von Stefan Böker, 30.09.2024
Jubel wie beim Rockkonzert
Die Plattform thurgaukultur.ch ist 15 Jahre alt geworden. An der Jubiläumsfeier kamen ihre Gründerväter auf die Bühne und blickten stolz zurück. Ein würdiges Fest mit köstlicher Unterhaltung. Auch der Kabarettist Michael Elsener gratulierte. (Lesedauer:ca. 4 Minuten)
Zur Geburtstagsfeier im schönen Kreuzlinger Apollo kamen alle, die in Sachen Kultur etwas zu sagen haben. Piera Cadruvi, ihres Zeichens Spoken Word Künstlerin und Socialmedia-Redaktorin beim Onlineportal, moderierte den offiziellen Teil. Sie stellte das Team vor, nachdem das Publikum (schliesslich sass man in einem ehemaligen Kino) eine Mini-Doku sehen durfte. Schon dabei brandete Applaus auf, garniert mit Jubelrufen und Pfiffen – etwas, das man sonst eher von Rockkonzerten kennt. Die Stimmung also war formidabel, das Ambiente feierlich und der Anfang für einen höchst vergnüglichen Abend gesetzt.
Bildergalerie zur Jubiläumsfeier (alle Fotos von Beni Blaser)
Geschäftsführerin präsentiert Rekordzahlen
Piera Cadruvi holte zunächst Rechtsanwältin Daniela Lutz nach vorne. Daniela Lutz ist Verwaltungsratspräsidentin der gemeinnützige Aktiengesellschaft hinter thurgaukultur.ch (die andere Hälfte des Verwaltungsrats ist Kulturamtschef Philipp Kuhn). Sie wurde mit einem riesigen Blumenstrauss beschenkt. Davor befragte Cadruvi die Frau, welche die Fäden in der Hand hält.
Geschäftsführerin Sarah Lüthy verwies auf den grundsätzlichen Auftrag der Redaktion gemäss Statuten: Ziel ist es, das Kulturangebot des Kantons umfassend sichtbar zu machen, über Veranstaltungen und kulturpolitische Themen zu berichten, kulturelle Akteur:innen zu porträtieren und – zusätzlich zur Vermittlung und Einordnung – den Diskurs anzuregen. «Das gelingt uns, glaube ich, ganz gut», meinte die Geschäftsführerin bescheiden.
Den Erfolg konnte sie indes mit Zahlen belegen. So hat die Agenda in der vergangenen Woche einen neuen Rekord aufgestellt. Sie listete erstmals über 1100 zukünftige Termine auf. Der Newsletter schreibt ebenfalls Geschichte. Die Zugriffsrate auf darin verlinkte Artikel beträgt über 55 Prozent. «Sehr beeindruckend», kommentierte Fachfrau Cadruvi diese Kennzahl.
«Jedes Mal, wenn wir thurgaukultur anderswo vorstellen, staunen die Leute. Eine solche, durch die öffentliche Hand geförderte Plattform ist einmalig in der Schweiz.»
Sarah Lüthy, Geschäftsführerin thurgaukultur.ch
Obschon Sarah Lüthy ganz allgemein sagen konnte: «Wir sind angekommen!», definierte sie mehrere Ziele für die Zukunft. So möchte sie die Plattform, bestehend aus Agenda, Magazin und dem «Kulturplatz», noch bekannter machen und den Diskurs fördern. Sie wünscht sich zudem eine stärkere Kulturlobby. Die Gründung der Thurgauer Sektion der IG Kultur Ost (nach vorgängigem Austauschtreffen im Juni, mit veranstaltet von thurgaukultur) soll dazu beitragen.
Mehr «Reden über Kultur», das will auch die neue, im Rahmen des Jubiläums initiierte Veranstaltungsreihe «Kultur trifft Politik». Der ebenfalls zum Jubiläum ins Leben gerufene Recherchefonds unterstützt aufwändig recherchierte Hintergrundgeschichten.
Video: arttv-Beitrag über thurgaukultur.ch
Des Weiteren berichtete Lüthy von der Zusammenarbeit mit dem Ostschweizer Kulturmagazin «Saiten» aus St.Gallen. «Minasa», so heisst die Software der Thurgaukultur-Agenda. Diese wird seit September ebenfalls vom Saiten-Kalender benutzt und hat Schnittstellen zu weiteren Portalen. Ein langgehegter Wunsch von Veranstalter:innen wird dadurch wahr. Sie müssen ihre Termine nur noch einmal eintragen. Die Software spielt die Daten danach an verschiedenen Orten aus. Nach langer Vorarbeit komme das Projekt nun «richtig zum Fliegen», freute sich Lüthy.
Ein weiteres Zeichen für den Erfolg von thurgaukultur.ch, ist die Flut der Anfragen. So viele, dass die Redaktion immer mehr Vorschläge ablehnen müsse. Allerorten würden Kulturbudgets gekürzt, Kulturredaktionen verkleinert oder ganz abgeschafft. Um so mehr gelte: «Das, was wir hier im Thurgau haben, ist etwas ganz Besonderes», sagte sie.
thurgaukultur.ch lanciert im Rahmen des 15-Jahr-Jubiläums eine neue, analoge Veranstaltungsreihe. Ziel ist, einen Rahmen zu schaffen, damit politische Akteur:innen und Kulturakteurschaffende miteinander ins Gespräch kommen. Weg von der klassischen Podiumsdiskussion, hin zum Austausch und zur Begegnung. Eingeladen sind Kulturschaffende, Vertreterinnen von Städten und Gemeinden, der Kulturförderung und alle, die sich für das Thema interessieren. Erster Termin ist am Mittwoch, 27. November, 18.30 Uhr, im Apollo in Kreuzlingen.
