von Kirsten Astor, 07.03.2018
Auf der Suche nach dem Paradies
Eigentlich wollte die Autorin Christine Zureich nie wieder in der Provinz leben. Doch dann zog sie aus der Grossstadt zurück nach Konstanz und fand hier die Inspiration für ihren ersten Roman „Garten, Baby!“. Der Thurgau spielte dabei eine entscheidende Rolle.
Von Kirsten Schlüter
Die Losung im Freundeskreis war eindeutig: „Nie wieder eine Stadt ohne U-Bahn“, dachten Christine Zureich und ihr Umfeld vor ein paar Jahren, glücklich in der Grossstadt Frankfurt. In der Provinz versauern, in der man aufgewachsen war? Nein danke. Doch das Leben spielte anders. Es gab der freien Übersetzerin, Sprachtrainerin und Museumspädagogin sowie ihrem Mann und der kleinen Tochter damals einen Tritt: Eigenbedarfskündigung der Wohnung. „Dabei hatten wir in Frankfurt schon zwei Jahre lang nach einer grösseren Bleibe gesucht“, sagt Zureich. Dann eben Neuorientierung, Träume sammeln. „Mein Mann ist Architekt und wollte in der Schweiz arbeiten; es wurde Weinfelden“, erzählt die Autorin. Für sie bedeutete das: Zurück in ihre Heimatstadt Konstanz. Rückblickend stellte sich das als richtiger Schritt heraus, denn Christine Zureich veröffentlichte gerade ihren ersten Roman „Garten, Baby!“ Den Anstoss dazu gab ihr ein Schweizer Schreibnetzwerk.
Der Weg zum eigenen Namen auf dem Cover war allerdings schwer. „Während der Spielplatzjahre als junge Mutter in Konstanz fand ich keine Freunde, die meine Bedürfnisse als Schreibende teilten, ich fühlte mich abgeschnitten“, sagt die 45-Jährige. Doch dann öffnete sie ihren Blick, über die Grenze hinaus. Und plötzlich fühlte es sich richtig an: „Ich entdeckte den Thurgau und auch Zürich als meine neue, alte Heimat. Seither wirkt das hier für mich weiter, offener, grösser. Provinz hat vor allem etwas zu tun mit unseren Köpfen, mit den Grenzen, die wir gedanklich nicht überschreiten – mehr jedenfalls als mit Geografie“, findet die Autorin. Sie fand Gefallen an den Schweizern als „unaufgeregte, sehr angenehme Zeitgenossen, die weniger platzhirschig sind als viele Deutsche“.
Über das Schreibwerk Ost entstand der Roman
Geschrieben hatte Christine Zureich zwar schon seit der Geburt ihrer Tochter vor zehn Jahren. Doch erst vor drei Jahren setzte sie sich bei einer einjährigen Schreibwerkstatt der Autoren Michèle Minelli und Peter Höner auf dem Iselisberg bei Frauenfeld so richtig mit Schreibtechniken und dem eigenen Scheitern auseinander. „Endlich sass ich unter Gleichgesinnten und musste mich nicht erklären. Das war Tacheles auf Augenhöhe“, lobt Zureich. Über das Schweizer Netzwerk wurde auch der Samen für ihren ersten Roman gesät. Bei einem Dachterrassentag in Zürich waren kurze Texte zum Thema Wildwuchs gefragt. „Mein Beitrag kam bei den Leuten gut an, also erwuchs die Idee, daraus ein ganzes Gartenjahr zu füllen“, so die Autorin.
Gesagt, getan. Zwar hatte Christine Zureich nie zuvor über Gärten geschrieben, aber das Thema packte sie. Schliesslich hatte sich ihre Familie in Frankfurt ebenfalls ein Stück Grün mit Nachbarn geteilt. „Das ist schlimmer als eine Wohngemeinschaft“, sagt sie und lacht. „Man kann sich die Mitgärtner ja nicht aussuchen.“ Ist Gärtnern spiessig? „Ja klar, allein schon der Streit darüber, ob nun Nutz- oder Zierpflanzen zur Straße hin gepflanzt werden, weil da die Leute vorbeilaufen“, so Zureich. Gärtnern sei stark mit Kultur und Individualität verknüpft, fast jeder könne eigene Gartengeschichten erzählen. Genug Stoff also für einen Roman. Christine Zureich erzählt ihn episodenhaft, in 20 Kapiteln. Die Hauptfiguren sind die Mittdreissiger Doro und Rob (Übersetzerin und Architekt), die sich im Hinterhof ihres Mietshauses in der Grossstadt (Frankfurt, obwohl nicht explizit benannt) gärtnerisch verausgaben können. Dabei interagieren sie mit vielen unterschiedlichen Mitmietern, darunter exzentrische Persönlichkeiten. Der Garten fungiert als verbindendes Element, wird zur eigenen handelnden Person. Bis Doro am Ende feststellt, dass ein Leben in der Provinz doch auch denkbar wäre.
