von Simon Engeli, 05.04.2024
Vorausblicken mit Prometheus
Mein Leben als Künstler:in (17): Simon Engeli über die Angst vor Neuanfängen und seine künftige Aufgabe beim See-Burgtheater in Kreuzlingen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Schon ist er da, mein fünfter und letzter Text für diese Staffel der Kolumnenserie „Mein Leben als Künstler:in“. Es war mir eine grosse Freude, Teil des Autorenteams zu sein, Einblicke in die Arbeitswelt meiner Kolleginnen und Kollegen zu erhalten und meine eigenen Gedanken mit Ihnen allen teilen zu dürfen!
Vielleicht erinnern Sie sich ja noch an meine erste Kolumne mit dem Titel „Ich muss kein Theater machen“, worin ich zurückblickte auf meine ersten Theatererfahrungen und meine Ausbildung an der Scuola Teatro Dimitri. Jetzt, für meinen letzten Beitrag, will ich auch noch nach vorne blicken. Auf das nächste grosse Theaterabenteuer, das vor mir liegt.
Da passt es ja ganz gut, dass die Inszenierung, von der ich erzählen will, den Titel „Prometheus“ trägt. Prometheus ist der rebellische Titan aus der griechischen Mythologie und sein Name bedeutet übersetzt „Der Vorausdenkende“ oder „Der Vorausbedenker“. Und es geht mir wie meinem antiken Idol, wenn ich die kommenden Monate vorausbedenke: Ich sehe Hoffnungsvolles, und ich sehe Beängstigendes.
Eine neue Aufgabe als Theaterleiter
Noch blüht der Magnolienbaum vor meinem Fenster, doch bereits im Juni starten die Proben für das diesjährige See-Burgtheater in Kreuzlingen. Vor gut zwei Monaten haben wir die Medien über die Zukunft des Openairtheaters am Bodensee orientiert: Auf die Gründer und langjährigen Leiter Astrid Keller und Leopold Huber folgt als neues Leitungstrio Rahel Wohlgensinger, Giuseppe Spina und ich.
Bevor die Intendanz ab nächstem Jahr vollständig in unsere Hände übergeht, bin ich diesen Sommer für Text und Regie verantwortlich, während Leopold Huber noch die Produktionsleitung innehat. Es war eine kluge Entscheidung, diese Überlappung von Anfang an einzuplanen.
Die bange Frage: Werden wir den Erwartungen gerecht?
Die Kaffees und Telefongespräche mit dem alten Schlachtross tun gut, und seine teilweise aberwitzigen Theaterkamellen aus den vergangenen 35 Jahren relativieren manche Regiesorge der aktuellen Arbeit.
Trotzdem, die Übernahme dieser neuen Aufgabe hat auch etwas Beängstigendes. Werden wir den Erwartungen und Anforderungen gerecht werden? Können wir das Seeburgtheater nach seiner beeindruckenden Vergangenheit auch in eine erfolgreiche Zukunft führen? Dem hoffnungsvollen Tatendrang hält eine gehörige Portion Respekt die Waage.
Mitten in den Vorbereitungen
Am 11. Juli wird sie über die Bühne gehen, die Premiere von „Prometheus“. So oder so. Und wenn mir beim Gedanken daran wieder einmal halb schlecht wird, dann denke ich einfach an mein fantastisches Team, mit dem ich dieses Stück erarbeiten darf.
Da sind Judith Bach und Giuseppe Spina in den Hauptrollen als Prometheus und Zeus. Da ist die frisch gebackene Thurgauer Kulturpreisträgerin Rahel Wohlgensinger als Puppenspielerin, da sind die wunderbaren Schauspielerinnen und Schauspieler Sabina Deutsch, Moira Albertalli, Augusta Balla und Georg Melich. Da sind tolle Musiker, erfahrene Pyrotechniker, ideenreiche Figurenbauer, bewährte Techniker und und und. Theater ist Mannschaftport, und auf diese Theatermannschaft freue ich mich ungemein!
