von Stefan Böker, 28.08.2024
Kulturfabrik soll zementiert werden
Ist das Kult-X den Kreuzlingerinnen und Kreuzlingern 7 Millionen Franken wert? In wenigen Wochen entscheiden die Stimmberechtigten über die «Kulturfabrik» auf dem ehemaligen Schiesser-Areal. Wer sich umhört in der Stadt bekommt den Eindruck: Die Zeichen stehen auf grün. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Am 22. September will sich die Hafenstadt mit der Kult-X-Abstimmung den Traum eines festen Kulturzentrums erfüllen. Hinter dem Projekt steckt langjährige Aufbauarbeit, nicht immer ohne Knatsch. Heute steuert der Kahn in ruhigem Fahrwasser, mit breitgefächertem Angebot und dementsprechend grossem Zuspruch in der Bevölkerung. Gegenwind zur Vorlage gibt’s wenn dann sehr leisen. Ein Selbstläufer also?
Harmonisch und geregelt
Nun, kein Zweifel besteht daran, dass der Laden läuft. Bei einem Besuch in der «Kulturfabrik für alle» ist das offensichtlich. Sogar an einem Freitagmorgen während den Sommerferien ist hier etwas los. Im Treppenhaus verabschieden sich gerade Teilnehmerinnen eines Yoga-Kurses, der Veranstaltungskalender weist auf einen Tangoabend hin und für den den Samstag steht ein Konzert mit «Evergreens vor der Discozeit» und «Schmuseliedern» auf dem Programm.
Im Büro, das gleichzeitig Coworking Space ist, sitzt Achim Wehrle vom Team des See-Burgtheaters (das bei Schlechtwetter übrigens auch im Kult-X probt) und nimmt gerade Kartenreservierungen an. «Warum auch nicht, wir haben den Platz», meint Geschäftsleiterin Noemi Signer, bevor sie die Tour durchs Haus beginnt. Die Atmosphäre ist harmonisch, geregelt; das ehemalige Industriegebäude hat Charme und die liebevolle Einrichtung ist durchdacht.
Was soll umgebaut werden? Weshalb braucht es diese Sanierung? Was läuft überhaupt alles im Kult-X? Das Pro-Komitee veranstaltet am Samstag, 31. August, von 13 bis 17 Uhr einen Tag der offenen Türen im Kult-X. Die Gäste erhalten Informationen aus erster Hand, können die Räume besichtigen und bekommen Erläuterungen zu den Umbauplänen. Der Eintritt ist frei. Am Freitag, 6. September, 19 Uhr, findet ein Stadtgespräch der SP Kreuzlingen zum Thema statt. www.pro-kult-x.ch
Professionelle Begleitung
Noemi Signers Job ist es unter anderem, die verschiedenen Anfragen zu verwalten. Also den Nutzer:innen Räume zu geben und dafür zu sorgen, dass bei der Durchführung ihrer Veranstaltung alles klappt. Von einer kurzen Einführung in die Technik bis zur kompletten Betreuung, bei der sie sogar Helferinnen für den Barbetrieb auftreibt oder den Vorverkauf organisiert, kennt die Unterstützung verschiedene Stufen. Noemi Signer arbeitet im 60-Prozent-Pensum; ihr zur Seite steht Techniker Jonathan King im 50-Prozent-Pensum.
Die schiere Anzahl der Veranstaltungen, bei denen die zwei Festangestellten den ehrenamtlichen Veranstalter:innen helfen, ist beeindruckend: 2023 fanden 29 Konzerte im Kult-X statt, 62 Tanzveranstaltungen, 23 Theateraufführungen oder Lesungen, 44 Kinovorstellungen, 94 Workshops und 23 Specials. Zusätzlich wird jede Woche geprobt, getanzt, sich bewegt und in der Ludothek gespielt.
«Abends, zu den beliebten Zeiten, sind wir ausgebucht», sagt Signer. Sie hofft daher auf Zustimmung am 22. September, weil nach dem Umbau die Kapazität grösser werde, man mehrere Räume gleichzeitig bespielen könnte und technische Mängel beseitigt werden. Auch werde es für Publikum wie Künstler:innen komfortabler.
Haus der Vereine
Der für eine erfolgreiche Abstimmung nötige Rückhalt in der Bevölkerung scheint da zu sein. Das Kult-X ist Trägerverein von rund 20 Vereinen. Hinzu kommt seine lange Vorgeschichte. Bereits 2008 kaufte die Stadt das Areal. Wer schon länger im Kreuzlinger Nachtleben unterwegs ist, erinnert sich vielleicht noch daran, wie klein das alles anfing: «Kultur im Shop», nannte sich die Reihe erster Events 2012.
Ab da hat sich das Kult-X langsam, aber sicher zu dem entwickelt, was es heute ist. 2021 gab es bereits eine Volksabstimmung, bei der die Stimmberechtigten so klar Ja sagten, dass selbst Kennerinnen der Kulturszene der Mund offen stehen blieb.
