von János Stefan Buchwardt, 24.07.2010
Moralische Erschütterung im Maisfeld
Das diesjährige, souverän geführte See-Burgtheater-Ensemble verwandelt die Kreuzlinger Seeparklandschaft für einmal in eine Schweizer Landschaft schlechthin. Mit der Aufführung der unheimlichen Sage der Schwarzen Spinne, die einen nicht eingehaltenen Pakt mit dem Teufel rächt, indem sie jedem Lebewesen, das sie berührt, den Tod bringt, begibt sich Leopold Huber auf ein reizvolles, gleichzeitig aber höchst gefährliches Terrain. Schliesslich schafft er es, die dämonische Gewalt des Untieres zu bannen.
Jeremias Gotthelf, in einem freiburgischen Pfarrhaus geboren, als Pfarrer im Kanton Bern gestorben, entwickelt als Schriftsteller ein grosses und geschätztes episches Talent. Leopold Huber, in kinderreicher oberösterreichischer Bauernfamilie gross geworden, seit 1994 Co-Leiter des See-Burgtheaters Kreuzlingen, entwickelt als Film-, Opern- und Theaterregisseur eine bemerkenswerte und weitherum anerkannte inszenatorische Sprache. Nun trifft der Sprössling aus dem Mühlviertel auf den Spross einer altbernischen Familie. Das zeitigt starke und respektable Theatermomente, kann aber kleine Fehltritte nicht vermeiden. Die erste Hälfte der als musikalisches Theaterstück adaptierten teuflischen Erzählung hinterlässt einen zweifelsfrei homogeneren Eindruck als die zweite. Die Ensembleleistung bewegt sich durchgehend auf hohem Niveau, die Choreinstudierungen (Chorleitung: Heinz Meyer) sitzen. Mit dem Melodienspektrum des Dusa Orchesters (Kompositionen und Arrangements: Goran Kovacevic) werden musikalische Glanzlichter geboten, die unbestritten unter die Haut gehen. Doch auch hier wird der stetige Wechsel der Musikstile spätestens in der zweiten Hälfte mit dazu beitragen, dass Leopold Huber bisweilen vom schmalen Grat eines stringenten dramatischen Verlaufs und einer leichtfüssigen Genre-Verschmelzung abkommt.
Weltenspiegel eines Volksschriftstellers
Die Uraufführungsproduktion, die am Premierenabend unerschütterlich unter Beweis stellte, dass bei jeder Witterung ausser bei Dauerregen oder Sturm gespielt wird, darf als nicht unangreifbarer Erfolg angesehen werden. Das Publikum, das keineswegs auf dem, in jedem Fall aber im Trockenen sitzt, schien abwechslungsweise erfreut und verblüfft, benommen und belustigt. Über ein paar wenige Längen liess sich gut und gerne hinwegsehen.
Ein auffallend einprägsamer Erich Hufschmid, der als Pfarrer erzählenderweise durch die Handlung führt, eine berauschend vielfältige Astrid Keller in der Rolle des Teufels, eine bodenständig vitale Ingrid Lang als Christine, ein exzellent wankelmütiger Werner Biermeier als Gemeindeammann, die überzeugende Spielweise sämtlicher Akteurinnen und Akteure, die durchdachte Vielfalt der Gewandung (Kostüme: Barbara Mens), all das verleiht dem Sommertheater soliden, gelegentlich auch brillanten Charme. Inmitten einer ausgefallenen Kulisse - Spielort ist eine in ein Maisfeld gemähte riesige Spinnensilhouette - bekommen wir, sozusagen aus dem Tribüne und Bühne in sich aufnehmenden Bauch der Spinne heraus, den Weltenspiegel des Volksschriftstellers Jeremias Gotthelf vorgesetzt. Was seiner herausragenden Rahmennovelle Gewicht verleiht, ist eine mythenbildende Kraft, die vom zeitlos Gültigen zehrt. Im Seeburgpark darf diese Urkraft der Dichtung Auferstehung feiern.
Hoffnung auf die Gnade Gottes
Natürlich lassen parabelhafte Stoffe mit ausgeprägter Symbolik schon von sich aus immer auch aktuelle Zeitbezüge zu. Leopold Huber scheint das zu spüren und spart mit vorwitzigen aktuellen Anspielungen. Mit welchen Bildern er die gleichnishafte Erzählung vom Handel mit dem Teufel wiedergibt, lässt den anfangs durchweg stimmigen Inszenierungscharakter mit Zuspitzung des Geschehens in vermehrt unausgewogene Effekte umschlagen. Der heikle Balanceakt, der komplexen Gotthelfschen Erzählstruktur gerecht zu werden, will gegen Ende des Spiels nicht wirklich greifen. So brechen etwa Choreographie und Inhalt stellenweise auseinander. An den Nahtstellen zum Provozierenden taucht gesucht Verstörendes auf. Alles in allem ist der Seeburginszenierung zugutezuhalten, dass sie die soziale Dynamik des Dorfes präzise und klug genug schildert und die konservativ-christlichen Glaubensdogmen Gotthelfs grundsätzlich ausspart. Der Gedanke, die fatalsten Seiten der Deutschen Geschichte in das Meisterwerk des Biedermeier einzuflechten, ist gut und gerechtfertigt. Wenn Goran Kovacevic die «Todesfuge» von Celan vertont, wenn die «schwarze Milch der Frühe» einfliesst, dann sind das in der Tat mutige Assoziationen. Und trotzdem fragt man sich, wie viel es nutzt und inwieweit es uns Menschen wirklich erreicht, die Ausformungen des Bösen in der Welt und die Versuche seiner Bewältigung in dramatischen Bildern verarbeitet zu sehen. Mag sein, mag nicht sein, dass Gotthelf auch heute noch die Hoffnung des guten Menschen auf die Gnade Gottes ist.
***
Die «Schwarze Spinne» ist noch bis zum 22. August in Kreuzlingen zu sehen.
Siehe auch:
Blog von Brigitta Hochuli mit elf Kommentaren
«Jede Zeit hat ihren Teufel», Interview mit Leopold Huber.
Weitere Kritik:
«Teufel von Gottes Gnaden», Maria Schorpp im «Südkurier», 24. Juli 2010
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