Autobiografische Züge ja, aber die eigene Geschichte ist es nicht
Trotz der vielen autobiografischen Züge ist „Garten, Baby!“ keine Autofiktion. „In mir steckt zwar einiges von Doro, aber auch jede andere Figur bin irgendwie ich“, erklärt Christine Zureich. Sie wollte mit ihrem Gartenroman das Zusammenleben unterschiedlicher Charaktere beleuchten, die Leichtigkeit von Veränderungen, die unterschiedliche Normalität. Inzwischen bastelt sie an ihrem zweiten Buch, Thema noch geheim.
Das alles erzählt die Autorin in der feucht-warmen Luft des Konstanzer Palmenhauses, in dem neben einem Teich voller Goldfische ein Holztisch und eine Bank zum Arbeiten einladen. Hier schreibt Christine Zureich gern – so wie auch in Cafés. Das war es aber auch schon mit dem Klischee vom Schriftsteller, der in den Tag hineinlebt und nur zu Papier und Stift greift, wenn ihn die Muse küsst. „Meine Arbeitsauffassung ist sehr bieder“, sagt die 45-Jährige. „Ich mache meiner Tochter Frühstück, kehre die Krümel zusammen und setze mich an den Computer – ob es läuft oder nicht. Manchmal bin ich selbst überrascht, wie viel dabei herauskommt, selbst wenn ich mal keine Lust habe.“ Christine Zureich ist inzwischen glücklich abseits der Grossstadt, sie hat ihren eigenen Garten Eden gefunden. Passenderweise im Konstanzer Stadtteil Paradies.
Die Autorin, das Buch, die LesungDie Autorin: Christine Zureich, 45 Jahre alt, wurde in den USA geboren, zog aber mit ihrer Familie im Alter von einem Jahr nach Konstanz. Sie studierte Volkswirtschaftslehre und Amerikanistik in Tübingen, Frankfurt und Uppsala (Schweden). Nach einem Museumsvolontariat in Saarbrücken beim stillgelegten Eisenwerk Völklinger Hütte machte sie sich in Frankfurt mit „einem bunten Strauss an freiberuflichen Aktivitäten“ selbstständig. Zureich war Museumspädagogin, Übersetzerin, sprach Trickfilme ein, übernahm Lektorate. Heute lebt sie mit ihrem Mann und der zehnjährigen Tochter in Konstanz.
Das Buch: „Garten, Baby!“ erschien im Ullstein fünf-Verlag, hat 176 Seiten und kostet 16 Euro (etwa 18,50 Franken). ISBN: 13 9783961010158.
Die Lesung: Christine Zureich liest aus ihrem ersten Roman am Freitag, 9. März, 20 Uhr, in der Buchhandlung Osiander in Konstanz (Rosgartenstraße 29). Der Eintritt kostet fünf Euro. Und wer ebenfalls gern mit Papier und Stift experimentiert, kann am Schreibfestival über den Kreuzlinger Dächern teilnehmen. Am Samstag, 23. Juni, wird von 13 bis 19 Uhr die Dachterrasse des Begegnungszentrums Trösch (Hauptstrasse 42) zur Oase des Schreibens. Vorerfahrungen sind nicht erforderlich. Mehr: www.franziskaschramm.de/schreibevent
Der Textausschnitt: Pippa streckt sich, Hände über dem Kopf. „Das wichtigste Einzelfeature beim Urban Garden ist – “, sagt sie, Finger klimpern in der Luft, „Vertikalität!“ Sie öffnet die Augen, lächelt mir ins Gesicht. „Aus Platzmangel in Etagen pflanzen! Dachterrassen, Hochbeete, grüne Lagerregale.“ Haben wir zu viel Garten für einen Urban Garden? Nach vorn raus zur Straße hin, das Vorgärten, vielleicht fünfundzwanzig Quadratmeter, hinten höchsten hundert. (…) Gartenträume? Hatten wir nicht, Rob und ich auf Wohnungssuche, das erste Mal zusammen. Architekt und Übersetzerin: Wir konnten froh sein, den Zuschlag zu kriegen. Bezahlbare Miete, zentrale Lage. Garten? Garten war noch Vorort, ganz und gar nicht hip, drei Jahre her.
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Von Kirsten Astor
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