Politisch ist das Kult-X ebenfalls so gut wie unbestritten. In der zurückliegenden Gemeinderatssitzung am 2. Mai wurde die Abstimmung nach einer Änderung mit nur sechs Gegenstimmen und einer Enthaltung zur Annahme empfohlen. Diese Änderung betraf den jährlich wiederkehrenden Betriebsbeitrag von 276'000 Franken, der, statt auf unbestimmte Zeit, auf vorerst 10 Jahre festgelegt wurde. Im Grunde gab es an der Sitzung Lob von allen Seiten.
Allein die Fraktion SVP, welche die Botschaft grossmehrheitlich ablehnte, sprach dagegen und fragte: «Darf es noch ein bisschen mehr sein?» Warum soll ein Haus, in dem neben Kultur auch Gewerbe angesiedelt ist, nicht noch mehr Einnahmen generieren, so der rechte Flügel des Stadtparlaments. Es müsse ja nicht gleich eine Goldgrube werden, doch zumindest «ein Schmuckstück».
Opposition bleibt unsichtbar
Nachgehakt bei SVP-Gemeinderätin Barbara Hummel, erklärt diese, warum sie am 22. September ein «Nein» in die Urne legen will. Ihr gehe es zum Einen um Grundsätzliches. Im Vergleich mit anderen Städten wie Frauenfeld, Weinfelden, Arbon und Romanshorn gebe Kreuzlingen überdurchschnittlich viel Geld für Kultur aus. «Zum Anderen sind es die wiederkehrenden Kosten, die mir Sorgen machen», sagt sie.
Wenn man diese Kosten auf die einzelnen Veranstaltungen herunterrechne, bleibe eine jeweils unverhältnismässig hohe Summe stehen. Einnahmen gebe es dafür zu wenig. Darum würde Kritikerin Hummel gern Nutzungsgebühren und Mieten erhöhen, mehr Gewerbe ins Haus zu holen oder das Theatercafé fest verpachten.
Doch auch Barbara Hummel schätzt, dass die Abstimmung am 22. September durchgeht – und ein Nein-Komitee wird, wie schon 2021, auch dieses Mal nicht in Erscheinung treten. Dafür hat ein Pro-Komitee bereits die Arbeit aufgenommen und wirbt mit Standaktionen, Infoveranstaltungen und Flyern für die Annahme.
Sind 7 Millionen zu viel?
Könnten denn die Kosten zum Stolperstein werden? Für die Steuerzahler wird es teuer: Das schrieb die «Thurgauer Zeitung» über den beantragten Baukredit. Sicher gibt es solche, die sich angesichts des hohen Betrags die Frage stellen, ob es nicht ein bisschen günstiger geht. Oder warum es keine Vorlage gibt mit zumindest zwei oder sogar drei Optionen. «7 Millionen Franken, das tönt auch nach viel Geld», zeigt SP-Gemeinderat Ruedi Herzog, Co-Präsident des Pro-Komitees, Verständnis.
Doch er stellt klar, dass es sich damit um eine langlebige Investition handelt. «Danach haben wir für lange Zeit Ruhe. Das ist besser, als das Haus immer wieder nach und nach zu flicken.» Lieber einmal richtig investieren und dann lange Freude haben, lautet seine Meinung.
Barrierefreiheit, Brandschutz – es gibt eigentlich nichts, das man streichen könnte
Bisher hat die Stadt eine Infoveranstaltung durchgeführt. Vor Ort war Architekt Andreas Hermann, der noch einmal überzeugend darlegen konnte, warum die Kosten für den Umbau gerechtfertigt und die Arbeiten unaufschiebbar sind, beispielsweise in den Bereichen Brandschutz und Barrierefreiheit. «Es gibt eigentlich nichts, das man streichen könnte», sagte er auf Nachfrage. Auch Ruedi Wolfender, Leiter des Departements Gesellschaft, sprach zu den rund 50 Anwesenden: «Diese 7 Millionen sind gut investiert.» Kritiker waren keine zugegen, dafür etliche Befürworterinnen. «Ich freue mich schon auf das neue Kult-X», sagte eine Dame.
Die bevorstehende Abstimmung, schon jetzt eine klare Sache? Das letzte Wort dazu erhält der zuständige Stadtrat Daniel Moos. «Ein Selbstläufer? Das glaube ich nicht», bleibt Moos vorsichtig. «Aber ich bin sehr, sehr optimistisch.»
Was in der Botschaft steht
Kreuzlingen steht vor einer wegweisenden Abstimmung: Am 22. September entscheiden die Stimmberechtigten über einen Baukredit von rund 7 Millionen Franken für das Kult-X. Dazu gehört auch ein jährlicher Betriebsbeitrag für die nächsten zehn Jahre von 276'000 Franken nach erfolgtem Umbau (Ziel: Einzug im Herbst 2027). Die Abstimmungsbotschaft wurde in diesen Tagen versendet und ist bereits auf der Homepage der Stadt aufgeschaltet.
Von Stefan Böker
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