Seite vorlesen

von Maria Schorpp, 26.07.2018

Der Kreativator

Der Kreativator
Bei einer Probe zur "Dreigroschenoper" von Bertold Brecht im Jahr 2013: Das Ensemble und Leopold Huber. | © Mario Gaccioli

Traumwelten haben im Leben des See-Burgtheaterleiters Leopold Huber eine bedeutende Rolle gespielt. Als Regisseur ist er davon überzeugt, dass in den Schauspielern 20.000 Jahre Menschheitsgeschichte wachgerufen werden kann.

Schaut man sich heute in der Welt um, sieht man viel Angst. Angst, die lähmt. In „Biedermann und die Brandstifter“, der aktuellen Inszenierung des See-Burgtheaters, spielt sie mit den Menschen ihr böses Spiel. Was Angst auch bewirken kann, ist zu erfahren, wenn Leopold Huber aus seinem Leben erzählt. Bei ihm war es die Angst vorm Pferd. Das Pferd war Teil des elterlichen Bauernhofs im oberösterreichischen Mühlviertel. Während Hubers Geschwister einfach unterm Pferdebauch durchliefen, war dem kleinen Leopold das grosse Pferd nicht geheuer. Und das Traktorfahren erst recht nicht. Panik beim leichtesten Kippen. Das war der allererste Anfang des Leopold Huber als Regisseur, Autor und Filmemacher.

Ängstlich wirkt der Mann, der seit 1994 mit seiner Frau, der Schauspielerin Astrid Keller, das See-Burgtheater leitet, freilich nicht mehr. Ist alles lange her, und das eine oder andere Erfolgserlebnis dürfte auch zu einem gefestigten Selbstvertrauen geführt haben. Der Unterschied zwischen Menschen, die sich von der Angst lähmen lassen, und denjenigen, die sie als Sprungbrett nutzen, ist unter anderem wohl der: Letztere können sich eine Gegenwelt schaffen, zuerst in der Phantasie, dann in der Realität. In seinem bei den Biberacher Filmfestspielen ausgezeichneten Film „Mirakel“ von 1991 erzählt Leopold Huber von einem kleinen Jungen, der sich in einer Traumwelt ein Dorf aus Schnee baut.

Astrid Keller, Maria Lisa Huber, Leopold Huber bei einer Probe zu der Horváth-Inszenierung des See-Burgtheaters "Kasimir und Karoline" letztes Jahr.
Astrid Keller, Maria Lisa Huber, Leopold Huber bei einer Probe zu der Horváth-Inszenierung des See-Burgtheaters "Kasimir und Karoline" letztes Jahr. Bild: Tanja Horlacher

 

Der Regisseur sitzt im Innenhof der Kreuzlinger Seeburg, wo alles anfing vor 28 Jahren mit dem See-Burgtheater. Im Gegensatz zu Astrid Keller gehörte er nicht zum Gründungsteam, gemeinsam haben die beiden das freie Theater indes zu dem gemacht, was es heute ist. Ein fast schon existenzieller Zweifel nagt nach wie vor an dem Thurgauer Kulturpreisträger des Jahres 2013 und auch ansonsten mehrfach Ausgezeichneten. Eines seiner Lebensgeheimnisse könnte sein, dass er sofort ein Gegenmittel weiss: „Ich halte mich da an Goethe, der sagt, mit dem Wissen wächst der Zweifel.“

Eine Kostprobe dieses unglaublichen Gedächtnisses, das scheinbar beliebig viele Zitate, Anekdoten und Theatertheorien ausspucken kann und für das Leopold Huber geradezu berühmt ist. Was er im Übrigen für kleine Listen nutzt. Der weisse Zaun und das Feuerwehrauto in der „Biedermann und Brandstiftung“-Inszenierung sind nicht nur typischen Sommertheaterelementen geschuldet, sondern tatsächlich auch ein Zitat aus David Lynchs Film „Blue Velvet“. Das Lesen und sich Umschauen waren Erweckungserlebnisse, die Huber letztlich die Welt als Autor, Filmemacher und Theatermann eröffneten, und sind bis heute wichtige Bestandteile zur Vorbereitung seiner Inszenierungen. Kommt man ihm eilfertig mit eigenem Angelesenem zum jeweiligen Stück, geht er höflich darauf ein, anzumerken, dass das von ihm längst zur Kenntnis genommen wurde, kalter Kaffee sozusagen, würde ihm nie einfallen.