Aus dem Geistesblitz wurde eine Institution
Neben dem heutigen Team wurde den Gründern ein Kränzchen gewunden. Humbert Entress war Präsident der Thurgauer Kulturstiftung, René Munz Kulturamtschef, als thurgaukultur.ch 2009 aus der Taufe gehoben wurde. Redaktionsleiter Michael Lünstroth kitzelte aus ihnen das ein oder andere Bonmot heraus. Etwa zum Zustand der Kulturlandschaft vor der Gründung.
«Keiner wusste, was wann ist», erinnerte sich Munz an diese Zeit ohne zentralen, breit genutzten Veranstaltungskalender. «Es fand zwar sehr viel statt, aber nichts wurde darüber geschrieben», ergänzte Entress das zusätzliche Fehlen guter, unabhängiger Kulturberichterstattung. Ihre Vision war schnell skizziert. «Innerhalb von 17,5 Minuten waren wir uns einig», sagte Entress über diesen Moment. Danach dauerte es drei Jahre, bis das Projekt startklar war.
Zu vermitteln, dass die Finanzierung über öffentliche Gelder geschehen sollte, sei schwierig gewesen, erinnert sich Munz. Ein Kritikpunkt von damals lautete, dass man der Privatwirtschaft den Markt weg nehme. Dabei hatten die Gründerväter durchaus bei Privaten nachgefragt. Doch kein Unternehmen, kein Verlag habe sich getraut, in die Geschichte zu investieren.
Das Erfolgsrezept bei der Gründung
Das Erfolgsrezept? Für René Munz ist es die einmalige Kombination von thurgaukultur.ch, die Mischung aus Agenda und Magazin, finanziert durch die öffentliche Hand, die den Reiz ausmacht. «Das ist ein Service, den heute keiner mehr bringt. Ein Dorfplatz für Kultur», umschrieb er. «Und das dient der Kulturförderung.»
Humbert Entress hob den Einsatz der Beteiligten hervor. Neben der begeisternden Idee sei es der unbedingte Willen gewesen und die Bereitschaft, sich einzusetzen, welche zum Erfolg führten. Das Gespräch endete mit einem riesengrossen Dankeschön, an alle, die beigetragen haben, aus diesem Pionierprojekt einen heute nicht mehr wegzudenkenden Pfeiler der Thurgauer Kulturlebens zu machen.
«Ohne Magazin, rein als erweiterte Agenda, wäre das Projekt wohl versandet. Veranstaltungen ohne Publikum bringen nichts. Aber Veranstaltungen, über die keiner schreibt, die keine Qualitätssicherung erhalten, nützen auch nichts.»
René Munz, ehemaliger Kulturamtsleiter und einer der Gründerväter von thurgaukultur.ch
Grossartige Show auf der Bühne
Den Unterhaltungsteil läutete Comedian Michael Elsener ein. Mit seiner Show brachte er den Saal routiniert zum lachen und setzte einige Seitenhiebe gegen Kulturjournalismus. Etwa wenn Namen oder Daten falsch geschrieben werden, Fotos schlecht sind oder Text sich lesen wie wissenschaftliche Arbeiten. «So verkopft. Da komme ich mir vor wie in der Schule», kritisierte er – zu Recht.
Am Ende wurde auch er ernst und gratulierte zum Geburtstag. «thurgaukultur.ch ist ein Leuchtturm, der hoffentlich weitere Projekte inspiriert, die Kultur nach aussen tragen.» Danach ging die Show so richtig los: Unterschiedlichste Künstler:innen, darunter die aktuelle Kulturpreisträgerin Rahel Wohlgensinger, sinnierten und improvisierten zu rätselhaften Objekten aus Thurgauer Museen.
Nachdem diese Museumsdinge bereits Teil einer Rätselserie im Netz waren, schafften sie es im Apollo auf die Bühne – und zum Schluss sogar ins Buch. Das 76 Seiten starke Büchlein «Das Ding.» wurde zur Feier des Tages veröffentlicht.
Die Finanzierung des Jubiläums
Die Durchführung der Jubiläumsfeier wurde unterstützt von mehreren Projekt- und Kooperationspartnern:
Der Lotteriefonds Thurgau, die Thurgauer Kantonalbank, der
Verein Kultursee, die Dr. Heinrich Mezger Stiftung und der Verein MUSE.TG. Vielen Dank für die Unterstützung!
Von Stefan Böker
Weitere Beiträge von Stefan Böker
- Ein Mann, eine Gitarre, ganz viel Gefühl (31.10.2024)
- Ein halbes Jahrhundert Kultur (02.09.2024)
- Kulturfabrik soll zementiert werden (28.08.2024)
- Eisenwerk startet in die neue Saison (20.08.2024)
- Fair und aware feiern (29.07.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kulturpolitik
Kommt vor in diesen Interessen
- In eigener Sache
- Kulturförderung
- Kulturvermittlung
Ähnliche Beiträge
„Der Thurgauer ist kein Meister der Streitkultur!“
Diskretion als Erfolgsrezept: Hans Jörg Höhener, Präsident der kantonalen Kulturkommission, erklärt im Interview, wie sein Gremium Einfluss nimmt auf die Kulturpolitik im Kanton. mehr
Neun mögliche Wege aus der Raum-Krise
Wie könnte man den Mangel an Räumen für Kultur im Thurgau beheben? Darüber diskutierten die Gäste des neuen Dialogformats „Kultur trifft Politik!“ in Kreuzlingen. mehr
Ohne Raum bleibt alles nur ein Traum
Vor welchen Herausforderungen steht Gemeinschaft heute? Und wie kann Kultur Gemeinschaft stiften? Diesen Fragen gaben den Impuls zur dritten Thurgauer Kulturkonferenz. mehr