von Maria Schorpp, 26.07.2018
Der Kreativator
Traumwelten haben im Leben des See-Burgtheaterleiters Leopold Huber eine bedeutende Rolle gespielt. Als Regisseur ist er davon überzeugt, dass in den Schauspielern 20.000 Jahre Menschheitsgeschichte wachgerufen werden kann.
Schaut man sich heute in der Welt um, sieht man viel Angst. Angst, die lähmt. In „Biedermann und die Brandstifter“, der aktuellen Inszenierung des See-Burgtheaters, spielt sie mit den Menschen ihr böses Spiel. Was Angst auch bewirken kann, ist zu erfahren, wenn Leopold Huber aus seinem Leben erzählt. Bei ihm war es die Angst vorm Pferd. Das Pferd war Teil des elterlichen Bauernhofs im oberösterreichischen Mühlviertel. Während Hubers Geschwister einfach unterm Pferdebauch durchliefen, war dem kleinen Leopold das grosse Pferd nicht geheuer. Und das Traktorfahren erst recht nicht. Panik beim leichtesten Kippen. Das war der allererste Anfang des Leopold Huber als Regisseur, Autor und Filmemacher.
Ängstlich wirkt der Mann, der seit 1994 mit seiner Frau, der Schauspielerin Astrid Keller, das See-Burgtheater leitet, freilich nicht mehr. Ist alles lange her, und das eine oder andere Erfolgserlebnis dürfte auch zu einem gefestigten Selbstvertrauen geführt haben. Der Unterschied zwischen Menschen, die sich von der Angst lähmen lassen, und denjenigen, die sie als Sprungbrett nutzen, ist unter anderem wohl der: Letztere können sich eine Gegenwelt schaffen, zuerst in der Phantasie, dann in der Realität. In seinem bei den Biberacher Filmfestspielen ausgezeichneten Film „Mirakel“ von 1991 erzählt Leopold Huber von einem kleinen Jungen, der sich in einer Traumwelt ein Dorf aus Schnee baut.
Der Regisseur sitzt im Innenhof der Kreuzlinger Seeburg, wo alles anfing vor 28 Jahren mit dem See-Burgtheater. Im Gegensatz zu Astrid Keller gehörte er nicht zum Gründungsteam, gemeinsam haben die beiden das freie Theater indes zu dem gemacht, was es heute ist. Ein fast schon existenzieller Zweifel nagt nach wie vor an dem Thurgauer Kulturpreisträger des Jahres 2013 und auch ansonsten mehrfach Ausgezeichneten. Eines seiner Lebensgeheimnisse könnte sein, dass er sofort ein Gegenmittel weiss: „Ich halte mich da an Goethe, der sagt, mit dem Wissen wächst der Zweifel.“
Eine Kostprobe dieses unglaublichen Gedächtnisses, das scheinbar beliebig viele Zitate, Anekdoten und Theatertheorien ausspucken kann und für das Leopold Huber geradezu berühmt ist. Was er im Übrigen für kleine Listen nutzt. Der weisse Zaun und das Feuerwehrauto in der „Biedermann und Brandstiftung“-Inszenierung sind nicht nur typischen Sommertheaterelementen geschuldet, sondern tatsächlich auch ein Zitat aus David Lynchs Film „Blue Velvet“. Das Lesen und sich Umschauen waren Erweckungserlebnisse, die Huber letztlich die Welt als Autor, Filmemacher und Theatermann eröffneten, und sind bis heute wichtige Bestandteile zur Vorbereitung seiner Inszenierungen. Kommt man ihm eilfertig mit eigenem Angelesenem zum jeweiligen Stück, geht er höflich darauf ein, anzumerken, dass das von ihm längst zur Kenntnis genommen wurde, kalter Kaffee sozusagen, würde ihm nie einfallen.
