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von Anabel Roque Rodríguez, 15.10.2018

Plädoyer für den Moment

Plädoyer für den Moment
"Enjoy yourself!" Arbeit von Herbert Weber in der Galerie widmertheodoridis | © Anabel Roque Rodriguez

Zwei Fotografen treffen auf zwei Künstlerinnen: Die aktuelle Ausstellung in der Galerie widmertheodoridis ist eine Feier des Jetzt.

Ausstellungsbesuche sind immer eine interessante Übung darin, welche Werke oder Objekte gegenwärtig eine Geschichte für einen bereithalten. In der laufenden Ausstellung der Galerie widmertheodoridis präsentieren vier Künstler ihre Arbeiten mit interessanten Reflektionen zum Jetzt, ohne es vielleicht bewusst zu wollen. Es treffen aufeinander: Zwei Fotografen, Thomas Krempke und Herbert Weber, sowie zwei Künstlerinnen, Joëlle Allet und Liz Jaff, die in ihren herrlichen Installationen das Wesen von Skulptur im gegenwärtigen Augenblick denken.
 
Betritt man die Galerie, werden zwei Werkgruppen von Thomas Krempke gezeigt. Das fotografische Tagebuch «Das Flüstern der Dinge» und die ortsspezifische Installation «Zur Aussicht». Die erste Installation kann vielleicht als bildliches Zitat verstanden werden, denn diese Installation bezieht sich auf Krempkes Tagebuch «Das Flüstern der Dinge». Darin finden sich acht Lebensjahre des Künstlers, in denen eine kleine Kamera und der Drang seine Umgebung durch das Objektiv zu verstehen, seine ständigen Begleiter waren. Ein Tagebuch bietet intime Einblicke, Raum für Reflexionen und kann rückblickend Einsichten zu wiederkehrenden Mustern bieten. Thomas Krempke fotografiert und klebt Bilder in Seiten ein und schreibt seine Gedanken auf, im Original finden sich 2500 Seiten Material aus denen er in dem Künstlerbuch eine Auswahl vorstellt.

Einblick in Thomas Krempkes "Das Flüstern der Dinge"
Einblick in Thomas Krempkes "Das Flüstern der Dinge". Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

Es geht um die Wertschätzung des Alltäglichen bei Krempke

Künstlertagebücher können häufig so fragmentarisch, experimentell sein, dass sie ausser für den eigentlichen Schreiber für keinen anderen mehr Inhalte preisgeben. Anders dieses Buch, dass im Design klassisch bleibt und sich in den Seiten an einen gut lesbaren Text und ein Bild hält. Die Gedanken beschreiben nicht unbedingt die fotografierte Szene, sondern suchen nach Inhalten, halten Beobachtungen fest, werfen Fragen auf und geben Einblicke dazu, was das Denken in Bildern für diesen Künstler bedeutet. Die Stärke des Buches kommt vielleicht durch das unprätentiöse Auftreten: Ein dickes Buch das Zeit gekostet hat, um es zu erstellen und dem Betrachter ebenso Zeit abringt. Es geht hier nicht um kurze Fakten, schnellen Genuss. Im Gegenteil es geht um die Wertschätzung des Alltäglichen. Die Arbeiten von Krempke transportieren eine Haltung gegenüber dem gegenwärtigen Moment und den Versuch diesen konservieren zu wollen, weil er wichtige Lektionen für einen späteren Zeitpunkt haben könnte. Es ist eine Fokussierung auf das Jetzt.

Um diese Thematik geht es auch in der Installation «Zur Aussicht» bei der er über Wochen aus einem kleinen Ausguck der Galerie genau diese begrenzte Aussicht in den Garten fotografiert hat. In dieser Zeit sind 800 Fotografien entstanden, die einer Meditation auf die Banalität des Momentes gleichen. Man muss die Trivialität der Sujets aushalten, das zum Trocknen aufgehängte tropische Bettlaken der Nachbarn, der Lichteinfall auf den Rasen oder die kleine weisse Hundestatuette. Es ist eine Übung in Geduld, im unaufgeregten Alltag eine Poesie zu finden. Die Fotografien werden in einem engen Raum präsentiert, der mit schwarzen Holzplatten um den Ausguck herumgebaut wurde. Dieser neue Raum grenzt sich fast wie ein Störkörper vom restlichen sehr stilsicheren Galerieraum ab und man hat fast den Eindruck als würde sich der Raum dem Stylischen verweigern und in der eigenen Begrenzung nach eigenen Stilmitteln suchen.

"Zur Aussicht": Thomas Krempkes Kubus mit Ausguck
"Zur Aussicht": Thomas Krempkes Kubus mit Ausguck. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

Nicht immer gelingt eine stringente Relation der Bilder

Im oberen Stockwerk geht es mit Fotografien von Herbert Weber weiter. War man gerade noch in der reflektierenden Energie der Bilder von Thomas Krempke präsent, wird man hier mit Expression und Inszenierung konfrontiert. Im Titel «Landschaftsfotografie als eigentliches Ziel» schimmert bereits ein gewisser Sinn für Ironie und Humor des Künstlers durch. Landschaftsfotografie ist ein klassisches Genre für deren Innovation nicht viel Raum bleibt. Herbert Webers Fotografien suchen nach diesem Raum und übertreten diesen. Nicht immer gelingt ihm der Spagat, die Bilder in eine stringente Relation zu bringen und sie erscheinen dadurch eher fragmentarisch. Im Gespräch mit dem Galeristen Jordanis Theodoridis und unter den wachsamen Augen des Galeriehundes Ida, erzählt der Künstler darüber wie er auf seinen Fahrten und Wanderungen in der Landschaft Dinge findet und diese dokumentiert, sie mit Massband vermisst, den Fundort festhält und dann oft als Körper selbst auftaucht und sich dazu positioniert.

