von Andrin Uetz, 14.03.2023
Von Algorithmen und anderen Göttern
„Modern Gods“ heisst das neue Album des Thurgauer Perkussionisten Fabian Ziegler. Es geht um die heutige Beziehung zwischen Mensch und Technik und zeigt die Vielseitigkeit der klassischen Perkussion. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Das Artwork zum Album zeigt einen jungen Mann, der gebannt in ein Smartphone schaut. Beleuchtet vom hellen Licht auf vier Reihen zu sechzehn Silhouetten multipliziert wirkt das von Lauryna Narceviciute gestaltete Cover beim flüchtigen Betrachten wie eine Ansammlung von glänzenden Metallkugeln.
Im Begleittext zum Album wird die heutige Beziehung zwischen Mensch und Technik der Beziehung zwischen Menschen und Göttern in der Antike gegenübergestellt. Früher hätte man sich mühe gegeben die Götter nicht zu verärgern, heute sorge man sich darum, nicht bei den Followern auf Social Media in Ungnade zu fallen.
Der Trailer zum Album “Modern Gods”.
Normalisierung von Gewalt im Internet
Anfang März brachte der Thurgauer Perkussionist Fabian Ziegler sein neues Album „Modern Gods" raus. Darauf sind drei Werke des Neuseeländischen Komponisten John Psathas zu hören. Unter anderem die speziell auf Ziegler zugeschnittene Auftragskomposition „RealBadNow”.
Dafür orientiert sich John Psathas an der Kritischen Theorie von Henry Giroux, welche, etwas verkürzt gesagt, eine Normalisierung von Gewalt im Internet nachzeichnet, und diese in einem neoliberalen System verortet.
Dementsprechend lesen sich die Titel der fünf Sätze wie die Anleitung zu eine politischen Putsch: „I. Individualise the Social” schafft mit elektronischen Klängen und Vibraphon eine ebenso traumartige wie unwirkliche Soundscape. Bei „II. Normalize Catastrophic Imagination” erzeugen repetitive Synthesizer, Klangeffekte und das Trommelspiel von Ziegler eine beunruhigende und cineastische Stimmung. „III. Prepare for Defiant Acts of Radical Imagination” versetzt die Hörerschaft mit einem technoiden Puls, einer groovenden Basslinie und sich überlagernden Vibraphon-Klängen plötzlich in einen Club; durchaus tanzbar!
Video zu “RealBadNow: III. Prepare for Defiant Acts of Radical Imagination”
Nach dem Blutrausch der grosse Kater
Die Club-Euphorie kippt in „IV. Teach appreciation of the Aesthetics of Violence” in einen akustischen Militarismus, der sich aus Klangaufnahmen von Sprechchören, schnellen Rhythmen und nervösen Soundeffekten, wie man sie aus Ego-Shooter-Computerspielen kennt, zusammensetzt.
„V. RealBadNow” kontrastiert diese Unruhe mit einer melancholischen Melodie, welche über einem Klangteppich aus Vibraphon, Elektronik und Soundeffekten sich mehr und mehr in einem diffusen Zustand der Nachdenklichkeit verliert.
Folgt man dem programmatischen Narrativ des Komponisten, so bleibt nach der Ekstase und dem Blutrausch eine sonderbare und beängstigende Leere. Rein musikalisch vermag der Klang an sich zu betören.
Video zum Stück "RealBadNow: V. RealBadNow”
Zwischen Kammermusik und Budget-Orchester
Die zweite Komposition „View from Olympus” wurde bereits 2002 in einer Orchesterversion uraufgeführt. Zusammen mit der Pianistin Akvilė Šileikaite und mit Hilfe von elektronischen Sounds präsentiert Fabian Ziegler hier sozusagen die Budget-Variante.
Zuweilen scheinen die Orchester-Derivate etwas zuviel Raum einzunehmen. Etwa beim furiosen und spektakulären „II. Dance of the Mænads” ist das Korsett der programmierten Sounds gar eng geschnürt, sodass Ziegler und Šileikaite eher der Elektronik nachrennen als umgekehrt. Gleichzeitig erreichen sie damit ein Tempo und eine Energie, die mit einem ganzen Orchester kaum möglich wäre.
Insbesondere das ruhige „IV. Fragments” kann im Vergleich zu älteren Aufnahmen durch eine kammermusikalische Intimität, und einen warmen, jazzigen Klang überzeugen.
Video: “Halo – III. Angelus” zusammen mit der Pianistin Akvilė Šileikaitė
Von wegen unscheinbarer Perkussion im Hintergrund
Richtig gut zur Geltung kommen die Qualitäten des Zusammenspiels von Ziegler und Šileikaite bei der dreiteiligen Komposition „Halo”, welche John Psathas zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter geschrieben habe. „I. Red Halo” erzeugt mit wenigen Akkorden am Piano und einem wunderbar warmen, tiefen Xylophon eine andächtige Stimmung.
„II. Stacia” vermengt eine barocke Kontrapunktik zu einer eingängigen Melange aus Minimal Music und Pop. Und bei „III. Angelus” scheint das Duo im Staccato wortwörtlich abzuheben.
Gesamthaft gelingt es Fabian Ziegler die Vielseitigkeit der klassischen Perkussion aufzuzeigen. Wer sich davon überzeugen will, wie spannend und abwechslungsreich dieses im klassischen Betrieb immer noch etwas unterschätzte Instrumentarium sein kann, kommt am Freitag, 17. März im Rathaus Frauenfeld definitiv auf seine oder ihre Kosten. Dort spielt Fabian Ziegler dann mit seinem Trio Colores das Programm „La Soirée française“.
Das ganze Album „Modern Gods“ bei Spotify
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