von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 24.11.2017
„Wir wollen die ganze Scheisse nochmal aufrühren“
Vor einem Jahr wurde das Programmkino Scala in Konstanz geschlossen, inzwischen hat dort eine Drogerie eröffnet. Über Gewinner und Verlierer einer langen Geschichte
Denkt Douglas Wolfsperger an das Scalakino in Konstanz, dann ist er immer noch ziemlich wütend. „Es ist einfach ein trauriger Anblick, wenn man sieht, was daraus geworden ist“, sagt der Regisseur und zeigt auf den Ort, wo früher mal das Kino war. Heute ist dort eine Filiale der Drogeriekette dm. Am Donnerstag wurde der Laden eröffnet, ziemlich genau ein Jahr nachdem im Scala der letzte Vorhang fiel. Wolfsperger ist vor Ort, um weitere Sequenzen für seinen Film „Die schönste Stadt der Welt“ (Arbeitstitel) zu drehen. Er hat das Ende des Programmkinos im Herzen der Konstanzer Altstadt begleitet, seitdem klar war, dass das Scala schliessen soll. Am Anfang war nur die Idee, daraus könnte man etwas machen. Schnell war klar, dass in dem Aus für das Kino eine Geschichte steckt, die Wolfsperger erzählen möchte. Zum Teil, weil er selbst sehr an dem Filmpalast hing, seine Jugendjahre hat er in den Kinosälen verbracht. Aber auch, weil die Konstanzer Geschichte für ihn beispielhaft zeigt, wie es um die Kinolandschaft in Deutschland steht. „Kulturelle Perlen werden oft für kommerzielle Zwecke geopfert“, sagt Douglas Wolfsperger. Das könne man in vielen Städten beobachten. Deshalb ist das Ende des Scala für ihn eben nicht nur eine Konstanzer Geschichte, sondern eine, die darüber hinausweist.
Video: Douglas Wolfsperger über seinen Film
Tatsächlich war das ganze Drama um das Scala ja von Anfang an filmreif. Ein emotionaler Ort wie ein Kino sollte dem eher kühlen Geschäft mit Deo, Duschgel und Putzmitteln weichen. Zur besonderen Mixtur dieses Konfliktes gehörte auch: Ein Erbengemeinschaft, die den Sanierungsdruck des Gebäudes nicht mehr alleine aushalten konnte und wollte, ein Kinobetreiber, von dem man nicht genau wusste, wie sehr er sich wirklich für Filmkunst interessiert, ein Publikum, von dem schwer zu sagen war, wie gross es eigentlich war, ein Protest, der viel zu spät kam und eine Stadtentwicklungspolitik die nicht helfen wollte beziehungsweise, wie es der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt immer wieder betonte, nicht helfen konnte. Das Gebäude sei in privater Hand, da habe man sich nicht einzumischen, lautete die Devise.
Der Streit hat die Stadt über Monate in Atem gehalten, die Diskussionen und Auseinandersetzungen wurden mit jeder Woche härter und unversöhnlicher. Am Ende kam es wie es kommen musste - das Kino wurde geschlossen, das Gebäude saniert, die Drogerie eröffnet. Wohlgemerkt die fünfte ihrer Art der dm-Kette - und gleich gegenüber gibt es eine grosse Filiale des Konkurrenten Müller. Das Geschäft mit Drogerieartikeln läuft in der Grenzstadt Konstanz aber offenbar so gut, dass mehr Angebot die Nachfrage immer weiter in die Höhe schnellen lässt. Die Frage ist allerdings, wie lange das noch so gut gehen kann.
Dia-Show: Bilder vom letzten Tag des Scala
Ein Jahr nach der Schliessung deutet sich aber auch an - es gibt nicht nur Verlierer bei dieser Geschichte. Der Kinobetreiber zum Beispiel spart sich jetzt die Miete in dem Gebäude an der Marktstätte. Er hat sich weitgehend in das Multiplex-Kino Cinestar zurückgezogen, an dem er beteiligt ist. Unter dem Motto „Scala im Cinestar“ werden hier zwar Arthouse-Filme gezeigt, aber unter dem Strich ist das Angebot deutlich geringer geworden. Für leise Filmkunst ist ein krachendes Multiplex nicht unbedingt die natürliche Umgebung. Ein anderer Gewinner der Entwicklung könnte das Kommunale Zebra-Kino sein. Seit Jahren wird es regelmässig für sein ambitioniertes Programm ausgezeichnet. Die Filmkunst-Dürre in der Konstanzer Innenstadt könnte nun dazu beigetragen haben, dass die Besucherzahlen dort steigen.
Nun ist der in Berlin lebende Regisseur Douglas Wolfsperger also mal wieder in der Stadt. Um auch das letzte Kapitel „dieser schändlichen Entwicklung“ zu dokumentieren, wie er sagt. Der Dreh war für ihn nicht einfach. Es gab immer mal wieder Anfeindungen, Drohungen, Einschüchterungsversuche. Wolfsperger hat Stand gehalten - und ging dabei auch selbst nicht immer sonderlich zimperlich zur Sache. Der Mann ist schon zu lange im Geschäft als das er nicht wüsste, wie er die Bilder bekommt, die er für seinen Film braucht.
Dia-Show: Bilder vom Dreh mit Eva Mattes
Für den Dokumentarfilmer ist das Thema auch längst noch nicht beendet. Er sagt offen: „Wenn der Film startet, dann werden wir die ganze Scheisse nochmal kräftig aufrühren!“ Und meint damit die Debatte um das Aus für das Kino und die Art und Weise wie die Stadt mit diesem kulturellen Ort umgegangen ist. Man kann wohl davon ausgehen, dass der Film nicht allzu gemütlich werden dürfte für die politische Klasse der Stadt. Wann „Die schönste Stadt der Welt“ tatsächlich in die Kinos kommt, ist derzeit noch offen. „Wir haben schon tolles Material zusammen, uns fehlt aber noch Geld für die Postproduktion“, sagt Wolfsperger. „Wer uns helfen möchte, kann sich gerne bei mir melden“, fügt er noch an. Alle relevanten Kontaktdaten dazu gibt es über die Internetseite www.scala-film.de Nach aktuellem Plan soll er Film im Frühjahr fertig werden, dann auf Festivals gezeigt werden und schliesslich im Herbst „mit einer glanzvollen Premiere“, so Wolfsperger, auch in Konstanz an den Start gehen. Die Frage ist nur - wo. Denn: „In das Cinestar setze ich keinen Fuss, das kann ich versprechen“, so der Filmemacher.
Kommerz statt Kultur: Früher war hier ein Kino, jetzt hat dort eine Drogerie eröffnet. Bild: Michael Lünstroth
Die Vorgeschichte zum Nachlesen
Eindrücke vom Dreh mit Eva Mattes im November 2016
Reportage vom letzten Tag des Scala-Kinos
Bitte nicht filmen: Über den Streit zwischen Politik und Filmemacher (Oktober 2016)
Ein filmreifer Streit: Worum es bei dem Konflikt um das Kino eigentlich ging (April 2016)
Weitere Beiträge von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter
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