von Judith Schuck, 22.09.2022
Musik als Heilmittel
Stressforscher Urs Markus Nater erhielt am 21. September den Walter Enggist-Preis für seine Untersuchungen zur Wirkung von Musik auf Psyche und Körper. (Lesezeit: ca. 3 Minuten)
Schon die alten Griechen haben sich die Wirkung von Musik als Doping zu eigen gemacht: „Sie wurde eingesetzt, um Olympiadeteilnehmer:innen leistungsfähiger zu machen.“ Mit ein bisschen Rhythmus im Blut lief es sich gleich schneller – diese Anekdote erzählte Urs Markus Nater am Mittwochabend in der Aula der Kantonsschule Frauenfeld. Dort, wo er vor gut 30 Jahren seine Matura feierte, durfte er den Walter Enggist Forschungspreis entgegennehmen. Nater ist Professor für klinische Psychologie in Wien. Aufgewachsen ist der Stressforscher in Frauenfeld, weswegen er sich besonders freute, in dieser Stadt den mit 15 000 Franken dotierten Preis entgegenzunehmen.
Frauen sind häufiger gestresst
Der Titel seiner Arbeit lautet „The effects of music listening on somatic symptoms and stress markers in the everyday life of women with somatic complaints and depressions“. Seine Probandinnen leiden in der Regel unter einer schwereren Depression, die wahrscheinlich auf Stressfaktoren beruht. „Menschen, die Stress erleben, klagen über körperliche und psychische Beschwerden“, so der Forscher.
Von Stress betroffen seien Frauen Umfragen nach häufiger als Männer. Das ist der Grund, weswegen er sich in seiner Arbeit auf weibliche Studienteilnehmerinnen konzentriere. Nater sieht einen Zusammenhang zwischen Stress und hormonellen Einflüssen, wie dem Einsetzen der Menstruation, Schwangerschaft und Geburt oder Menopause.
Aus Düsterkeit kommt Schaffenskraft
Depressionen, oder ihre kleine Schwester, die Melancholie, stehen seit jeher in Zusammenhang mit Kreativität. Der englische Kleriker und Schriftsteller Robert Burton veröffentlichte 1621 die erste grosse Abhandlung über diesen Zustand grosser Traurigkeit: „The Anatomy of Melancholy“.
Burton litt selbst unter depressiven Verstimmungen und sah das Schreiben als Werkzeug, dagegen anzukämpfen. In seinem Hauptwerk erfand der Gelehrte nichts Neues. Es ist vielmehr ein Sammelwerk historischer, psychologischer und philosophischer Betrachtungen zu diesem Thema, von der Antike bis in seine Zeit. Die „Anatomie der Melancholie" hebt Urs Nater als wichtiges Buch für seinen Forschungszweig hervor.
Das Music and Health Lab
Nater, der in Zürich Psychologie, Psychopathologie und Neuropsychologie studierte und in Atlanta promovierte, begründete in Marburg, wohin er nach seiner Promotion eine Ruf bekam, vor etwa zehn Jahren das „Music and Health Lab“. Ihn treibt schon lange die Frage um, welchen Effekt Musik auf unser Wohlbefinden hat und ob durch Musikhören Stress reduziert werden kann. Das Lab führt er in Wien, wo er heute forscht, weiter.
Für seine ausgezeichente Arbeit untersuchte er mit seinem Team, wie sich das Befinden von Frauen zwischen 19 und 64 Jahren, die „alle recht stark von Depressionen betroffen sind“, verändert, wenn sie zu bestimmten, festgelegten Tageszeiten Musik oder Geräusche vorgespielt bekommen. Die „Reize“ laufen über eine Handy-App. Die Studienteilnehmerinnen beschreiben anschliessend ihr Stressempfinden und geben gleichzeitig eine Speichelprobe ab, um Stresshormone als messbare Parameter bestimmen zu können.