Seit 2003 hat Weber begonnen seinen Körper als Sujet zu nutzen. Ihm ist wichtig zu unterscheiden, dass es sich dabei nicht um Selbstporträts handelt, sondern „das Motiv hat sich aus der Notwendigkeit ergeben einen Körper in den Fotografien zu brauchen.“ Macht man sich vom Begriff der Landschaft frei und begreift diesen eher als Raum ergeben sich spannende Szenen, wenn der Künstler Momente überlagert. So taucht ein Abbild eines Steines aus einer älteren Arbeit, die für Regensburg entstanden ist, im nächsten Motiv im New Yorker Stadtraum auf. Ein altes kunsthistorisches Thema über Bild und Abbild, das aber hier eine gewisse Frische erhält.

Gruppenbild mit Hund: Der Künstler Herbert Weber im Gespräch mit dem Galeristen Jordanis Theodoridis. Galeriehund Ida lässt sich davon nicht weiter stören.
Gruppenbild mit Hund: Der Künstler Herbert Weber im Gespräch mit dem Galeristen Jordanis Theodoridis. Galeriehund Ida lässt sich davon nicht weiter stören. Bild: Anabel Roque Rodriguez 

 

Das ganze Projekt ist eher als Prozess zu verstehen

Eine seiner stärksten Arbeiten steht im ehemaligen Kuhstall und nimmt sich die Bodenfliesen zum Thema. Das banale Thema wird fotografisch festgehalten und dann als Objekt präsentiert - die Flachware erhält nun selbst einen Körper. Angelegt als 10er Auflage, wird diese Arbeit aber immer zu einem Unikat, denn Sammler geben die Orte in Auftrag an denen die Fotografien aufgenommen werden sollen und machen sie so zu ortsspezifischen Objekten. «Landschaftsfotografie als eigentliches Ziel» ist vielleicht eher als Prozess zu verstehen und gibt dabei Einblicke wie Fotografie selbst Raum einnimmt, welche Perspektiven man auf Landschaften werfen kann und sucht danach Fotografie als bewusstes Medium einzusetzen.
 
Passend zur herbstlichen Stimmung, wenngleich die Installation bereits seit Mai hier zu sehen ist, findet sich im Garten die Installation «Viento» von Joëlle Allet. Eine Gruppe an metallischen kleinen Windrädern wird durch die Kraft der Natur aktiviert, mal sausen sie schneller, mal kaum wahrnehmbar. Die silberne Oberfläche schimmert in der Sonne. Die Arbeiten der Künstlerin gehen einen interessanten Dialog zwischen Design und Kunst ein, stellen sich Fragen zu Raum und Materialität und halten die Spannung zwischen praktischem Nutzen und inhaltlichen Fragen aus. Auch „Viento“ ist mehr als eine Ansammlung von funktionierenden Windrädern und gibt Gedanken zur Kraft der Natur, Energie und Macht wieder. Steht man vor der Installation haben sie aber auch etwas Spielerisches und Fragiles an sich.

Liz Jaffs "Dust" in der Galerie widmertheodoridis
Liz Jaff "Dust" in der Galerie widmertheodoridis. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

Es ist Liz Jaffs bisher grösste Installation dieser Art 

In Dialog mit dieser Ausseninstallation wird die Papierarbeit «Dust» von Liz Jaff gezeigt. Es ist die bisher grösste Installation dieser Art für die Künstlerin und ortsspezifisch für die alte Scheune der Galerie konzipiert. Über drei Monate hat die in New York lebende Künstlerin die einzelnen Papierkomponenten gefaltet. Sie bestechen durch ihre Regelmässigkeit und Wiederholung. Keine Unregelmässigkeit fordert unsere Aufmerksamkeit und man kann sich auf die Bewegung konzentrieren und darin meditativ versinken.

In der Pressemitteilung zur Ausstellung sagt die Künstlerin über diese Arbeit: «Diese Objekte machen etwas mit uns. Es ist eine neue Art von Erfahrung, die sich aus dem Moment und den persönlichen Erinnerungen speist wie wir solche Objekte betrachten.» Das Papier nimmt den Raum ein ohne diesen zu dominieren und entfaltet in dieser Leichtigkeit einen Zauber. Ist das Fenster geöffnet drehen sich die Objekte und zelebrieren den Wind gemeinsam mit Joëlle Allets Installation. Die Arbeiten sind vergänglich, mit der Zeit wird Staub und Luftfeuchtigkeit eine Patina bilden und die Objekte verändern. Der Kreis schliesst sich und uns bleibt der gegenwärtige Moment für die Kontemplation.
 
Termine: Die Ausstellung läuft noch bis zum 27. Oktober 2018 in der Galerie WidmerTheodoridis in Eschlikon. Am Sonntag, 21. Oktober um 11 Uhr gibt es eine Lesung mit Projektion aus 'Das Flüstern der Dinge' von und mit Thomas Krempke.

Herbert Weber, Ausstellungsdetail (Galerie widmertheodoridis im Herbst 2018)
Herbert Weber, Ausstellungsdetail (Galerie widmertheodoridis im Herbst 2018). Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

Die Installation «Viento» von Joëlle Allet.
Die Installation «Viento» von Joëlle Allet. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

Thomas Krempke im Gespräch mit dem Galeristen Jordanis Theodoridis
Thomas Krempke im Gespräch mit dem Galeristen Jordanis Theodoridis. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

 

 

 

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