von Samantha Zaugg, 12.05.2025
«Im Thurgau überwiegt oft eine skeptische Haltung.»

Die Umnutzung des Saurer Areals in Arbon ist eine grosse Chance für Stadt und Region. Als Stadtpräsident hat Dominik Diezi den Prozess vorangetrieben. Jetzt begleitet er ihn als Regierungsrat. Die grosse Frage: Was kann Kultur zu dieser Entwicklung beitragen? (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Bevor Sie Regierungsrat wurden waren Sie Stadtpräsident von Arbon. Damals hatten Sie sich eingesetzt für den Museumsstandort in Arbon. Was kann ein solcher Kulturort einer Region bringen – jenseits der klassischen Museumsfunktion?
Die Umnutzung des Saurer Areals ist einzigartig. Ein solches urbanes Gelände gibt es im ganzen Thurgau so nicht. Das Museum ist dabei das Herz des Areals und wertet gleichzeitig das ganze Gelände auf. Da sind wir bei diesen Synergien. Kultur hat mit Standortqualität zu tun. Ein solches kulturelles Angebot kann ein neues urbanes Stadtquartier richtig beleben.
Wie schätzen Sie das wirtschaftliche Potential ein?
Mit der Realisierung von grossen Projekten werden immer Investitionen ausgelöst. Im Fall vom Themenhaus in Arbon sind es geschätzt 40 Millionen Franken. Dadurch erfährt das ganze Gelände eine Aufwertung. Die Webmaschinenhalle bietet rund 8'000 Quadratmeter Nutzfläche. Der Kanton braucht nur einen Teil davon. Der Rest kann für private Nutzungen freigegeben werden – Ateliers, Büros, Gewerbe und Gastronomie. Ziel ist, ein lebendiges Quartier zu schaffen mit öffentlichen Räumen.
Ist dieses wirtschaftliche Potential von Kultur im Thurgau schon im öffentlichen Bewusstsein angekommen?
In der Tendenz würde ich sagen: Im Thurgau ist man sich noch nicht immer bewusst, welche Möglichkeiten es gibt. Das Thema wird im Moment eher als Belastung oder zusätzliche Kosten wahrgenommen. Man fragt sich, können wir uns das leisten? Wem nützt das überhaupt? Oft überwiegt eine skeptische Haltung. Die HRS, Eigentümerin des Saurer Areal, hat das Potential schnell erkannt. Wenn der Kanton investiert, bringt das einen riesigen Zusatznutzen ins Gelände. Es müsste uns wirklich gelingen, dieses Bewusstsein bei mehr Investoren und Gemeinden zu entwickeln.
«Mit der Realisierung von grossen Projekten werden immer Investitionen ausgelöst. Im Fall vom Themenhaus in Arbon sind es geschätzt 40 Millionen Franken.»
Dominik Diezi, Regierungsrat im Departement für Bau und Umwelt
Woran kann es liegen, dass dieses Potential nicht ausgeschöpft wird?
Wir sind im Thurgau pragmatisch – das ist grundsätzlich positiv. Wir konzentrieren uns auf das, was unmittelbar nötig ist, damit die Wirtschaft läuft. Nach meiner Wahrnehmung sieht man Kultur bei uns vor allem als Ausgabe. Auch deshalb mussten wir die Ausbaupläne bei den kantonalen Museen verschieben. Momentan sind wir eher mit Verzichtsplanungen beschäftigt als mit Ausbau. Ich glaube sehr daran, dass Kultur Wertschöpfung generiert. Im öffentlichen Bewusstsein im Thurgau ist dieser Gedanke noch nicht breit verankert
Fehlt es an einer Lobby für Kultur?
Teilweise, ja. Aber es liegt auch an uns, also an den zuständigen Departementen. Wir müssen zeigen, dass Kultur etwas mit dem Leben der Menschen zu tun hat. Dass es Angebote sind für Familien, und keine elitären Veranstaltungen für Kunstkenner. In Arbon wollen wir das auch in der Zwischennutzung sichtbar machen. Wir sind hier in einer gewissen Bringschuld.
«Wir müssen zeigen, dass Kultur etwas mit dem Leben der Menschen zu tun hat. Dass es Angebote sind für Familien, und keine elitären Veranstaltungen für Kunstkenner.»