Inspirationsquelle für Leopold Huber: David Lynchs «Blue Velvet»

Leopold Huber, der seit 2006 die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt, begegnet den Menschen mit Respekt. Insbesondere als Regisseur. „Ich habe keine Freude an Macht. Das einzige, was eine Rolle spielt, ist meine Kompetenz. Ich bereite mich immer sehr gut vor.“ Druck- und Angstmacherei ist für ihn kontraproduktiv. „Wenn sich die Menschen in einer geschützten Atmosphäre befinden, sind sie am kreativsten. Meine Aufgabe sehe ich darin, sie zu ihrer grössten Kreativität zu animieren.“ Die Schauspieler erst einmal ausprobieren lassen, „auch wenn es Umwege sind. Da kommen oft Dinge heraus, von denen man gar nicht gewusst hat, dass sie drinstecken.“

Selbst die penibelste Vorbereitung kann dann über den Haufen geworfen werden. Es hat sich dann einfach etwas anderes entwickelt, bestenfalls etwas aus dem Unbewussten heraus. Die „geheimen Triebfedern des Herzens blosslegen“, wird alsbald Antonin Artaud zitiert, der französische Theater-Allrounder. Dass das Unbewusste hier Erwähnung findet, ist kein Zufall. Parallel zu seinem Schauspiel- und Regiestudium am Max Reinhardt-Seminar hat Leopold Huber in Wien an der Universität einige Semester Psychologie und Psychiatrie studiert, bis er sich ganz fürs Theater entschied. Wer sich manchmal wundert, wie gerade junge Schauspieler Verbrechen, Tod und Wahnsinn spielen können, bekommt von ihm eine Antwort: „In uns sind 20.000 Jahre Menschheitsgeschichte gespeichert. Wir wissen Bescheid über alle Mörder, Huren und Heilige. Es gilt auf den Proben, den Zugang dazu zu finden.“

Die erste Inszenierung des See-Burgtheaters in der namengebenden See-Burg im Jahr 1990: "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch mit Astrid Keller als Frau Biedermann und Hans Ruedi Binswanger als Herr Biedermann.
Die erste Inszenierung des See-Burgtheaters in der namengebenden See-Burg im Jahr 1990: "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch mit Astrid Keller als Frau Biedermann und Hans Ruedi Binswanger als Herr Biedermann. Bild: Mario Gaccioli

 

In einem Film von Douglas Wolfsperger spielte er einen Totengräber

Beinahe wäre aus Leopold Huber selbst ein Schauspieler geworden. Als er, mit einer Matura als Textiltechniker in der Tasche, beim Aufnahmegespräch am Max Reinhardt-Seminar ausmalte, wie er Shakespeares „Macbeth“ inszenieren würde – basierend auf Bücherwissen und jugendlicher Vorstellungskraft beim Stallausmisten – hat sich die Jury derart belustigt, dass sie ihn ins Komiker-Fach verwies. Der anschliessende Sprachunterricht bescherte dem Mann mit dem prägnanten Idiom allerdings ein geradezu philosophisches Dilemma. „Nach einem halben Jahr konnte ich nicht mehr richtig sprechen. Ich müsste wahrscheinlich anders denken, wenn ich anders reden würde.“ Es gibt noch Filme mit ihm als Schauspieler. Unter anderem einen von Douglas Wolfsperger, in dem er einen Totengräber spielt. Heute traut er sich nur noch nach der Premiere auf die Bühne, um sich vor dem Publikum zu verneigen.

