von Kirsten Astor, 27.09.2019
Karriereschub dank Teichlinse
Erstmals vergab das Kompetenzbündel Thurgau Wissenschaft den Forschungspreis Walter Enggist. Drei Kandidaten waren für die Endrunde nominiert. Die Gewinnerin ist Dr. Meret Huber mit ihrer Forschung über das Erbgut der Vielwurzligen Teichlinse. Was abstrakt klingt, hat durchaus Bedeutung für das Leben im Thurgau
Markus Huber zückt sein Smartphone. „Gewonnen!!!“, schreibt er seiner Tochter kurz und knapp per Whatsapp. Ihre Antwort an den Papa im fernen Frauenfeld: „Danke, danke!“ sowie zwei Smileys. Meret Huber erfuhr auf digitalem Weg, dass sie an jenem Abend die erste Preisträgerin des neuen Forschungspreises Walter Enggist geworden war. Zur Preisverleihung konnte die 32-Jährige nicht selbst kommen – aus einem schönen Grund: Meret Huber erwartet in diesen Tagen ihr drittes Kind und wohnt in Münster in Deutschland.
Erstmals vergab das Kompetenzbündel Thurgau Wissenschaft den mit 15.000 Franken dotierten Forschungspreis Walter Enggist. Kantonsbibliothekar Bernhard Bertelmann sagte zu Beginn der Preisverleihung in der Aula der Kantonsschule Frauenfeld: „Die Qualität der 14 eingereichten Arbeiten ist ein eindrückliches Zeugnis dafür, was die Wissenschaft hier leistet. Ja, der Thurgau schafft Wissen!“, rief er freudig und bat anschliessend die Nominierten, dem Publikum ihre Forschung kurz darzustellen.
Die drei Nominierten forschen auf ganz unterschiedlichen Feldern
Die Drei bedienten ganz unterschiedliche Felder: Während sich der Biotechnologe Michael Basler mit der Immunabwehr von Zellen beschäftigte und Hemmstoffe testete, die die Ausschüttung von krankheitserregenden Botenstoffen vermindern, widmete sich der Historiker Jonas Komposch dem Generalstreik 1918 im Kanton Thurgau. Die abwesende Meret Huber erläuterte per Videobotschaft, woran sie gearbeitet hatte: „Low genetic variation is associated with low mutation rate in the giant duckweed“, heisst ihre Arbeit. Der Titel ist sperrig, die Erkenntnisse wichtig: Huber beschäftigte sich mit der Veränderungsrate im Erbgut der Vielwurzligen Teichlinse. Diese Pflanze bedeckt ganze Seen und wächst auch im Thurgau. Ihre Erkenntnisse können dem Erhalt gefährdeter Arten dienen.
Dann wurde es sehr ruhig in der Aula der Kantonsschule. Als Vorsitzende der Beurteilungskommission trat Professorin Sibylle Minder Hochreutener nach vorne und sagte: „Alle drei Nominierten hätten den Preis verdient, aber Meret Huber war eine Nasenlänge voraus. Sie beschäftigte sich mit einer völlig unspektakulären Pflanze, doch angesichts der Diskussion um Biodiversität ist ihre Arbeit hoch aktuell.“ Minder Hochreutener lobte auch die Methodik des Forschungsteams um Meret Huber an der Universität Münster: „Sie hat modernste genetische Analysemethoden eingesetzt – und dies in aufwändiger Fleissarbeit. Die Arbeit zeugt von einer hohen wissenschaftlichen Qualität, die durch die Publikation in der renommierten Fachzeitschrift ‚Nature Communications‘ unterstrichen wird“, so die Professorin.
Frühe Liebe zur Natur
Vater Markus Huber, der in Vertretung seiner Tochter den Preis entgegen nahm, sagte gegenüber thurgaukultur.ch: „Ich freue mich für eine leidenschaftliche Forscherin und Mutter. Ihre Arbeit ist ein Ausdruck ihrer Liebe zur Natur.“ Schon als Zehnjährige habe Meret Huber Naturforscherin werden wollen: „Sie war erst fasziniert von Enten, später von Pflanzen“, so der Vater. Besonders freue er sich, dass es seiner Tochter durch den Preis nun leichter fallen dürfte, Karriere und Familie unter einen Hut zu bekommen.
