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von Kirsten Astor, 05.07.2019

Wenn der Wahnsinn um sich greift

Wenn der Wahnsinn um sich greift
Das frisch vermählte Paar: Das junge Glück von Mortimer (Raphael Westermeier) und Elaine (Anna Krestel) währt nicht lange. | © Gaccioli Kreuzlingen

Harmlos scheinender Holunderwein, meuchelnde Schwestern und ein sich drehender Dampfer: Das See-Burgtheater in Kreuzlingen bringt „Arsen und Spitzenhäubchen“ auf die Bühne.

Leise plätschern die Wellen ans Ufer, es ist ein lauer Sommertag am Kreuzlinger Bodensee-Ufer. Nichts deutet darauf hin, dass hier bald mehrere grausame Morde geschehen werden – und in der jüngeren Vergangenheit bereits geschehen sind, denn die Schauspieler proben fleissig für „Arsen und Spitzenhäubchen“ auf der Bühne des See-Burgtheaters. Bei jeder Wiederholung sterben gleich eine Reihe von Menschen.

Denn die beiden älteren Damen Abby und Martha Brewster (gespielt von Astrid Keller und Caroline Schreiber) haben es sich zum Ziel gesetzt, einsame Männer von ihrem Leiden zu befreien und ihnen im Jenseits ein schöneres Leben zu bescheren. Dazu verabreichen sie Holunderwein, verfeinert mit Arsen, Strychnin und Zyankali. Praktisch, dass ihr Neffe Teddy (Florian Steiner), der sich für den amerikanischen Präsidenten hält, die Leichen im Keller begräbt. Alles geht gut, bis der andere Neffe Mortimer (Raphael Westermeier) auftaucht.

Er versucht, seine Tanten zu schützen und seinem Bruder die Morde anzuhängen. Bald kommt auch noch Mortimers Bruder Jonathan (Christian Intorp) dazu, ein gesuchter Serienmörder. Was dann geschieht, umschreibt Schauspieler Raphael Westermeier bei der Pressekonferenz so: „Erst spiele ich einen Spiessigen, doch im Versuch, alles aufzuklären, gerät die Turbulenzspirale ins Laufen, der Wahnsinn greift immer mehr um sich.“ Dazu trägt sicher auch die Tatsache bei, dass die beiden Polizisten (Adrian Furrer und Andrej Reimann) wenig der Wahrheitsfindung dienen. „Die Polizei im Stück macht alles falsch“, sagt Adrian Furrer. „Der subversive Humor zieht sich durch die ganze Aufführung.“

Video: Einblick in die Probenarbeit

Das bestätigt Astrid Keller, die als Abby zahlreiche ältere Herren auf dem Gewissen hat. „Ich bin eine nette, ganz bürgerliche Dame“, charakterisiert sie ihre Rolle. „Mit meiner Schwester Martha bin ich die Einzige im Stück, die nicht wahnsinnig ist. Wir tun den Männern etwas Gutes und sind sicher keine Mörderinnen. Wir wundern uns nur über Mortimer, der so nervös ist. Wahrscheinlich, weil er bald heiratet“, sagt Keller und schmunzelt.  Dann wird sie ernst und sagt: „Komödie zu spielen, gehört zum Anspruchsvollsten. Es ist wunderschön, wenn die Zuschauer lachen. Aber das tun sie nicht, weil wir den Kasper spielen, sondern weil wir die Situationen ernst nehmen und so tun als wären sie das Normalste der Welt.“

Der Kontrast zwischen der scheinbaren Idylle und dem heuchlerischen Treiben wird nicht nur äusserlich durch die Lage des Theaters direkt am lieblichen Bodensee deutlich. Auch innerhalb des Stücks ergeben sich Gegenpole. So bezeichnet Christian Intorp als Jonathan sein Handeln als „Gegenteil zu den gut gemeinten Morden der Schwestern“. Jonathan habe „Lust am Todeskampf und am Verbrechen“, er weide sich daran. Der Serienmörder kommt direkt aus dem Gefängnis und kehrt nun an die Stätte seiner Kindheit zurück, um sie zu beherrschen.

Was mag nur in der Kiste drin sein? Das fragt sich Mortimer (Raphael Westermeier). Seine Tanten Martha (Caroline Schreiber) und Abby Brewster (Astrid Keller) wissen Bescheid. Bild: Kirsten Astor

Grosse Herausforderungen für die Schauspieler

Die Abgründe hinter der bürgerlichen Fassade zu zeigen, war eine Intention des Autors Joseph Otto Kesselring. Christian Intorp, der auch schon im „Tatort“ zu sehen war, spielt gern den Bösewicht. Doch obwohl die Schauspieler Profis sind, haben auch sie mit Herausforderungen zu kämpfen. So muss Bastian Stoltzenburg dieses Mal gleich drei ganz verschiedene Rollen interpretieren, was er ohne Maske und mit nur wenigen Requisiten schwierig findet. Florian Steiner als Teddy wiederum findet seine Figur eindimensional. „Beim ersten Auftritt sage ich einmal ‚Hurra!‘, dann trete ich wieder ab. So zieht es sich durch das Stück“, sagt Steiner.

