von Sascha Erni, 02.06.2021
Mensch und Material
Daniel V. Keller erhält zum zweiten Mal einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau. Mit den 25’000 Franken möchte der junge Künstler sein Projekt «Lithic Alliance» vorantreiben und schätzt generell den Freiraum, den ihm die Fördermittel ermöglichen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Thurgaukultur sprach via Videokonferenz mit Daniel V. Keller. Denn der 34jährige Künstler ist im Thurgau aufgewachsen, lebt aber heute in Brüssel und Zürich. Momentan laufen die Vorbereitungen zu einer Gruppenausstellung im Zürcher Atelier Hermann Haller. Für den Sommer ist eine Ausstellung in der Galerie Stems in Brüssel geplant, im Herbst wird er mit einer Gruppe KommilitonInnen der Goldsmiths University mitten in – beziehungsweise auf – der Londoner Themse arbeiten.
Seine Praxis und die Installationen, die er erarbeitet, sind teils ortsspezifisch und basieren auf der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Lokalitäten. Dies bedingt es auch, dass sein multidisziplinäres Schaffen immer wieder neu beeinflusst wird – und dass Keller oft unterwegs ist. Ein vielbeschäftiger Mensch.
Gegengewicht zum Corona-Jahr
Der Kanton Thurgau lobt einmal im Jahr Kulturförderbeiträge für sechs Künstlerinnen und Künstler aus. Bewerben können sich alle Kulturschaffenden mit Thurgauer Bezug; Voraussetzung ist aber, dass sie der Fachjury überzeugend darlegen können, wie sie einen nächsten Schritt in der Karriere beschreiten wollen.
Dieses Jahr wählte die Jury aus 50 Einsendungen aus, Daniel V. Keller hat es in die Kränze geschafft – nach 2016 bereits zum zweiten Mal. Kellers Freude ist riesig. «Es ist eine tolle Unterstützung, die ich unglaublich schätze.»
Nach dem kulturell mageren Corona-Jahr gäbe ihm der Förderpreis viel Freiraum, um mehr Zeit in seine Arbeit zu investieren und sich mit neuen Themen und Techniken zu beschäftigen. So plant Keller zum Beispiel eine Recherchereise in die Steinbrüche von Carrara und möchte vermehrt seine Themenfelder auch akustisch untersuchen. Ebenso gebe ihm der Förderbeitrag mehr Raum, experimentell neue Projekte zu erarbeiten wie auch Zusammenarbeiten einzugehen.
Respekt für Materialien
«Ich beschäftige mich im Moment mit Kraftorten», erläutert Keller seine aktuellen Pläne. Konkret ergänzen diese Ansätze sein laufendes Projekt «Lithic Alliance», welches er 2020 initiiert hat. «Lithic Alliance» erörtert den Zusammenhang zwischen der Künstleridentität und den Materialien, mit welchem Kunstschaffende arbeiten. Keller versteht die Verbindung zwischen Mensch und Material als Kollaboration. Denn Kunst, wie auch allgemein jegliche Formgebung von Rohstoffen, werde nicht allein menschlich geschaffen.
Wesentlich für ein Ergebnis seien Prozesse und Eigenschaften des Materials, die als aktiver Bestandteil funktionieren und ein Werk beeinflussen. «Ihnen also mit Respekt gegenüber zu treten heisst auch, die Welt als vibrierendes, vernetztes Ganzes wahrzunehmen.» Die erste öffentliche Ausprägung von «Lithic Alliance» war letztes Jahr im Rahmen der «Gasträume» in Zürich zu sehen.
Materialien beschäftigen den Künstler seit langer Zeit. Von 2004 bis 2008 absolvierte er die Fachklasse für Keramik-Design an der Schule für Gestaltung Bern. Und für seinen 2019er Beitrag zur «Facetten»-Reihe der Kulturstiftung Thurgau porträtierte er 6143 Kieselsteine – einzeln, um deren Signifikanz in unserer Welt zu hinterfragen. «Ich war schon immer fasziniert von Mineralien, Steinen und Baumaterialien», sagt Keller. Dinge, die sich verfestigen oder auflösen und die dauernde Umformung des Materials auf der zeitlichen Achse, das reize ihn und habe sich zu seinem Hauptfokus entwickelt.
«Ich nehme mich als Daniel aus dem Bild»
Daniel V.Keller, Künstler (Bild: Nicolas Buzzi)
Der Gedanke einer Kollaboration zwischen dem Kunstschaffenden und den Materialien stehe auch seinem Forschungsprojekt zu Kraftorten Pate. Denn Orte, und damit auch jegliche beteiligten Organismen und Mineralien, sind für Daniel V. Keller Teil der künstlerischen Zusammenarbeit.