Inspirationsquelle für Leopold Huber: David Lynchs «Blue Velvet»
Leopold Huber, der seit 2006 die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt, begegnet den Menschen mit Respekt. Insbesondere als Regisseur. „Ich habe keine Freude an Macht. Das einzige, was eine Rolle spielt, ist meine Kompetenz. Ich bereite mich immer sehr gut vor.“ Druck- und Angstmacherei ist für ihn kontraproduktiv. „Wenn sich die Menschen in einer geschützten Atmosphäre befinden, sind sie am kreativsten. Meine Aufgabe sehe ich darin, sie zu ihrer grössten Kreativität zu animieren.“ Die Schauspieler erst einmal ausprobieren lassen, „auch wenn es Umwege sind. Da kommen oft Dinge heraus, von denen man gar nicht gewusst hat, dass sie drinstecken.“
Selbst die penibelste Vorbereitung kann dann über den Haufen geworfen werden. Es hat sich dann einfach etwas anderes entwickelt, bestenfalls etwas aus dem Unbewussten heraus. Die „geheimen Triebfedern des Herzens blosslegen“, wird alsbald Antonin Artaud zitiert, der französische Theater-Allrounder. Dass das Unbewusste hier Erwähnung findet, ist kein Zufall. Parallel zu seinem Schauspiel- und Regiestudium am Max Reinhardt-Seminar hat Leopold Huber in Wien an der Universität einige Semester Psychologie und Psychiatrie studiert, bis er sich ganz fürs Theater entschied. Wer sich manchmal wundert, wie gerade junge Schauspieler Verbrechen, Tod und Wahnsinn spielen können, bekommt von ihm eine Antwort: „In uns sind 20.000 Jahre Menschheitsgeschichte gespeichert. Wir wissen Bescheid über alle Mörder, Huren und Heilige. Es gilt auf den Proben, den Zugang dazu zu finden.“
In einem Film von Douglas Wolfsperger spielte er einen Totengräber
Beinahe wäre aus Leopold Huber selbst ein Schauspieler geworden. Als er, mit einer Matura als Textiltechniker in der Tasche, beim Aufnahmegespräch am Max Reinhardt-Seminar ausmalte, wie er Shakespeares „Macbeth“ inszenieren würde – basierend auf Bücherwissen und jugendlicher Vorstellungskraft beim Stallausmisten – hat sich die Jury derart belustigt, dass sie ihn ins Komiker-Fach verwies. Der anschliessende Sprachunterricht bescherte dem Mann mit dem prägnanten Idiom allerdings ein geradezu philosophisches Dilemma. „Nach einem halben Jahr konnte ich nicht mehr richtig sprechen. Ich müsste wahrscheinlich anders denken, wenn ich anders reden würde.“ Es gibt noch Filme mit ihm als Schauspieler. Unter anderem einen von Douglas Wolfsperger, in dem er einen Totengräber spielt. Heute traut er sich nur noch nach der Premiere auf die Bühne, um sich vor dem Publikum zu verneigen.
Als das See-Burgtheater 1990 anfing, stand das sommerliche Freilichttheater generell unter Verdacht, kein seriöses Theater zu sein. Das Credo schon der See-Burgtheatergründer Hans-Ruedi Binswanger und Gregor Vogel war dagegen, Sommertheater genau so ernst zu nehmen wie Theater in einem festen Haus. Es verschrieb sich dem kritischen Volkstheater. Mit seiner Professionalität wurde das See-Burgtheater, das später auf den Girsberg umzog, um sich zurück im Seeburgpark eine Seebühne zu bauen, zur Avantgarde für Sommerevents weit über die Bodenseeregion hinaus. Mit dem Ergebnis, dass die Konkurrenz erheblich gewachsen ist. „Mittlerweile gibt es viele rundherum. Aber das interessierte Publikum wird nicht mehr. Wenn man die Qualität halten will, muss man Reserven haben. Die haben wir im Gönnerverein. Gerda und René Imesch-Rohrbach sind super Präsidenten.“
«Das interessierte Publikum wird nicht mehr. Wenn man die Qualität halten will, muss man Reserven haben.»
Leopold Huber, Regisseur
Neben dem Sommertheater inszeniert Leopold Huber schon seit einigen Jahren auch Opern und Operetten. Und da kommt wieder der Bauernhof im Mühlviertel ins Spiel. Dort gab es nicht nur das Pferd und den Traktor, sondern auch einen musizierenden Vater, der seinen Sohn zwar als Bauer für untauglich erklärte, dafür aber umso stolzer war, als der Achtjährige auf der Klarinette mitzuspielen begann. Heute macht Leopold Huber mit seinen Kindern Valentin, Silvan und Maria gemeinsam Musik.
Ob er heute unterm Pferd durchlaufen oder angstfrei auf einen Traktor sitzen würde, müsste man ihn noch fragen.
Termine: Die aktuelle Inszenierung von Leopold Huber «Biedermann und die Brandstifter» ist noch bis zum 9. August auf der See-Bühne in Kreuzlingen zu sehen. Tickets gibt es über die Internetseite des Theaters: www.see-burgtheater.ch
Bilderstrecke: Szenen aus der Inszenierung «Biedermann und die Brandstifter» (Fotos: Mario Gaccioli)
Video: arttv.ch zur aktuellen Biedermann-Inszenierung
Von Maria Schorpp
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