von Maria Schorpp, 08.05.2017
Tragik des modernen Mannes

Alfred Dorfer beherrscht die Kunst, sich furchtbar über allerhand aufzuregen und dabei lustig zu sein. Das KIK-Festival brachte den Kabarettisten ins Theater an der Grenze, wo er zum Spaß des Publikums richtig ausholte.
Von Maria Schorpp
„und ..." Der Titel von Alfred Dorfers neuem Programm ist so kurz, dass er leicht übersehen werden kann. Dabei ist er denkbar umfassend. Mit Hilfe des Wörtchens „und" liesse sich die ganze Welt aufzählen, wenn man denn der Meinung wäre, sie sei nichts anderes als die Gesamtheit ihrer Einzelteile. Ob es der österreichische, pardon, Wiener Kabarettist so oder anders gemeint hat, wissen wir nicht. Jedenfalls ist sein Programm eine Sammlung von Beobachtungen zu diversen Phänomenen, zu denen man unterschiedlicher Meinung sein kann. Dorfer provoziert, und das Gute ist: Er ist kein unterkühlter Analytiker. Ist das schön, mal wieder einen zu erleben, der nicht so tut, als wüsste er, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Kann der sich aufregen. Eine Kunst, die uns durchschnittlichen Konsumentenseelen längst abhandengekommen ist. Die Gewohnheit halt. Zu fragen wäre natürlich, ob es sich lohnt, über das „Ich-bin-hier-wo-bist-du"-Gequatsche am Mobiltelefon, das keinen anderen Sinn hat, als Telekommunikationsunternehmen reich zu machen, noch ein Wort zu verlieren. Eigentlich nicht – wenn halt nicht immer wieder die wortgewordene Blödheit phonstark durch Zeit und Raum schallen würde.
Dorfer hat 2017 den Deutschen Kabarettpreis erhalten
Dabei war der Handy-Witz nur einer der Aufwärmer, mit denen der Komiker in Alfred Dorfer sein Publikum im Theater an der Grenze locker machte. Seine zwei Auftritte in Kreuzlingen im Rahmen des KIK-Festivals folgten unmittelbar auf die Schweizer Programm-Premiere, die tags zuvor in Zürich über die Bühne gegangen war. Auch sich kabarettistisch mit den „Löönsch"-Wichtigtuern („Meeting für Essgestörte") anzulegen, verspricht totsicheres Gelächter, zumal wenn ein schauspielerisch so talentierter Mensch wie Alfred Dorfer das tut. So läuft sich der mit dem Schweizer „Cornichon" und diversen deutschen Kabarettpreisen dekorierte Künstler langsam warm, und sein Publikum läuft mit.
Dorfer kann sich nicht nur formidabel aufregen, er kann auch Herz. Mit den Mutter-Burli-Geschichten zeigt er sich in einem klassischen Dilemma: Einerseits mag seine Figur der alten Mutter nichts Böses nachsagen, andererseits legt er in ihrem Mein-Burli-über-alles-Gesäusel tragende Pfeiler des Machismo frei. Entsprechend sind seine Einspieler zum modernen anwesenden Vater zwiegespalten: Irgendwo da hinten im Stammhirn hockt es noch, das Burli, und will in Personalunion Kind und Chef sein. Daraus ist die Tragik des modernen Mannes entstanden.
Seine Kritik der Gegenwart? Ist vor allem Kritik an unserer Sprache
Apropos Hirn: Dass die Hirnforschung ihr Fett vom Kabarettisten abkriegt hat fraglos seine Gründe. Ein Teil der Zunft meint ja, die Menschen dürften einer Sache erst dann sicher sein, wenn eine Hirnstudie sie bestätigt. „Es gibt eine neue Studie aus den USA" ist einer von Dorfers Lieblingshasssätzen. Entmündigung im Namen der Wissenschaft. Am stärksten ist Alfred Dorfer, wenn er richtig weit ausholt und vermeintliche Selbstverständlichkeiten mit der Kraft des Nachdenkens einfängt. Seine Kritik der Gegenwart ist insbesondere eine Kritik der Sprachpraxis, und da insbesondere der Medien. Auch dem Sprech von der freien Presse bringt er eine gute Portion Misstrauen entgegen. Das muss man sich heute erst mal trauen, wenn man Wert darauf legt, nicht in die Populismus-Ecke gedrängt zu werden. Dorfer sagt auch so Sachen wie, wer nicht mit Rechtsanwältinnen, Lehrerinnen, kurz: Frauen in Ausübung ihres Berufs, sprechen wolle, hätte hier nichts zu suchen.
Hier – das ist für Dorfer auch ein Sprachraum, über dessen Bewohner, grob eingeteilt in Österreicher, Schweizer und Deutsche, er seine Witze reisst. Man kann nicht immer sicher sein, dass er die darin auftauchenden Klischees wirklich auseinandernehmen will. Findet er in dem einen oder anderen gar ein Körnchen Wahrheit? Wahrheit, oh je, auch so ein Thema. Gott hat wohl den roten Faden verloren, kommt der Mann auf der Bühne zum guten Schluss. In diesem Fall würde die Welt möglicherweise nur noch durch das Wörtchen „und" zusammengehalten.
Das Festival "KIK- Kabarett in Kreuzlingen" endet am 20. Mai mit einem Auftritt von Urban Priol. Details zu der Veranstaltung gibt es nach den Videos am Ende der Seite
Weitergucken:
TV-Beitrag des Bayerischen Rundfunks zur Verleihung des Deutschen Kabarettpreises 2017 an Alfred Dorfer
Auftritt von Alfred Dorfer bei Giacobbo/Müller
Kontra Kabarett - eine halbe Stunde mit Alfred Dorfer

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