Dominik Diezi, Chef im Departement für Bau und Umwelt
In Arbon kommt es nun zur Zwischennutzung, weil die Ausbaupläne für die kantonalen Museen verschoben wurden. Was bedeutet es für ein grosses Projekt, wenn es mehrere Jahre pausieren muss?
Primär sehe ich die Verzögerung als Chance. Wenn die Zwischennutzung gelingt, kann das Projekt besser verankert werden. Die Menschen erleben den Ort, sehen die Möglichkeiten und identifizieren sich damit. Es wird dann leichter, die eigentliche Realisierung voranzutreiben.
Die Eigentümerin des Areals, die Immobilienfirma HRS, sieht die Verzögerung vermutlich nicht als Chance.
Natürlich ist es zuerst eine Enttäuschung für die ganze Region. Alle Beteiligten hätten Interesse, dass es möglichst schnell vorwärts geht. Auch der Kanton. Wir haben das ungern verschoben. Für die HRS hat es auch ökonomische Folgen. Aber es ist jetzt, wie es ist. Momentan müssen wir uns strecken, dass wir den Bestand bei den Museen halten können, etwa die Sanierung in Ittingen oder im Schloss Frauenfeld.
Kultur ist mehr als Freizeitgestaltung – sie prägt das Selbstverständnis einer Region, schafft Identität und kann entscheidend zur lokalen Wirtschaft sowie zur Standortattraktivität beitragen. Das Potential ist unbestritten, insbesondere wenn es um Wachstum und Verdichtung geht. Städte und Gemeinden stehen vor der Frage, welche Rolle kulturelle Angebote bei der Förderung des Wirtschafts- und Lebensraums spielen kann.
In vielen Kantonen, auch im Thurgau, wird dieses kulturelle Potenzial noch zögerlich genutzt. Es mangelt nicht an Initiativen und Akteur:innen. Dennoch steht die strukturelle Verankerung von Kultur in der Standortentwicklung noch am Anfang. Wo liegen Potentiale verborgen? Wie lassen sie sich nutzen? Und welche Rolle spielen dabei Kanton, Gemeinden, kulturelle Akteur:innen und die Bevölkerung?
In einem Dossier versammeln wir Stimmen und Perspektiven zum Thema. Die Texte bilden die Grundlage für die zweite Ausgabe der Veranstaltungsreihe «Kultur trifft Politik». Die Veranstaltung findet am Dienstag, 13. Mai, ab 17:30 Uhr, im Apollo Kreuzlingen statt.
Könnte Arbon ein Modellfall werden, wie sich kulturelle Nutzungen mit Arealerschliessung verbinden lässt?
Das Saurer Werk Zwei ist Beispiel für einen Idealfall. Es kommt zu einer enormen Verdichtung. Es war ein Industrieareal, neu werden rund 2'000 Personen auf dem Areal wohnen. Es gibt Gewerbe, kleingewerbliche Strukturen, und mit der Webmaschinenhalle eine kulturelle Nutzung mitten im Quartier — ein hochattraktiver Zusatznutzen für die Bewohner:innen. Das gibt dem Gelände eine völlig neue Qualität. Das kann man so nicht eins zu eins überall im Thurgau reproduzieren. Aber solche Mischnutzungen zu schaffen, das ist das Optimum.
Wie können Akteur:innen aus verschiedenen Feldern miteinbezogen werden?
Der Regierungsrat schlägt vor, einen Verein zu gründen — Freunde des Themenhauses Arbon. Dieser soll Interessierte aus Politik, Wirtschaft und Kultur einbinden, um weiterzuarbeiten und weiterzudenken. Es soll kein von oben herab verordnetes Projekt sein, sondern von unten wachsen.
«Wenn die Zwischennutzung gelingt, kann das Projekt besser verankert werden.»
Dominik Diezi, Chef im Departement für Bau und Umwelt
Arbon ist ein Ausnahmefall, der Kanton ist Bauherr. Siedlungsentwicklung und Verdichtung beschäftigt auch die Gemeinden und liegt in ihrer Kompetenz. Wie kann oder will der Kanton hier Einfluss nehmen?