Musik hat indirekten Einfluss auf die Gesundheit
Die Annahme, dass Musik einen Einfluss auf Stressreaktionen hat, muss Nater mit dem Hintergrund seiner bisherigen Ergebnisse relativieren: „Ich glaube nicht, dass es einen direkten Effekt auf die Gesundheit gibt. Musik kann aber einen indirekten Einfluss auf das Wohlbefinden haben.“ Das heisst: Stress, Angst und Schmerz können indirekt über kognitive Prozesse im Gehirn mit Hilfe von Musik gelindert werden. „Fröhliche oder beruhigende Musik wirken positiv auf das autonome Nervensystem“, resümiert Nater.
„Musikintervention nützt, da wollen wir weitermachen“
Urs Markus Nater
Raus aus dem Labor, rein ins Volk
Alleinstellungsmerkmal seiner Arbeit ist, dass er subjektive mit biologischen Faktoren kombiniert und zudem raus aus dem Labor, rein ins Alltagsleben geht. Mit dem Preisgeld von 15 000 Franken möchte er hier noch einen Schritt weiter gehen. In einer Pilotstudie werden wieder Personen mit einer App ausgestattet. Wann immer diese sich gestresst fühlen, hören sie Musik aus einer individuell zusammengestellten Playlist. Dann wird ihr Stresslevel gemessen.
„Musikintervention nützt, da wollen wir weitermachen“, so der Forscher, der betont, dass seine Arbeit nicht allein aus seiner Feder stammt, sondern nur mit der Hilfe von Doktores Anja Feneberg, Riccarda Nater-Mewes sowie Johanna Dörr entstehen konnte.
Ein langer Weg bis zum Ziel
Forschung sei Knochenarbeit, betonte der Preisträger, „vor allem in der Humanforschung braucht es viel Zeit. Von der Idee bis zur Ausführung ist es oft ein mühsamer Weg und meist kommt nicht das raus, was man möchte“, gibt der Wissenschaftler zu. Zusammenhänge von subjektivem Empfinden und biologischen Auswirkungen aufzudecken und wie sie jeweils gemessen und bestimmt werden können, brennen Urs Nater seit jeher unter den Nägeln.
Dies hob auch Regierungsrätin Monika Knill in ihrer Würdigung hervor: „Die Beschäftigung mit Musik kommt nicht von ungefähr, sie reicht bis in die Zeit auf der Kantonsschule Frauenfeld zurück.“ Ihr sei zu Ohren gekommen, er habe damals regelmässig Klassikkonzerte besucht, aber auch Heavy Metal gehört. „Als Thurgauer Erziehungsdirektorin erfüllt es mich mit Stolz, von solchen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen zu hören“, sagte Knill. Denn die Stressforschung habe in unserer Gesellschaft eine hohe Relevanz.
Für welche Stimmung welche Musik die richtige ist, wird die Forschung kaum bestimmen können, das wird wohl für immer ein rein subjektiver Entscheid bleiben.
Walter Enggist Forschungspreis
Der Walter Enggist Forschungspreis wird seit 2019 vom Kompetenzbündel Thurgau Wissenschaft vergeben. In diesem Jahr sei die Wahl schwer gefallen, sagte Sybille Minder Hochreutener, Vorsitzende der Beurteilungskomission, da eine Vielzahl hochkarätiger Arbeiten eingereicht worden seien. Auf die Verleihung des Nachwuchsförderpreises musste 2022 verzichtet werden. Es konnte keine der eingereichten Arbeiten als auszeichnungswürdig identifiziert werden. Urs Schwager, Chef des Amts für Mittel- und Hochschulen Thurgau, rief darum dazu auf, dass Lehrende ihre Studierenden motivieren sollten, ihre Masterarbeiten einzureichen.
Der Forschungspreis gelte als ein Zeichen der Wertschätzung von Seiten des Kantons und möchte spannende Forschungsarbeiten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.
Von Judith Schuck
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