von Dieter Langhart, 27.06.2023
Scheue Tiere gehen ihm in die Fotofalle
Das Museum Kunst+Wissen zeigt noch bis 13. August Tobias Rüegers künstlerische Wildtierfotografie. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Seine Fallen stellt Tobias Rüeger im Wald: Da, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, wo sich die Wege von Wildsauen und Rehen kreuzen und bisweilen ein Dachs herumstreicht. Rüegers Fallen sind Fotofallen, der Wald ist sein Studio, aber wer ihm vor die Linse kommt, weiss er nie im Voraus.
Auch zwischen Diessenhofen und Rheinklingen hat er seine Kamera aufgestellt, etwa auf dem Generalstand, einer Kuppe des Rodenbergs – und prompt einen Gemsbock erwischt; vielleicht, weil er den Flurnamen auf einen Jutesack geschrieben und den Sack im Wald aufgehängt hat. Aber noch nie ist ihm ein Hirsch Modell gestanden.
Am Anfang war ein Dachs
Am Anfang wollte Rüeger einfach nur einen Dachs von einem Ansitz aus einfangen, doch der Dachs wollte nicht. Und zu dunkel war es ohnehin für seine konventionelle Kamera. Also setzte Rüeger auf eine andere Methode, auf die Wildkamera. Sie ähnelt einer Falle, nur schnappt sie nicht zu, sondern löst aus, wenn sich vor der Linse etwas bewegt. Und ob sie ausgelöst hat, weiss Rüeger erst, wenn er sie tagsüber kontrolliert. Der Zufall ist eben stärker als der Wunsch nach dem perfekten Bild.
Weshalb tut Tobias Rüeger das? Der frühere Bauzeichner und Raumplaner will die scheuen Wildtiere nicht wissenschaftlich untersuchen, sondern künstlerisch. Es geht ihm primär um den Überraschungsmoment, und er sucht auch nicht das perfekte Bild: perfekt ausgeleuchtet, perfekte Blenden- und Zeiteinstellung, perfekter Ausschnitt. Seine Bilder sind nicht Beute, nicht Trophäe, sie sind Dokumentation eines ungestellten, eines wahrhaftigen Augenblicks, der sich seiner Einflussnahme entzieht. «Die Tiere sind oft gwundrig, nähern sich meiner Installation, beschnuppern sie.»
Eine Tüftelei mit der Kamera
Ein Rückenschaden hatte Rüeger zu einer Umkehr gezwungen. Er kaufte sich ein GA und fuhr mehr oder minder ziellos kreuz und quer durch die Schweiz, nun kennt er sie wie seinen Hosensack. Dann kaufte er sich die Wildkamera und richtete seinen Fokus neu aus.
Wie geht Rüeger vor bei seiner Arbeit? «Zuerst suche ich nach Tierspuren im Wald, und wenn ich einen guten Ort finde, installiere ich meine Kamera und richte sie aus.» Das sei eine Tüftelei, er weiss ja nicht, woher die Tiere des Nachts kommen und wohin sie verschwinden. «Das kannst du nicht steuern, du kannst nur hoffen.» Nie setzt Rüeger Blitzlicht ein, das würde die Tiere nur verstören und vertreiben.
Bilder aus Brockenhäusern als besonderes Extra
Rüegers fotografische Ergebnisse basieren also auf «Trial and error», auf Probieren und Versagen. Er strebt auch nicht die perfekte oder gar glamouröse Tierfotografie an, baut lieber ein humoristisches Element ein. Er sagt: «Ich habe meine Nische gefunden.» Dazu gehört auch, dass er Bilder aus Brockenhäusern holt und jeweils eines an den Baumstamm hängt, über der Wildkamera. Jedes Foto hat also ein Objekt, das dazu gehört.
Und bisweilen verwendet der Fünfzigjährige ältere Arbeiten wieder, arbeitet also gewissermassen autobiographisch. Eine Website hingegen hat er bewusst nicht. Ihm ist die leise Ironie lieber, die in Wörtern wie «Wachsdumm» aufscheint. Und wenn er ein Bild verkauft, gibt er das zugehörige Flohmarkt-Objekt als «Beifang» dazu.
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