Was bestimmt Kraftorte, und wie werden diese wahrgenommen? Welche Energien in der Erde generieren und aktivieren diese? Was geschieht ausserhalb mess- und nachweisbarer Werte, und welchen Einfluss hat dieser spekulative Bereich? Und wie könnte das visuell-gestalterisch erfahrbar gemacht werden? Diesen Fragen geht Keller auf den Grund und integriert die so gewonnenen Erkenntnisse in kommenden Installationen.
Und wie bereits seit letztem Jahr wird er es nicht unter seinem Namen präsentieren, sondern eben: Als «Lithic Alliance». «Ich nehme mich als Daniel aus dem Bild», sagt er und lacht. «Denn ich und das Material arbeiten zusammen.»
Daniel V. Keller, bildender Künstler
Daniel V. Keller ist 1987 in Münsterlingen geboren und in Bottighofen aufgewachsen. Von 2002 bis 2003 besuchte er den gestalterischen Vorkurs der Schule für Gestaltung in St. Gallen, anschliessend die Keramik-Design-Fachklasse an der Schule für Gestaltung in Bern. Von 2009 bis 2012 abolvierte er in Amsterdam den Bachelor in Fine Arts an der Gerrit Rietveld Academie mit Austauschsemester am Pratt Institute in New York. 2017 bis 2020 folgte der MFA (Master in Fine Arts) an der Goldsmiths University in London. Daniel V. Keller lebt und arbeitet heute in Brüssel und Zürich.
Die Kulturförderbeiträge
Einmal im Jahr vergibt der Kanton Thurgau seine Kultur-Förderbeiträge an KünstlerInnen, die mit einem überzeugenden Vorhaben den nächsten Schritt ihrer Karriere gehen wollen. In diesem Jahr werden drei Frauen und drei Männer ausgezeichnet aus den Sparten Bildende Kunst, Theater und Musik. Der Preis ist mit jeweils 25'000 Franken dotiert. Die Preisverleihung findet digital statt - am Donnerstag, 3. Juni, 19 Uhr. Wer dabei sein will: Alle Informationen zur Anmeldung gibt es hier.
Die Preisträger sind: Jasmin Albash (Musikerin), Fabian Alder (Regisseur), Claudia Bühler (bildende Künstlerin), Susanne Hefti (bildende Künstlerin), Daniel V. Keller (bildender Künstler) und Pablo Walser (bildender Künstler). Fabian Alder (hatte zuletzt 2019 mit der Theaterwerkstatt Gleis 5 «Der Held der westlichen Welt» inszeniert) und Daniel V. Keller (hat die 18. Ausgabe der Facetten-Reihe der Kulturstiftung gestaltet) erhalten den Förderbeitrag nach 2013 (Fabian Alder) bzw. 2016 (Daniel V. Keller) bereits zum zweiten Mal.
Die Serie: In einer Porträtserie stellen wir alle PreisträgerInnen vor. Alle Teile der Serie werden in unserem Dossier zu den Förderbeiträgen gebündelt. Dort finden sich auch Porträts zu früheren PreisträgerInnen.
Weitere Beiträge von Sascha Erni
- Mit Debutalbum aus der Coronapause (09.05.2022)
- Ein Rätselzimmer im Schloss (07.10.2021)
- 3000 Besucher bei Frauenfelder Kulturtagen (27.09.2021)
- Seelenfrieden am Rande der Pandemie (08.06.2021)
- Schöner scheitern (17.05.2021)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Kulturförderung
- Porträt
- Bildende Kunst
Ist Teil dieser Dossiers
Ähnliche Beiträge
Irritation als Strategie
Die Gruppenausstellung «Wahrnehmung und Irritation» im Steckborner Haus zur Glocke fragt im Kontext künstlerischer Praxis nach dem Verhältnis von Wahrnehmung und Rezeption. mehr
Adrian Bleisch gibt Galerie auf
Schluss nach mehr als 30 Jahren: Im Februar 2025 schliesst der Kunstliebhaber seine Galerie in Arbon für immer. Am Ende war der wirtschaftliche Druck zu gross. mehr
Die Welt hinter dem Vorhang
Im Kunstraum Kreuzlingen gibt es gerade Seltenes zu bestaunen: Die Verschmelzung verschiedener Kunstformen zu einem grossen Ereignis. mehr