Innere Verdichtung ist ein grosses Thema. Verdichtung ist dabei nicht nur erwünscht. Es bedeutet, dass es enger wird. Das gut zu machen ist anspruchsvoll. Es braucht Massnahmen, die Lebensqualität und Mehrwert für die Bevölkerung schaffen. Das können Parks sein, Grünanlagen, Kulturorte oder gemeinschaftliche Räume. Solche flankierenden Massnahmen brauchen finanzielle Mittel. Denn oft scheitern Ideen an der finanziellen Belastung.
Wie könnten politische Lösungen dafür aussehen?
Dazu stecken wir mitten in einem Gesetzgebungsprozess. Wir sind daran, die sogenannte Mehrwertabgabe zu überarbeiten. Bei Einzonungen ist das bereits etabliert. Eine Einzonung führt automatisch zur Aufwertung des Bodens, dafür werden 20 Prozent Mehrwertabgabe fällig. Anders ist es bei Aufzonungen, also wenn in einer Zone, wo bisher nur Einfamilienhäuser zulässig waren, neu auch Mehrfamilienhäuser gebaut werden können. Wir schlagen vor, dass die Gemeinden die Kompetenz erhalten sollen, eine solche Mehrwertabschöpfung vorzusehen. Mit solchen Mitteln könnte man gewisse Dinge fördern. Eine Vernehmlassung dazu liegt bereits vor.
Am Ende bleiben die Entscheidungen dennoch bei den Gemeinden.
Es wird sich zeigen, ob Mittel wie eine Mehrwertabgabe politisch mehrheitsfähig sind. Es ist eine Überlegung, die der Kanton macht. Die Kompetenz bleibt bei den Gemeinden, sie sind in der Regel auch die Planungsbehörden. Es gibt bei uns keinen Masterplan für die Gemeinden, aber wir können unterstützend wirken.

Veranstaltung zum Thema am 13. Mai: Kultur trifft Politik: Stadt- und Gemeindeentwicklung
Wie wollen wir heute miteinander leben? Eine zentrale Frage unserer Zeit, die die UNESCO schon vor fast zehn Jahren beantwortet hat:
«Kultur ist die DNA einer Stadt. Kulturelles Erbe trifft hier auf zeitgenössische Kunst und Kultur. Zusammen sind sie der Herzschlag urbaner Weiterentwicklung und Innovation. Kultur muss deshalb integraler Bestandteil von Stadtentwicklungsstrategien sein, um urbane Räume nachhaltig zu entwickeln und ihren Einwohnern eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.»
Was bedeutet das jetzt für uns im Thurgau? Wie kann man auch in kleineren Städten und Gemeinden Kultur zu einem Treiber von Siedlungsentwicklung machen? Wie können Politikiker:innen diesen Prozess unterstützen? Und was kann Kultur überhaupt zur Entwicklung von Städten und Gemeinden beitragen? Bei der zweiten Ausgabe von «Kultur trifft Politik» wird darüber nachgedacht und diskutiert. Eingeladen sind Politiker:innen, Kulturakteur:innen und alle, die sich für das Thema interessieren.
Termin: Dienstag, 13. Mai, ab 17:30 Uhr
Ort: Apollo Kreuzlingen
Das Programm im Detail
ab 17.30h Ankommen & Einstimmen (mit Verpflegung)
18.15h Begrüssung
18.20h Input David Zimmermann, Präsident Verein ThurKultur / Gemeindepräsident Braunau TG
18.30h Workshop Evoloop
19.45h Diskussion mit Roland Ledergerber, Kantonsbaumeister TG; Karin Gubler, Kulturmanagerin; Christophe Rosset, Kulturbeauftragter Wetzikon; Michael Breitenmoser, Mitglied Geschäftsleitung HRS
ca. 20.30h Abschluss
Die Teilnahme ist kostenlos. Wir freuen uns aber über deine Anmeldung, damit wir wissen, wie viele Besucher:innen kommen werden. Anmeldungen für den Abend sind hier möglich. Kultur trifft Politik ist eine Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit der igKultur Ost, finanziert von der Kulturstiftung Thurgau.

Weitere Beiträge von Samantha Zaugg
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Kommt vor in diesen Ressorts
- Kulturpolitik
Kommt vor in diesen Interessen
- Debatte
- Interview
- Kulturförderung
- Gesellschaft
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