von Stefan Böker, 21.03.2024
Ehrenrettung für die «Ratten der Lüfte»
Gehören Tauben zu den coolsten Tieren der Welt? Wer die aktuelle Sonderausstellung im Naturmuseum besucht, könnte zu diesem Schluss kommen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
«Tauben schmecken exzellent.» Mit diesem Zitat aus seinem Lieblingskochbuch, dem «Silberlöffel», startete Museumsdirektor Hannes Geisser die Führung durch die neue Ausstellung. Der «Silberlöffel» gilt als Bibel der italienischen Küche. Wohl fünf Tauben-Rezepte lassen sich darin finden: Gebraten, gegrillt, gefüllt, pikant oder mit Oliven, so lasse sich das von Geniessern als wild-ähnlich im Geschmack beschriebene Fleisch zubereiten.
Selbst gekocht hat Direktor Geisser diese Rezepte noch nicht. Seine Beobachtung demonstriert indes, wie ambivalent das Verhältnis der Menschen zu diesen Tieren ist. Mal schätzt man sie als Delikatesse, mal werden sie geschmäht als «Ratten der Lüfte», dann wieder als «Rennpferde des kleinen Mannes» belächelt.
«Das mit den Tauben ist so eine Sache. Man kann verschiedene Zugänge zu ihnen finden. Es lohnt sich, diese Tiere kennenzulernen.»
Hannes Geisser, Museumsdirektor (Bild: Stefan Böker)
In der Tat können Strassentauben zur Plage werde. Kaum eine grössere Stadt, die nicht mit diesem Problem zu kämpfen hat. Der Werkhof der Stadt Frauenfeld betreibt gar richtiges Taubenmanagement, und das mit Erfolg (siehe Kasten). Aber Strassentauben am Marktstand feilbieten? Da würden die meisten dann doch die Nase rümpfen. Dennoch kann man auch in der Schweiz gezüchtete Tauben zum Verzehr kaufen, entweder auf Bestellung oder als Import. Und Taubenzüchten erfreut sich nach wie vor Beliebtheit. Wohlhabende Züchter wie Boxlegende Mike Tyson geben Millionen aus für geeignete Tiere.
Es gibt erprobte Lösungen für ein konfliktarmes Zusammenleben zwischen Strassentauben und Menschen. So wie das Taubenmanagement in der Kantonshauptstadt. Aktuell beträgt die Population laut Museumsdirektor Geisser in Frauenfeld rund 80 Strassentauben. 2010 war das anders. Mit einer Informationskampagne sensibilisierte die Stadt die Bevölkerung über den passenden Umgang mit Tauben, richtete auf dem Unteren Mättli einen Taubenschlag ein und engagierte einen Taubenwart. Heute nutzt etwa die Hälfte aller Tauben den Schlag. Sie finden dort Nahrung, Wasser und Nistplätze. Mitarbeitenden des Werkhofs reinigen den Schlag regelmässig und ersetzen Eier durch Attrappen. So sorgen sie für einen gesunden Bestand. Jährlich etwa 400 Arbeitsstunden wendet der Werkhof dafür auf.
Spannend ist, dass im Grunde kein Unterschied zwischen domestizierten und wildlebenden Tauben besteht. Die elegante, weisse Taube, Symbol für Frieden und Liebe, ebenso wie die seit Generationen gezüchtete, flinke Überbringerin von Botschaften oder ein vor Parasiten strotzender, zerfledderter Täuberich auf der Strasse – sie alle gehören zum Stamm der Columbidae.
Biologinnen gehen davon aus, dass Strassentauben Nachkommen ehemals domestizierter Haustiere sind. Schätzungen gemäss existieren weltweit bis zu 340 Millionen. Auf der einen Seite, das betonte der Museumsdirektor, seien diese eine Bereicherung für das Stadtbild. «Der Markusplatz in Venedig wäre ohne Tauben undenkbar.» Die Kehrseite der Medaille seien Krankheiten, Parasiten und der ätzende Kot, den grosse Taubenpopulationen mit sich bringen. Die Vögel leben dabei inmitten des Lärms, des Gestanks und der Hektik von Metropolen. Diese hohe Fähigkeit zur Anpassung ist eine Facette an Tauben, die den studierten Naturwissenschaftler besonders fasziniert.
