone Reutlinger. «Sie sang anspruchsvollste Werke mit grosser Hingabe und strahlender Natürlichkeit. Doch nun hat sie ein Bedürfnis nach Veränderung und will schöpferische Autonomie statt Interpretation.» Der Förderbeitrag soll ihr beim Verlassen der alten Pfade behilflich sein. 

Ende 2022 musste die Sängerin eine Pause machen: «Ich habe eine existentielle Krise erlebt», gibt sie auf der Bühne im Kreuzlinger Apollo offen zu. «In der Leere kamen ganz unerwartet schweizerdeutsche Wörter auf. Erst dachte ich, wer interessiert sich schon für meinen Seelenschmerz. Aber es geht darum, stellvertretend mitzuteilen, dass man mit sich selbst ein Einklang sein muss, um die Welt zu einem friedlicheren Ort zu machen.» 

Der Förderbeitrag komme zu einem perfekten Zeitpunkt.  Irina Ungureanu will sich ein neues Standbein aufbauen und ihre eigenen Lieder auf Schweizerdeutsch komponieren, singen und sich selbst begleiten. Die gebürtige Rumänin ist in Frauenfeld aufgewachsen, so dass ihr die Mundart leicht über die Zunge kommt. Ausserdem habe sie grosse Lust wieder zu unterrichten. Zwischen 2011 und 2015 war sie bereits Lehrerin für Sologesang an der PMS Kreuzlingen. Nun bietet sie Gesangsunterricht und kreatives Singen in ihrem Atelier in Luzern an. 

 

Irina Ungureanu hat in einer Krise Schweizerdeutsch als Sprache für eigene Lieder für sich entdeckt. Bild: Inka Grabowsky

Reto Friedmann setzt dem UKW-Radio ein Denkmal 

«Wenn die UKW-Frequenzen Ende 2026 endgültig abgeschaltet werden, dann geht eine Klangwelt verloren», sagt Reto Friedmann. «Deshalb habe ich ein grosses Archiv mit Rausch- und Störgeräuschen aufgebaut. Und aus diesem Fundus komponiere ich etwas Neues.» Vom 14. bis 27. Juli kann man sich auf Radio LoRa nonstop Klangproben anhören. 

«Das digitale Radio ist sehr sauber», meint der Radiokünstler mit Wurzeln in Weinfelden. «Das Medium wird nicht mehr als Radio erkennbar. Früher wusste man durch die Störgeräusche, dass man Radio hört.» 

Der Förderbeitrag ist für Reto Friedmann etwas ganz Besonderes: «Meiner Kunst fallen die Herzen nicht einfach zu», sagt er. Gleichzeitig geniesst er die Laudatio von Julia Zutavern, die seinen «dadaistischen Phrasensingsang» lobt. Damit untersuche er die Klanglichkeit der Sprache. «Jetzt weiss ich endlich, was ich mache», lacht Reto Friedmann. 

 

Radio-Rauschen steht für einmal im Vordergrund, weil Reto Friedmann es dorthin stellt. Bild: Inka Grabowsky

 

Die Förderbeiträge des Kantons

Die sechs jeweils mit 25'000 Franken dotierten Förderbeiträge vergibt der Kanton Thurgau einmal im Jahr. Mit der Auszeichnung soll eine künstlerische Entwicklung ermöglicht werden. Die Förderbeiträge wurden von einer Jury vergeben, die sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt.

 

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