Vom Befreier zum autokratischen Herrscher
Die Idee eines Prometheus-Stückes beschäftigt mich nun schon seit einiger Zeit. Was mich an der sogenannten „Generationenfolge“ der verschiedenen Göttergeschlechter (Uranos - Kronos - Zeus) fasziniert, ist ihre Anwendbarkeit auf die zeitgeschichtliche Dynamik von Revolutionen: Denn oft schlägt die Machtgier ihre Krallen in die Hoffnung, dass nun alles besser wird – aus ehemals charismatischen Aktivisten wird die nächste Riege autokratischer Herrscher.
Das Titanenkind Prometheus ist dabei ein Hoffnungsträger, der sich auch im Angesicht roher Gewalt die Menschlichkeit bewahrt. Und bereits vor zehn Jahren tauchte bei mir als Bühnenbild eine realistische, zeitgenössische Baustelle auf, in der ich die mythologische Fantasy-Welt spielen lassen wollte: „Die Götter bauen sich ihre neue Welt“.
Aus Baustellenmaterial sollen meterhohe Grossfiguren entstehen, aus einem harmlosen Bagger wird ein feuerspuckendes Monster. Das Baugerüst wird zum Olymp, und aus der Erde in der Baumulde werden die ersten Menschen geformt. Die Transformation von Alltäglichem in Fantastisches, Vorstellungskraft und Theatermagie – das ist ganz nach meinem Geschmack.
Ideen sind überbewertet
Jetzt ist Anfang April, vieles ist auf den Weg gebracht. Das Ensemble steht, die Bühnenbildentwürfe sind weit fortgeschritten, das Skript geht in seine letzte Fassung. Selbst die Pakete aus Berlin von unseren Puppenbauern sind schon angekommen. Und dennoch gibt's noch unheimlich viel zu tun bis zur Premiere.
Eine simple Inszenierungsidee kann dabei zur echten Knacknuss werden. Die Ideen selbst sind dabei selten ein Problem, die gibt's gratis zuhauf. Ihre konkrete Umsetzung ist die eigentliche Arbeit von uns Theatermachern. Ohne Abstriche am makellosen Ideen-Bild im Kopf geht es dabei selten, zu mächtig sind die physikalischen, finanziellen oder organisatorischen Rahmenbedingungen.
Abschrecken lassen darf man sich trotzdem nicht, dieser Kampf muss nun mal geführt werden, von der ersten Idee bis zur letzten Show, immer wieder aufs Neue.
Von Prometheus lernen
Prometheus hätte an unserem Beruf wohl seine Freude gehabt (oder er hat sie immer noch, schliesslich ist er ja unsterblich). Das Tun, das Handeln und Umsetzen war seine Sache wie die unsrige.
Am Ende unseres Stückes fasst er den verzweifelten Entschluss, der kalten, brutalen und totalitären Diktatur des Zeus etwas Verletzliches, Sterbliches, Unvollkommenes entgegenzusetzen. Aus Erde und Wasser formt er zwei Menschenfiguren und haucht ihnen (mit Hilfe der Ziege Amalthea) Leben ein.
Ein Zeichen der Hoffnung
Diese kreative Tat war das Aufbegehren eines subversiven Künstlers, der sich zwar seiner Ohnmacht bewusst ist, aber dennoch nicht anders kann, als ein Zeichen der Hoffnung zu schaffen.
Wenn angesichts der bevorstehenden Monate und dem grossen Theaterabenteuer das Beängstigende und das Bangen überhand zu nehmen drohen, dann denke ich an das Titanenkind Prometheus. Er gibt mir Zuversicht und Hoffnung.
Es geht weiter! Zweite Staffel der Serie «Mein Leben als Künstler:in» läuft!
Die zweite Staffel der Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in» ist gestartet. Dieses Mal schreiben diese vier Künstler:innen Geschichten aus ihrem Leben:
- Simone Keller, Pianistin
- Simon Engeli, Schauspieler, Regisseur, Theatermacher
- Rahel Buschor, Tänzerin
- Sarah Hugentobler, Videokünstlerin
Alle Beiträge der ersten Staffel gibt es gebündelt im zugehörigen Themendossier.
Die Idee: Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.
Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.
Bereits zwischen Juni und Oktober hatten die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit berichtet. Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier
Von Simon Engeli
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Kommt vor in diesen Ressorts
- Kolumne
Kommt vor in diesen Interessen
- Schauspiel
Ist Teil dieser Dossiers
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