von Judith Schuck, 10.09.2022
Wiederholung für eine tiefere Einsicht

Leichtigkeit ist nur ein Schein. Im Shed schuf Maureen Kägi sechs Wandarbeiten, die Grenzen ausloten und am Ende der Ausstellung wieder blosse Wand werden. (Lesezeit: ca. 3 Minuten)
Zart flimmern die sechs Wandgemälde von Maureen Kägi in den Raum und sind gleichzeitig Raum. Die Farben scheinen so zart, weil sie in Linien aufgetragen sind. Die in Wien und Langenhard lebende Künstlerin arbeitet viel mit Lineal, Filz- und Acrylstiften.
Für das Sommeratelier in der Shedhalle im Eisenwerk plante sie ursprünglich vier Wandarbeiten, aus denen letztlich sechs wurden. Mit den Linien gestaltet sie mehrere Ebenen, die je nach Standpunkt unterschiedlich ins Bild eintauchen lassen. Von Nahem betrachtet, erinnern sie teilweise an defekte Bildschirme – von sehr nah können sie direkt anstrengend wirken. Von Weitem haben sie eine beruhigende, ja meditative Wirkung.

Farbige Geometrie
Titel der Ausstellung ist Colorado. Er ist ebenso vielschichtig wie die in ihr gezeigten Werke. Farbig ist die spanische Übersetzung und farbig sind Kägis Arbeiten. Einen Bezug gibt es ausserdem zum US-amerikanischen Bundesstaat Colorado, einem Square-State, rechteckig, die Grenzen wie mit dem Lineal gezogen. Und es gibt noch den Colorado-Beetle, den Kartoffelkäfer, gelb mit feinen, engen dunkelbraunen Linien gestreift. „Maureen Kägi lebt in Österreich auf einem Hof und hatte die Kartoffelkäfer in ihrem Garten“, erzählt Kuratorin Mirjam Wanner.
Da sich die Künstlerin in ihrem Schaffen mit Natur, Ökosystemen und Gesellschaft beschäftigt, stiess sie in der Auseinandersetzung mit dem Schädling, dessen Befall zu Ernteausfällen führt, auf seine Geschichte. Von Amerika nach Europa eingeschleppt, wurde er mal als französischer, deutscher oder russischer Käfer bezeichnet, niemand wollte Namensgeber des unliebsamen Insekts sein. Im Dunstkreis der Verschwörungstheorien wabert gar die Erzählung, die Deutschen hätten ihn im Zweiten Weltkrieg gezüchtet, um ihn als Biowaffe einzusetzen.
Kunst ist anstrengend
In ihrer rituellen und meditativen Arbeitspraxis stösst sie so immer wieder auf neue Geschichten. „Sie pendelt zwischen Gegensätzen, prozesshaft und teilweise durchdacht. Die Bildfindungen funktionieren in langsamen Produktionszyklen, die dem technischen Zufall oder unerwarteten Fehlern unterworfen sind“, sagt Maureen Kägi.
"Ich muss mental und physisch gegen einige Anstrengungen und Widerstände ankämpfen."
Maureen Kägi
Ihre Arbeitsweise ist körperlich anstrengend, das Lineal haltend zieht sie ihre Linien: „Die Positionen, in denen ich mich wiederfinde, sind häufig sehr herausfordernd. Ich muss mental und physisch gegen einige Anstrengungen und Widerstände ankämpfen.“ Sie vergleicht dies mit Yogapositionen, in denen die eigene Duldungskraft gefordert wird.
„Mittels Überstrapazierung von Techniken lotse ich die Grenzen der Medien aus. Geprägt durch Einflüsse aus unterschiedlichen Disziplinen, kann die einzelne Arbeit nicht mehr ohne die Geschichte der Anderen gedacht werden.“ Oftmals werde der Entstehungsprozess von etwas mitbestimmt, das auch als „Allotria" verstanden werden kann, „eine Arbeitsweise, die von Sigmund Freud als Ablenkung von dem eigentlichen Ziel bezeichnet wird.“
Leben am Ort der Kreativität
Für Colorado entschied sich Kägi, in zwei Wochen Wandarbeiten zu schaffen. „Einige Tage habe ich intensiv im Raum gearbeitet, gegessen und übernachtet“, sagt die auch performativ arbeitende Künstlerin. „Dann habe ich eine längere Pause eingelegt. Dieses Pendeln zwischen Nähe und Distanz empfinde ich sehr wichtig in meinem Arbeitsprozess.“ Die sechs Bilder sind durchnummeriert und beschäftigen sich mit dem Thema Fruchtbarkeit, Entstehen und Vergehen. Von Nummer 1 ab erinnern sie an eine Zellteilung, es könnten auch Erbsen in ihren Wachstumsphasen sein. Farbigkeit und der Effekt der Schichten, der immer auch etwas Luzides hat, lassen an die wandelbaren Formen eines Kaleidoskops denken.
Teppiche als Medienwechsel
Neben den direkt auf die Wand gemalten Werken, brachte Maureen Kägi vier weitere Leinwände mit Pflanzenmotiven mit, die in den letzten zwei Jahren entstanden sind. Struktur und Dreidimensionaltiät der Leinwände führen zu einem noch stärkeren Raumgefühl.
Um das Denken zu ändern, wechselt sie gerne mal das Medium. Für die Ausstellung fertigte sie sechs Teppiche, die in einer Reihe vor dem Eingang arrangiert sind. Im Kontext der Tufting-Technik, mit der sie die Teppiche für die Ausstellung herstellte, erscheinen ihre Linienbilder auch als Webrahmen. „Ich habe die Teppiche als ein Experiment angesehen, um sie allenfalls in eine
performative Praxis zu integrieren.“ Das Sommeratelier im Shed sei für dieses Experiment eine gute Gelegenheit, „der Fabrikboden hat mich ebenfalls dazu motiviert.“
Praktiken in Wissen verwandeln
Die Ruhe, die Colorado ausstrahlt, entspringt Kägis künstlerischen- und performativen Praxis, die sich viel mit Wiederholung beschäftigt. „Das Repetitive sehe ich allerdings nicht als geisttötend und mechanisch an, denn während der Entwicklung einer Fertigkeit ändern sich immer wieder die Gegenstände der Wiederholung.“ Üben werde hier nicht zu einem festgelegen Ziel organisiert. Es sei eher eine Aneignung um tiefere Einsichten und Kenntnisse zu erlangen, Informationen und Praktiken in stillschweigendes, implizites Wissen umzuwandeln. Nach Ende der Ausstellung werden ihre Wandgemälde übermalt. Mit der Vergänglichkeit ihrer Kunst hat Maureen Kägi kein Problem. Sie gehört in den Zyklus von Werden und Vergehen.
Öffnungszeiten
Do/Fr 19 – 21 Uhr und Sa 16 – 20 Uhr
Finissage: Do 22.09.2022 19 Uhr

Von Judith Schuck
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