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Herr Wagner, ist «Ratartouille» gescheitert?

Herr Wagner, ist «Ratartouille» gescheitert?
Hat «Ratartouille» erfunden: der Stiftungsbeauftragte Stefan Wagner. | © Beni Blaser

Als die Kulturstiftung vor vier Jahren einen neuen Wettbewerb erfand, waren die Hoffnungen gross. Vor der dritten Ausgabe stellt sich die Frage: Was ist davon geblieben? (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Es lag Euphorie in der Luft. Damals im November 2020, als die Kulturstiftung ihr neues Format „Ratartouille“ lancierte. „Ratartouille - oder die Suche nach einem neuen Veranstaltungsformat für das kulturelle Leben im Kanton Thurgau“, schrieb die Stiftung als Titel einer Medienmitteilung. Diese Euphorie war dringend notwendig: Die Kulturszene lag tief in der Corona-Depression, der neue Wettbewerb sollte da auch wie ein Weckruf wirken. Das Ziel damals: Die Kulturszene so zu aktivieren, dass am Ende dabei neue, interdisziplinäre Veranstaltungsformate entstehen. 

Neu war auch: Die dem Projekt eingeschriebene Entdeckung des Publikums. Denn das sollte mehr mitbestimmen dürfen als in bisherigen Kulturförderformaten. Die Zuschauerinnen und Zuschauer hatten sogar das finale Wort - sie entschieden jeweils per Mehrheitsbeschluss darüber, welches Projekt am Ende das Preisgeld von 100’000 Franken erhalten sollte. Dass das zu Diskussionen führen würde, hatte Stefan Wagner, Geschäftsführer der Kulturstiftung, eingepreist. Auch, weil er überzeugt war, dass die Vergabe von Fördermitteln einen breiteren Diskurs benötigt. 

 

Haben 2023 gewonnen: Andreas Müller und Florian Rexer freuen sich im Konfettiregen über den Gewinn bei Ratartouille. Bild: Beni Blaser/Kulturstiftung des Kantons Thurgau

Die bisherigen Gewinnerprojekte? Nun ja…

Mehr als vier Jahre ist das jetzt her. Und wenn nun die dritte Runde von „Ratartouille“ ausgeschrieben wird (Ausschreibung soll von März bis April 2025 laufen), dann ist das ein guter Zeitpunkt mal genauer hinzuschauen: Was ist aus den Hoffnungen geworden? 

 

Kulturstiftung berät am 19. Februar

Wer überlegt, sich bei „Ratartouille“ zu bewerben: Am Mittwoch, 19. Februar um 18 Uhr findet in der Geschäftsstelle der Kulturstiftung eine Informationsveranstaltung dazu statt. Die Bedingungen und das Vorgehen der Ausschreibung werden vorgestellt. Interessierte können Fragen zur Ausschreibung und dem Vorgehen stellen. Die Kulturstiftung informiert über Herausforderungen im Bewerbungsprozess bis zur Publikumswahl.

Man kann das Ganze aus zwei Perspektiven beobachten. Perspektive eins: Von zwei Gewinnerprojekten wurde bislang nur eins umgesetzt. Und, das, was umgesetzt wurde -  «Siijuu» von Andreas Müller und Florian Rexer - läuft unter dem Radar einer grösseren Öffentlichkeit. Das liegt vor allem daran, dass dieses Projekt für den Moment gemacht ist und ganz auf den Faktor Überraschung setzt. Adressat ist da vor allem das jeweils anwesende, meist überschaubare Publikum. Premierengewinner „Promenaden“ von Richard Tisserand und Reto Müller litt daran, dass Tisserand vor Vollendung des Projektes starb und Reto Müller genug damit zu tun hatte, Tiss’ Erbe im Kunstraum anzutreten.

An der Stelle lohnt es sich, nochmal an jene Wünsche zu erinnern, die die Stiftung bei Lancierung von „Ratartouille“ formulierte. Das neue Format möge „das professionelle Kulturschaffen im Kanton beleben, Netzwerke über den Kanton hinaus eröffnen und das alles am besten in innovativer und experimenteller Art und Weise“. Mit Blick auf die ersten beiden Gewinner „Siijuu“ und „Promenaden“ lässt sich dazu heute feststellen: Nun ja, das hat eher mässig geklappt.

