Seite vorlesen

von Judith Schuck, 23.01.2025

In der Stadtkaserne regt sich was

In der Stadtkaserne regt sich was
Transparent: Zuschauer:innen schauen durchs Fenster zu. | © zVg

In den Stallungen Süd hat der offene Bewegungsraum seine Türen geöffnet. Geboten wird Bekanntes wie Yoga und Neues wie Contact Improvisation. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Sie sind die Pionier:innen der Pionier:innen in der Stadtkaserne Frauenfeld. Dina Felix gibt zu, bei der Stadt Frauenfeld ein bisschen „gedrängelt“ zu haben. Seit über einem Jahr sammelt sie schon Gelder bei Stiftungen und Sponsoren, um ein Budget aufzubauen mit dem Ziel „einen Raum zu schaffen, der für alle ist“. Dina Felix ist Tanzlehrerin an der Jugendmusikschule Frauenfeld und Mitbegründerin des Vereins offener Bewegungsraum Frauenfeld. Am 11. und 12. Januar wurde mit den bisherigen Akteur:innen und vielen Neugierigen die Eröffnung gefeiert.

Der Grund, warum Dina Felix mit ihrem Team ein bisschen Druck gemacht hat, ist, an der Aufbruchstimmung teilhaben zu wollen und die besonderen Räumlichkeiten zu nutzen, bevor sie umgebaut werden. Vor einem Jahr übernahm die Stadt Frauenfeld den zentral gelegenen Gebäudekomplex, der 160 Jahre vom Militär genutzt wurde.

Das 14 000 Quadratmeter grosse Areal soll für die Bevölkerung als Begegnungs- und Veranstaltungsort geöffnet werden, mit Ateliers, Werkstätten, Gastronomie, Büros oder Gewerberäumen. „Wir sind die Ersten der Ersten“, sagt Dina Felix. Die Stadt Frauenfeld habe mit einem solchen Projekt selbst noch keine Erfahrungen gemacht. Darum sei alles ein Ausprobieren.

 

Bea Frei, Raffaella Chan-Frei, Dina Felix und Mirjam Bührer gehören zu den ersten Pionierinnen der Stadtkaserne. Bild: Judith Schuck

Gute Zusammenarbeit mit Stadt 

„Wir sind ein kleiner Fisch, aber die Stadt nimmt uns ernst. Sie hören uns zu, auch wenn der Prozess nicht immer ganz einfach ist.“ Dina Felix gefällt der lösungsorientierte Umgang mit den Pionier:innen der Stadtkaserne.

Der offene Bewegungsraum liegt in den Stallungen Süd. Er wird von einem Vorraum mit kleiner Bar und einem länglichen, blau gestrichenen Raum mit Tanzboden gebildet. Da dieser Raum vormals ein Offiziersbüro mit jeder Menge Kabelkanälen und viel zu vielen Steckdosen gewesen sei, mussten die Vereinsmitglieder einiges an Freiwilligenarbeit für die Renovation leisten, wobei nur kleine Eingriffe vorgenommen werden dürfen, um die Räume öffentlich nutzbar zu machen. „An den Decken durften wir zum Bespiel nichts verändern, da dort noch Asbest verbaut ist“, so Felix. Dennoch konnte sie ihre Ideen dank der Hilfe von Leuten mit ähnlichen Ideen umsetzen.

Jetzt kommen viele der Pionier:innen, wie die ersten Bezüger der Stadtkaserne genannt werden, mit Fragen auf sie zu, wie sie dies oder jenes geregelt hätten. Wichtig ist dem Verein die Niederschwelligkeit. Alle, die Bedarf an einem Raum für Bewegung und Tanz haben oder Lust auf das Angebot im offenen Bewegunsraum haben, sollen unkomplizierten Zugang haben. „Die Leute können kommen, ohne Mitglied zu sein“, betont Dina Felix.

 

Dina Felix weiht den offenen Bewegunsraum in den Südstallungen ein. Bild: zVg

Körperarbeit, Entspannung, Kräuterapotheke

Der Verein zahlt 1240 Franken Miete pro Monat an die Stadt. Künftig soll diese durch feste Untermieter:innen gedeckt werden. Dazu gehören bereits Bea Frei, sie gibt von nun an Tai Ji- und Shibashi-Kurse. Raffaela Frei-Chan macht Yoga-Kurse und will im Frühjahr eine Naturapotheke eröffnen.

Die Idee der Apothekerin: Sie möchte wie früher mit Tees und Kräutern das anbieten, was es braucht, um gesund zu bleiben. Tänzerin Christa Ehrbar plant West Coast Swing Partys. Und Mirjam Merkofer-Bührer möchte mit der Contact Improvisation etwas ganz Neues im Thurgau etablieren.