Zurückverwilderte Tempeltiere?
Auf grossformatigen Plakaten können Besucherinnen und Besucher viel über die Kulturgeschichte der Taube erfahren. Gerade in bewegten Zeiten wie diesen seien die Werte, welche weisse Tauben symbolisieren, wichtig, so Geisser. Wie genau die gefiederten Begleiter in die Nähe des Menschen gekommen sind, diese geradezu gesucht haben, ist laut Dr. Geisser umstritten.
Geschah dies im Zuge des Getreideanbaus, weil sie wahre «Körnlipicker» sind? Oder haben Taubenliebhaber gezielt Nestlinge aus Gehegen geklaut? Oder war es, weil Tempelbauten schon immer an exponierten Stellen standen, perfekt geeignet, um dort zu nisten? Schon in der Antike wird von Tauben berichtet und ihrer Wechselwirkung auf den Menschen.
Turteln und schnäbeln
Dass Tauben die Liebe verkörpern, könnte an ihrem zärtlichen Fortpflanzungsverhalten liegen, mutmasst Geisser. In der Balz legt der Täuberich einen imponierenden Tanz hin. Dann wird ausgiebig geschnäbelt, ähnlich menschlichem Geknutsche. Auch Geschenke wie Zweige tauschen Tauben bei ihrem Werben aus. Dazu kommt das Gurren. Die distinktiven Laute der in Europa vorherrschenden fünf Gattungen Ringeltaube, Türkentaube, Hohltaube, Turteltaube und Stadttaube lassen sich im Museum an einer interaktiven Station per Knopfdruck abspielen.
Nachdem es zur Sache kam, werden in der Regel 2 Eier gelegt. Täubin und Täuberich teilen sich den Job des Brütens. Nach 17 Tagen schlüpfen die Küken. Am Anfang benötigen sie noch spezielle Nahrung, die sogenannten «Kropfmilch». Bis zu fünf Mal im Jahr legen Tauben Eier, nach sechs Monaten sind sie bereits fortpflanzungsfähig.
Das Leben in der Stadt ist gefährlich: 95 Prozent der Jungvögel überleben das erste Jahr nicht. Im Schnitt werden Strassentauben zwei bis drei Jahre alt, auch wenn einzelne Vögel über acht Jahre alt werden können. Taubenpaare bleiben sich ein Leben lang treu.
Reputation wiederherstellen
Die interessante Anatomie der Vögel ist anhand lebensechter Präparate zu erfahren. Besonders erwähnenswert ist das grosse Brustbein. Dank der starken Brustmuskulatur können Tauben, wenn es sein muss, richtig Gas geben. Ihr Herz schlägt dabei bis zu 700 Mal in der Minute.
Obwohl alle Tauben also wie Tauben gebaut sind und sich wie Tauben verhalten, würde niemand Strassentauben mit Liebe in Verbindung bringen, wundert sich Geisser. In dieser Hinsicht kann die Ausstellung auch als Wiederherstellung der Reputation dieser «Luftratten» verstanden werden.
Weitere Wirbeltiere und Insekten, die sich gerne in der Nähe des Menschen aufhalten, ergänzen die Ausstellung. Ein «Gruselkabinett» zum Abschluss, so der Museumsdirektor. Die dort präsentierten Bettwanzen, Kakerlaken und Co. sind in der Tat weniger für einen «Jööö»-Effekt geeignet – die Exponate indes nicht weniger eindrücklich.
Ausstellungseröffnung
Am Donnerstag, 21. März, 18 Uhr eröffnet die Ausstellung mit einer Einführung von Museumsdirektor Dr. Hannes Geisser. Sie ist zu sehen bis 20. Oktober 2024. Die erste öffentliche Führung findet am Sonntag, 24. März, um 10.30 Uhr statt. Zum Rahmenprogramm gehören Kinder- und Familienführungen (kostenpflichtig, mit Anmeldung). Am Sonntag, 23. Juni, ist eine Vogelexkursion durch die Stadt geplant. Weitere Informationen unter www.naturmuseum.tg.ch
Von Stefan Böker
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