 
 
Reto Müller und Richard Tisserand bei ihrer Präsentation von Promenaden im ersten Wettbewerb Ratartouille im Jahr 2021. Bild: Michael Lünstroth

Ist die Einbindung des Publikums sinnvoll?

Aber: In diesem Frühjahr, beinahe vier Jahre nach dem Gewinn der 100’000 Franken, soll es mit Reto Müllers „Promenaden“ wirklich losgehen. „Wir sind in den Startlöchern und freuen uns, dass das Projekt bald endlich starten kann“, sagte Reto Müller im Gespräch mit thurgaukultur.ch 

Trotzdem kann man angesichts des schleppenden Erfolges der Siegerprojekte fragen, ob die Sache mit dem Publikumsvoting so klug war. Zeigen die ersten beiden Ausgaben nicht sehr klar, dass bei solch einer Abstimmung oft nicht das beste, sondern das beliebteste Projekt gewinnt? Tatsächlich hat die Kulturstiftung bis heute keinen überzeugenden Umgang gefunden mit den Zuschauerstimmen. Unmut und Unzufriedenheit gab es nach jeder Ausgabe.

Perspektive zwei blickt ein bisschen anders auf das Erreichte: Von insgesamt sechs Projekten, die in den beiden Finalen standen, sind vier mehr oder weniger umgesetzt (oder auf dem Weg umgesetzt zu werden). Der „Tankkeller Egnach“ war bislang das vermutlich erfolgreichste Ratartouille-Projekt, war aber zeitlich begrenzt, „Siijuu“ läuft weiter, San Kellers „Festival der Vorgärten“ startet im Mai 2025 an drei verschiedenen Standorten im Thurgau und selbst das schon als gescheitert betrachtete Promenaden-Vorhaben soll nun, wie erwähnt, doch noch realisiert werden. 

 

Umfrage: Soll das bleiben oder kann das weg?

Wir starten eine kleine Umfrage zu Ratartouille: Was denkst du: Soll das Format erhalten bleiben oder kann das weg? Hier kannst du abstimmen.

Nicht so schlecht: Aus vier von sechs Ideen wurde was

Also: Wenn vier von sechs möglichen Projekten entstehen, dann ist das keine so schlechte Quote. Und haben manche Ideen und Menschen nicht erst durch „Ratartouille“ zueinander gefunden? 

Um nur drei Beispiele zu nennen: Der 2021-Gewinner Reto Müller und der 2023-Drittplatzierte San Keller kooperieren beim „Festival der Vorgärten“ 2025 miteinander. Andrin Uetz (einer der Projektleiter beim Tankkeller) und Ramona Früh (frühere wissenschaftliche Mitarbeiterin im Thurgauer Kulturamt) haben sich am Rande des Tankkellers bei einer Thurgaukultur-Veranstaltung kennengelernt, 2024 haben sie gemeinsam die Projektleitung für das Kunstfestival „Heimspiel“ übernommen. Und der 2023-Gewinner Andreas Müller produziert für die diesjährigen Ratartouille-Finalisten kleine Filme, die sie für die Bewerbung ihres Projektes benutzen können. Klingt fast so, als sei die Idee der Vernetzung durchaus aufgegangen.

 

San Keller war Dritter bei Ratartouille 2023, im Mai 2025 wird sein Projekt Festival der Vorgärten umgesetzt. Bild: Michael Lünstroth

Drei Jahre sind nicht genug

Wohl auch deshalb tendiert Stefan Wagner von der Kulturstiftung eher zu Perspektive Zwei. Auf die Frage, ob Ratartouille gescheitert sei, schüttelt er vehement den Kopf. „Das glaube ich nicht, wir haben immer gesagt, das es ein Experiment ist und nicht alle Dinge auf Anhieb funktionieren können. Wenn ich aber sehe, was wir erreicht haben, kann sich das sehen lassen“, findet Wagner. Ohnehin bräuchten solche Prozesse viel mehr Zeit. „So einen Wandel bekommt man nicht in drei Jahren hin, dazu braucht man längeren Atem.“

