von Andrin Uetz, 19.02.2025
Poesie und Pointen
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«Es wie die Sonnenuhr machen» heisst das neue Bühnenprogramm von Julia Kubik und Manuel Stahlberger. Am Samstag waren sie in der Löwenarena in Sommeri zu Gast. thurgaukultur.ch konnte sich einen Platz im rappelvollen Saal ergattern. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
"Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heiteren Stunden nur”, steht auf einer Seite des Poesiebuchs, welches der Liedermacher und Zeichner Manuel Stahlberger dem Publikum vorführt. Auf weiteren Seiten unter anderem Darstellungen von Goethe, der, wie die wenigsten wissen, einer der ersten tätowierten Intellektuellen gewesen sei. Faust I habe er sich auf die Brust tätowieren lassen, Faust II auf den Rücken, weshalb er den auch nie gelesen hätte. Dank dicht gesetzten Pointen vergeht kaum eine Minute ohne schallendes Gelächter im Vortragssaal.
Die Parallelen im Schaffen von Julia Kubik und Manuel Stahlberger sind erstaunlich, und fügen sich beim Bühnenprogramm recht ungezwungen zusammen. It’s a match, wie man im Zeitalter von Dating-Apps zu sagen pflegt. (Obschon das Zeitalter ja angeblich schon wieder vorbei sei). So dialogisieren sie gemeinsam die Saiten-Comics der Zeichnerin und Autorin Julia Kubik, in denen beispielsweise ein überdimensionaler Kürbis als extravagantes Sofa in einer Designerwohnung fungiert. Oder singen über Songs, welche zwar nur mittelmässig seien, aber eben gerade darum einen wichtigen Platz zwischen Single und Hit auf dem Album einnähmen.
Video: arttv.ch über das Bühnenprogramm
Alltägliches und Abgründiges
Aberwitz und Abgrund leben bei den Alltagsgeschichten nicht selten dicht beieinander. So wird in einem Song von einem Besuch beim Geburtstagsfest des Vaters einer Jugendfreundin erzählt, welcher nicht mit dem Besuch seiner Tochter gerechnet hatte. Der Grill sei leider schon aus, es gibt noch etwas Kartoffelsalat, und als die neue Partnerin dann, aufgrund von zuviel Alkohol aber wohl auch aus Unbehagen über ihre Rolle als “böse Stiefmutter” sich auf den Küchenboden übergibt, stellen die unerwarteten Gäste fest, dass auch diese Kartoffelsalat gegessen hatte.
Die Tragik-Komik beleuchtet auch Schattenseiten kleinbürgerlicher Lebensentwürfe, doch tut sie das immer mit viel Empathie und Feingespür. Die von Dominik Kesseli (unter anderem auch Schlagzeuger bei der Band Stahlberger) produzierte Musik gibt zudem mit Synthesizer und Sequenzer der Show den nötigen Twist und vermag das Alltägliche ins Unheimliche zu kippen (man könnte dabei auch an David Lynch denken). Immer wenn das kabarettistische Format mit den vielen Pointen etwas in den Bereich der allzuseichten Unterhaltung zu rutschen droht, setzt die Musik die nötigen Kontrapunkte.
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Kleinkunst und Kulinarik
In der Pause zeichnen einige in ein Poesiealbum, welches das Duo für die Gäste mit einigen Stiften ausgelegt hat. Einzelne gehen vor die Tür zum Rauchen, an der Bar gibt es Getränke. Die Stimmung ist heiter und gemütlich, nicht wenige der Gäste haben das Abendprogramm mit einem Essen im Restaurant Löwen begonnen. Sommeri ist ein beliebtes Ausflugsziel in der Region. Die gewinnende Kombination von Kunst und Kulinarik wird uns auch im zweiten Set weiter begleitet.
So präsentiert Manuel Stahlberger unter anderem Fotos von verschiedensten «Tableaux croquants», also aus Mailänderli-Teig gebackenen Nachstellungen von Kunstbildern und bedeutenden Ereignissen aus Sport und Geschichte. (Kunstfans und Bildungsbürger:innen erkennen die Hommage an Fischli/Weiss, es funktioniert aber auch ohne dieses Vorwissen sehr gut.) So gibt es Szenen aus historischen Fussballspielen zwischen Deutschland und Italien, Winkelried als Grissini-fassendes Mailänderli, aber auch Autompilze sowie die Explosion der Hindenburg mit Pizzateig und Gurken. Alles in allem ein knackig unterhaltsamer Abend.
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