Jeannette Spassova sieht die Herausforderung eher in der Umgebung: „Im Gegensatz zu einem dunklen Theatersaal haben wir es hier mit Unwetter, Lichtschwankungen und Hitze zu tun“, sagt sie. Caroline Schreiber bestätigt: „Als der Wind uns um die Ohren pfiff, bekamen wir Türen ins Gesicht, aber ich habe noch nie in einer so schönen Umgebung gespielt.“ Schreiber zitiert den deutschen Komiker Karl Valentin: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Sie selbst sitze wie eine Henne auf einem Ei und brüte ihre Figur Martha Brewster aus.

Noch sind die Schauspieler, die aus Berlin, Köln, München, Wien und Zürich kommen, mitten bei den Proben. „Unsere verschiedenen Spielstile haben noch nicht zusammengefunden, aber die Arbeit daran ist spannend“, sagt Astrid Keller, die mit Leopold Huber das See-Burgtheater leitet. Wie kommen die beiden eigentlich Jahr für Jahr an solch renommierte Schauspieler? „Wir überlegen ständig, wer welche Rolle spielen könnte“, so Produktionsleiter Huber. Steht dann ein Stück fest, rufen die beiden bei den Schauspielern an. „Eine gute Besetzung macht einen Grossteil des Erfolgs aus“, sagt der Produktionsleiter.

Mit Muskelkraft lässt sich der Dampfer aus Holz komplett drehen und bietet auf der Rückseite Treppen als Spielort. Bild: Kirsten Astor

Warum der Bühnenbildner das Stück auf ein Hausboot verlegt

Genauso wie ein gutes Bühnenbild. Und das ist dieses Jahr eindeutig gelungen: Bühnenbildner Gregor Sturm wollte das Stück nicht wie im Original in staubigen Räumen spielen lassen, sondern auf einem Hausboot. „Schliesslich liegen New York und Kreuzlingen beide am Wasser“, begründet er seine Idee. So baute er das Modell eines Mississippi-Dampfers aus den 1940er-Jahren; ortsansässige Handwerker setzten dies perfekt um. Der Clou: Das Schiff lässt sich komplett drehen und sorgt für rasante Szenen. Ein bisschen wie die kleine Schwester der berühmten Bregenzer Seebühne. Nur mit Menschenkraft statt Motor. Sehr charmant.
 

Termine & Tickets

Der Autor und das Stück: „Arsen und Spitzenhäubchen“ stammt aus der Feder des Deutschstämmigen Joseph Otto Kesselring, der 1902 in New York City geboren wurde und 1967 in Kingston (NY) starb. Er arbeitete zunächst als Musikdozent, bevor er sich als Schauspieler, Autor und Regisseur dem Theater verschrieb. „Arsen und Spitzenhäubchen“ wurde 1941 am Broadway uraufgeführt und war dort ingesamt 1444 Mal auf der Bühne zu sehen. Regie in Kreuzlingen: Annette Pullen

 

Premiere und weitere Aufführungen: Die Premiere in Kreuzlingen findet am Donnerstag, 11. Juli, 20.30 Uhr, statt. Weitere Aufführungen jeweils um 20.30 Uhr am 12., 13., 16., 17., 18., 19., 20., 23., 24., 25., 26., 27., 30 und 31. Juli sowie am 2., 3., 4., 6. und 7. August. Die Zuschauertribüne ist überdacht. Einlass und Bewirtung ab 18 Uhr. Aufführungsdauer bis etwa 22.30 Uhr, eine Pause.

 

Karten: Eintrittskarten kosten 54 CHF; für Schüler, Studierende und Auszubildende 20 CHF. 10 Prozent Ermässigung auf Eintritte bei Gruppen ab 20 Personen. Reservation ab sofort per E-Mail an info@see-burgtheater.ch  Die Reservation ist verbindlich. Weitere Informationen: www.see-burgtheater.ch 

Das Ensemble im Gras: Sie wollen die Produktion «Arsen & Spitzenhäubchen» zu etwas Besonderem machen. Bild: Gaccioli Kreuzlingen

 

Der Theaterleiter und die Regisseurin: Annette Pullen führt Regie bei der diesjährigen Produktion, Leopold Huber beobachtet aus der Ferne. Bilder: Kirsten Astor/Gaccioli Kreuzlingen

 

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