Was er für sich aber auf der Pro-Seite verbucht: Es werde wieder öffentlicher über Kulturförderung gesprochen. „Wir haben ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass sich Kulturförderung öffnen muss, inklusiver werden muss, wenn sie nicht ein Legitimationsproblem bekommen will“, sagt der Stiftungsgeschäftsführer. Wenn es nach ihm ginge, würde er „Ratartouille“ auch nach der dreijährigen Probephase fortführen. „Aber das werden wir nach der dritten Ausgabe in diesem Jahr im Detail mit dem Stiftungsrat evaluieren und dann in Ruhe entscheiden.“

 

 „Alle Finalisten haben dieselben Chancen. Die Aktivierung von Unterstützer:innen ist ein wichtiger Teil des Projektes. Ich sehe nicht, weshalb wir das ändern sollten.“

Stefan Wagner, Geschäftsführer der Kulturstiftung des Kantons Thurgau, zur umstrittenen Frage der Publikumsabstimmung

Die neuen Bewerber:innen sollen besser beraten werden

Bevor es so weit ist, gibt es am Mittwoch, 19. Februar, 18 Uhr, eine Informationsveranstaltung für alle Interessent:innen an Ratartouille. „Die Bedingungen und das Vorgehen der Ausschreibung werden vorgestellt. Interessierte können Fragen zur Ausschreibung und dem Vorgehen stellen. Die Kulturstiftung informiert über Herausforderungen im Bewerbungsprozess bis zur Publikumswahl“, schreibt die Stiftung zu der Veranstaltung. Auch das ist eine Lehre aus den ersten beiden Ausgaben - die Bewerber:innen brauchen eine engere Begleitung und Beratung durch die Stiftung.

Wenn alles gut geht, dann treten am 3. Oktober die Finalisten gegeneinander im Thurgauerhof in Weinfelden an. An der Publikumswahl will die Kulturstiftung festhalten. Die Kritik, dass auf diese Weise nicht das beste, sondern das beliebteste Projekt gewinne, will Stefan Wagner so nicht stehen lassen. „Alle Finalisten haben dieselben Chancen. Die Aktivierung von Unterstützer:innen ist ein wichtiger Teil des Projektes. Ich sehe nicht, weshalb wir das ändern sollten“, so Wagner.

Erfolgsrezept: Zweiter werden!

Vielleicht lautet das geheime Erfolgsrezept bei „Ratartouille“ auch: Nicht gewinnen, sondern Zweiter werden. Während die Gewinnerprojekte teilweise stolperten, wurden und werden die beiden Zweit- bzw. Drittplatzierten realisiert. Auch dank der Kulturstiftung, die sowohl den „Tankkeller Egnach“ als auch das „Festival der Vorgärten“ mit jeweils 50’000 Franken unterstützte.

Pascal Leuthold vom Tankkeller Egnach hat es mal so formuliert: „Für uns war es wahrscheinlich gar nicht so schlecht, dass wir nicht gewonnen haben. Zum einen hat es uns angespornt, zum anderen mussten wir uns so noch viel mehr um die Menschen und Vereine vor Ort bemühen, um das Projekt erfolgreich zu machen.“ 

Was lernt man daraus? Erfolg ist möglich. Scheitern ist möglich. Man darf halt nur nicht aufgeben. Vielleicht ist das die ermutigendste Botschaft, die uns Ratartouille gebracht hat.

 

Publikum bei Ratartouille 2023. Bild: Beni Blaser/Kulturstiftung des Kantons Thurgau

Der Zeitplan: So geht’s weiter bei Ratartouille

19. Februar 2025, 18-20 Uhr: Informationsveranstaltung in der Geschäftsstelle der Kulturstiftung, Lindenstrasse 12, Frauenfeld.


März-April 2025: Ausschreibung
Ende Mai 2025: Jurysitzung
Juli 2025: Filmischer Teaser wird mit nominierten Projektteams erstellt
August 2025: Abgabedatum überarbeitete Projekte
September 2025: Veröffentlichung der Projektideen
Oktober 2025: Publikumswahl im grossen Saal des Thurgauerhofs Weinfelden

 

 

 

 

 

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