Als das See-Burgtheater 1990 anfing, stand das sommerliche Freilichttheater generell unter Verdacht, kein seriöses Theater zu sein. Das Credo schon der See-Burgtheatergründer Hans-Ruedi Binswanger und Gregor Vogel war dagegen, Sommertheater genau so ernst zu nehmen wie Theater in einem festen Haus. Es verschrieb sich dem kritischen Volkstheater. Mit seiner Professionalität wurde das See-Burgtheater, das später auf den Girsberg umzog, um sich zurück im Seeburgpark eine Seebühne zu bauen, zur Avantgarde für Sommerevents weit über die Bodenseeregion hinaus. Mit dem Ergebnis, dass die Konkurrenz erheblich gewachsen ist. „Mittlerweile gibt es viele rundherum. Aber das interessierte Publikum wird nicht mehr. Wenn man die Qualität halten will, muss man Reserven haben. Die haben wir im Gönnerverein. Gerda und René Imesch-Rohrbach sind super Präsidenten.“

Leopold Huber
Leopold Huber. Bild: Mario Gaccioli 

 

«Das interessierte Publikum wird nicht mehr. Wenn man die Qualität halten will, muss man Reserven haben.»

Leopold Huber, Regisseur  

Neben dem Sommertheater inszeniert Leopold Huber schon seit einigen Jahren auch Opern und Operetten. Und da kommt wieder der Bauernhof im Mühlviertel ins Spiel. Dort gab es nicht nur das Pferd und den Traktor, sondern auch einen musizierenden Vater, der seinen Sohn zwar als Bauer für untauglich erklärte, dafür aber umso stolzer war, als der Achtjährige auf der Klarinette mitzuspielen begann. Heute macht Leopold Huber mit seinen Kindern Valentin, Silvan und Maria gemeinsam Musik.

Ob er heute unterm Pferd durchlaufen oder angstfrei auf einen Traktor sitzen würde, müsste man ihn noch fragen.

Termine: Die aktuelle Inszenierung von Leopold Huber «Biedermann und die Brandstifter» ist noch bis zum 9. August auf der See-Bühne in Kreuzlingen zu sehen. Tickets gibt es über die Internetseite des Theaters: www.see-burgtheater.ch 

Bilderstrecke: Szenen aus der Inszenierung «Biedermann und die Brandstifter» (Fotos: Mario Gaccioli)

Video: arttv.ch zur aktuellen Biedermann-Inszenierung


 
 
 
 
 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Bühne

Kommt vor in diesen Interessen

  • Porträt
  • Schauspiel

Werbung

Eine verschleierte Königin

Einblicke ins Leben der Künstlerin Eva Wipf: Hier geht's zu unserer Besprechung der aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau.

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

„Der Thurgau ist ein hartes Pflaster!“

Wie ist es im Kanton für junge Musiker:innen? Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen!

Unsere neue Serie: «Wie wir arbeiten»

Unsere Autor:innen erklären nach welchen Grundsätzen und Kriterien sie arbeiten!

Was bedeutet es heute Künstler:in zu sein?

In unserer Serie «Mein Leben als Künstler:in» geben dir acht Thurgauer Kulturschaffende vielfältige Einblicke!

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

Kultur für Klein & Gross #22

Unser Newsletter mit den kulturellen Angeboten für Kinder und Familien im Thurgau und den angrenzenden Regionen bis Ende Januar 2025.

«Kultur trifft Politik» N°I

Weg, von der klassischen Podiumsdiskussion, hin zum Austausch und zur Begegnung. Bei der ersten Ausgabe am Mittwoch, 27. November geht es um das Thema "Räume".

#Kultursplitter im November/Dezember

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

"Movie Day": jetzt für 2025 bewerben!

Filme für das 12. Jugendfilm Festival können ab sofort angemeldet werden. Einsendeschluss der Kurzfilme für beide Kategorien ist der 31.01.2025

Ähnliche Beiträge

Bühne

Herr Fässler besiegt die Angst

Therapeutin trifft auf Zyniker: In der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld ist mit „Herr Fässler und die Stürme der Liebe“ zu erleben, wie sich eine Puppe von ihrer Puppenspielerin emanzipiert. mehr

Bühne

Problemfamilie mit Wiedererkennungswert

Die Eigenproduktion „Familienidylle“ des theagovia theater zeigt eine Familie im Ausnahmezustand, der vielleicht gar nicht so ungewöhnlich ist. mehr

Bühne

«Ich will auch nicht immer in den Abgrund schauen.»

Die Schauspielerin und Produzentin Susanne Odermatt hat sich in den vergangenen Jahren als Spezialistin für Dramen einen Namen gemacht. Jetzt bringt sie eine Komödie auf die Bühne. mehr