 

Mehr zum Thema «Neue Räume für Kultur»

Kultur braucht Räume, um sich entfalten zu können. Ateliers, in denen man neue Ideen entwickeln kann. Proberäume, in denen man jeden Ton und jede Zeile so oft wiederholen kann, bis das neue Werk reif ist, aufgeführt zu werden. Und natürlich Bühnen auf denen man all das, was man mit Herzblut einstudiert hat letztlich auch einem Publikum zeigen kann. Das Problem: An all diesen Räumen mangelt es. Im Thurgau. In der Ostschweiz. Eigentlich überall. Seit Jahrzehnten beklagen Kulturschaffende diesen Zustand, aber mindestens genauso lange hat sich nichts daran geändert. Woran liegt das? Weitere Texte zu diesem Thema findest du im Themendossier Kultur trifft Politik: Räume.

 

Am 17. Januar startete der erste Jam mit Live-Musik von Ze Oliveira. Mirjam Bührer vergleicht die Contact Improvisation mit einem Musik-Jam, nur dass hier der Körper das Instrument ist. Ihr Angebot hält sie bewusst offen: Tänzer:innen mit und ohne Vorkenntnissen können ohne Anmeldung vorbeikommen und sich ausprobieren. Zunächst geht es darum, mit dem Boden in Kontakt zu treten und langsam die Schwerkraft zu erkunden.

Die Contact Improvisation entstand in den 1960ern in New York. „Das war eine wilde Sache“, erklärt Mirjam Bührer. Der Tänzer Steve Pax gehörte zu den ersten, die losgelöst von technischen und ästhetischen Vorgaben, die Möglichkeiten ihrer Körper und deren Beweglichkeit erforschten.

 

Grosser Andrang. Die erste öffentliche Nutzung in der Stadtkaserne stiess auf Interesse. Bild: zVg

Einlassen auf das eigene Befinden und das Sein im Raum

Die grösste Übung und grösste Voraussetzung für diesen Improvisationstanz sieht Mirjam Bührer in der „absichtslosen Präsenz“: „Was passiert heute? Wie gehe ich mit dem Boden um?“ Die Tanzlehrerin gibt ein begleitetes Warm-up. Teilnehmende könnten auch einfach zehn Minuten auf dem Boden liegen und wieder gehen, wenn ihnen danach sei – alles bleibt frei und offen.

Die Live-Musik mit Akkordeon, Bass und Loops sollen eine Atmosphäre schaffen, die zum Jammen einlädt. Hier können die Teilnehmenden lernen, loszulassen, statt festzuhalten, und sich losgelöst von äusseren Vorgaben und ästhetischen Vorstellungen zu bewegen und zu erfahren.

Dina Felix betitelt Mirjam Bührer als Aushängeschild für professionellen Tanz. „Es ist so schön, Frauenfeld etwas zuzutrauen“, freut sie sich über dieses Angebot im offenen Bewegungsraum. Beide spüren die Aufbruchstimmung im Areal. Die Stadtkaserne sei ein sehr emotional aufgeladener Ort für Frauenfeld. Neben den Kursen möchte Mirjam Bührer wie vielleicht auch andere diesen Raum für Proben nutzen.

Das Eisenwerk, das dafür noch in Frage komme, sei häufig schon ausgebucht. Tanzschüler:innen von Dina Felix betreuen den Raum immer mittwochs zwischen 15 und 18 Uhr als offenen Jugendtreff mit Tanz.

Die Pionier:innen des offenen Bewegungsraum sehen in dem Angebot erst einen Anfang. Dina Felix blickt gespannt in die Zukunft des Projekts: „Alles ist noch ausbaufähig. Es soll ein Ort für Austausch und Vernetzung werden.“

 

Kinderdisco an der Eröffnung im offenen Bewegungsraum. Bild: zVg


 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Bühne

Kommt vor in diesen Interessen

  • Vorschau
  • Tanz

Ist Teil dieser Dossiers

Werbung

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

Unsere neue Serie: «Wie wir arbeiten»

Unsere Autor:innen erklären nach welchen Grundsätzen und Kriterien sie arbeiten!

#Kultursplitter im Januar/Februar

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

21. Adolf-Dietrich-Preis 2025

Bewerbungsschluss: 28. Februar 2025

Ähnliche Beiträge

Bühne

Lachen gegen die Weltlage

Für Freund:innen von Kabarett und Comedy wartet das KIK-Festival 2025 mit vollem Programm. Der Raummangel in Kreuzlingen könnte für das kommende Jahr zu einer Pause führen. mehr

Bühne

Silvester-Kult im Theaterhaus Thurgau

Die Bühni Wyfelde probt einmal mehr für ihre traditionelle Silvesterpremiere. Diese Saison hat sich das Ensemble «Ein Glas zu viel» vorgenommen – eine Komödie mit Krimi-Zügen. mehr

Bühne

Tanz für das Publikum von morgen

Wie verhalten sich Menschen in Gruppen oder als Individuum? Tanzprofis und Laien beantworteten diese Frage im Phönix Theater gemeinsam mit den Mitteln der Tanzkunst. mehr