Genau dies bestätigt die Gewinnerin selbst, als wir sie per Mail erreichen: „Natürlich bin ich äusserst glücklich über diese Ehrung meiner wissenschaftlichen Arbeit. Insbesondere, da es sich um das erste unabhängige Forschungsprojekt nach meiner Promotion handelt und in einer bewegten Lebensphase um die Geburt meines zweiten Kindes entstand. Der Preis bestärkt mich darin, trotz Mutterschaft weiterhin eine wissenschaftliche Laufbahn zu verfolgen. Diese Auszeichnung wird mir dabei sicherlich hilfreich sein.“
Eine Überraschung zum Schluss
Nach der Laudatio auf die junge Wissenschaftlerin war der Abend aber noch nicht vorbei. Regierungsrätin Monika Knill, Leiterin des Departements für Erziehung und Kultur, hatte noch eine Überraschung parat: „Wir vergeben heute einen weiteren Preis zum ersten Mal“, sagte Knill in ihrer Funktion als Präsidentin der Thurgauischen Stiftung Wissenschaft und Forschung. „Die Stiftung hat entschieden, einen neuen Nachwuchsforschungspreis auszuloben.“ Dieser ging im ersten Jahr an Jonas Komposch, der für seine Magisterarbeit „Landtrottel gegen Grossstadtpöbel. Stadt-Land-Diskurs und Bauernstandsideologie während des Generalstreiks 1918 im Kanton Thurgau“ ausgezeichnet wurde. „Die Arbeit rückt den Fokus auf die bisher kaum beachtete, ländlich-periphere Sicht“, begründete Monika Knill in ihrer Laudatio den Juryentscheid. Bislang sei der Landesstreik vor allem auf der urbanen Quellenbasis betrachtet worden. „Jonas Komposch schliesst damit auch eine Lücke in der Sozialgeschichte des Kantons Thurgau“, so Knill. Der Nachwuchspreis ist mit 3.000 Franken dotiert.
Der 30-Jährige freute sich über die Auszeichnung. Mit dem Preisgeld möchte er sich eventuell einem weiteren spannenden Thema widmen: „Es steht der Vorwurf im Raum, dass Milch aus dem Thurgau im Ersten Weltkrieg nicht an die eigene Bevölkerung verkauft wurde, sondern dass Bestandteile davon in Deutschland in Munition verwendet wurde. Dies müsste man prüfen“, so Komposch. Gleichzeitig gratulierte er Meret Huber zum Walter-Enggist-Preis: „Mit ihrer beeindruckenden Karriere hat sie ihn absolut verdient.“
Hintergründe zum Preis
Wer war eigentlich Walter Enggist? Der Mann, nach dem dieser neue Forschungspreis benannt ist, lebte von 1948 bis 2016 und stammte aus Frauenfeld. In seinem Testament bestimmte er, dass sechs Millionen Schweizer Franken je zur Hälfte an das Amt für Archäologie und die Kantonsbibliothek Thurgau vermacht werden sollen. „Ich würdige damit den Beitrag des Kantons Thurgau an der Grundsteinlegung meiner Karriere“, schrieb der ausgebildete Bauingenieur in seinem letzten Willen. Warum genau diese beiden Stellen mit so viel Geld bedacht wurden, begründete der Erblasser nicht. Und was genau damit finanziert werden soll, machte er ebenfalls nicht vor seinem Tod deutlich. Dr. Hansjörg Brem, Leiter des Amtes für Archäologie, sagte bei der Preisverleihung: „Wir müssen die Zweckbestimmung des Erbes selbst festsetzen.“ Die Entscheider gehen davon aus, dass Walter Enggist ein Forschungspreis unter seinem Namen gefallen hätte. Der Preis soll jährlich vergeben werden. Regierungsrätin Monika Knill: „Die künftige Verleihung ist ein Zeichen der Wertschätzung für die Thurgauer Wissenschaft.“
Die drei Nominierten: Dr. Meret Huber absolvierte ihre Matura an der Kantonsschule Frauenfeld, erlangte den Master in Biologie an der Universität Zürich, promovierte am Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena und ist nun Nachwuchsforschungsgruppenleiterin an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Privatdozent Dr. Michael Basler besuchte die Kantonsschule Winterthur, studierte Biochemie an der ETH Zürich und erlangte seinen Doktortitel an der Universität Konstanz. Jonas Komposch wuchs in Herdern im Bezirk Frauenfeld auf und studierte an der Universität Zürich Geschichte. Mit seiner Masterarbeit bewarb er sich beim Walter-Enggist-Preis. Er arbeitet als Redaktor in Bern.
Die Forschung der Gewinnerin: Meret Huber und ihr Team beschäftigten sich mit dem Erbgut der Teichlinse. „Oft werden Pflanzen erforscht, die sich sexuell über Bestäubung vermehren, aber ein Grossteil verbreitet sich klonal“, erklärte Meret Huber per Video. Die Nachfolger sind also perfekte Kopien ihrer Mutterpflanzen. Hubers Nachwuchsgruppe untersuchte das Erbgut der Teichlinse, die mit 150 Millionen Bausteinen vergleichsweise simpel aufgebaut sei. „Wir haben eine Mutterpflanze über 20 Generationen fortgepflanzt und das Erbgut der ersten und letzten Pflanze verglichen“, so Huber. Erstaunlich sei gewesen, dass die Wissenschaftler dabei nur eine einzige Veränderung entdeckten. Dies verleitete Meret Huber zu der Erkenntnis, dass eine niedrige genetische Diversität mit einer niedrigen Mutationsrate zusammenhängt. Meret Huber geht es auch um Artenschutz: Mit dem Preisgeld möchte sie untersuchen, wie schädlich der Einfluss von giftigen Unkrautbekämpfungsmittel (Herbiziden) auf das Erbgut ist – und zwar über mehrere Generationen einer Pflanze hinweg. Dieses Herbizid wird unter anderem im Thurgau vor der Kartoffelernte eingesetzt. (kis)
Von Kirsten Astor
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