von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 09.04.2020
«Wir sind doch hier nicht in der Pampa!»
Arbon oder Frauenfeld? Wo wird das Historische Museum Thurgau künftig beheimatet sein? Im grossen Interview erklärt der Arboner Stadtpräsident Dominik Diezi, warum seine Stadt die bessere Wahl ist. Aufgrund der aktuellen Corona-Krise haben wir das Gespräch am Telefon geführt.
Herr Diezi, warum muss das kantonale Historische Museum nach Arbon verlegt werden?
Nun, erstmal ist es so: Der Kanton Thurgau hat das ausgeschrieben. Und da haben wir uns beworben. Warum bewerben wir uns? Das Schloss Frauenfeld ist zu klein, jetzt braucht das Museum einen neuen Standort. Die neuere thurgauische Geschichte ab 1803 wird aktuell nicht gross bearbeitet, die Industriegeschichte des Kantons wird praktisch nicht gezeigt. Wenn man sich nun überlegt: Wo könnte man ein Historisches Museum mit diesen Schwerpunkten ansiedeln? Dann wäre Arbon aus unserer Sicht der ideale Standort.
Warum?
Zum einen, weil Arbon ein historischer Hotspot im Kanton Thurgau ist. Es gibt keine Stadt im Thurgau, die eine derart reiche Geschichte hat wie wir: Beginnend mit den Pfahlbauten, über die Römerzeit, das Mittelalter und dann vor allem die Industriegeschichte. Arbon war vor dem Ersten Weltkrieg die grösste Stadt im Thurgau, hatte die meisten Einwohner. Dazu kommt, dass wir im industriegeschichtlichen Bereich hier schon einen Museumscluster haben mit dem Saurer-Museum und dem Möhl-Museum, das nicht nur die Geschichte der Firma Möhl, sondern auch die Geschichte des Obstanbaus aufbereitet. Wir haben das älteste und auch grösste lokalhistorische Museum des Kantons hier. Und wir meinen auch, dass das Besucherpotenzial hier am grössten ist. Mitten im Einzugsgebiet St. Gallen, Oberthurgau, Dreiländereck. Hierher kommen auch viele Touristen. Dieses Potenzial könnte man nutzen.
„Es gibt keine Stadt im Thurgau, die eine derart reiche Geschichte hat wie wir.“
Dominik Diezi, Stadtpräsident Arbon
Welche Optionen sind denn aktuell in Arbon noch auf dem Tisch?
Das Schloss Arbon liesse sich erweitern, die Webmaschinenhalle auf dem Saurer-WerkZwei-Areal wäre umnutzbar und dann gibt es noch das so genannte Magazin, ebenfalls auf dem Saurer-Areal, das man beziehen könnte. Das ist derzeit allerdings mehr oder weniger eine Ruine.
Jetzt machen Sie es dem Kanton aber gerade nicht besonders schmackhaft. Eine Ruine umzugestalten klingt nach keiner leichten Aufgabe…
Klar ist: Wenn man solche Gebäude wie das Magazin oder auch die Webmaschinenhalle nehmen würde, dann muss man Geld in die Finger nehmen. Wenn man kein bestehendes Gebäude umnutzen will, könnte man auf dem Saurer-Areal natürlich auch ganz neu bauen. Wenn der Kanton einen Neubau will, dafür hätten wir auf dem Gebiet auch noch Platz.
Bilderstrecke: Wie sich die HRS das Museum in Arbon vorstellt (Stand 2016)
Eine andere Frage, die sich bei Ihrer Bewerbung stellt: Ist es wirklich sinnvoll, ein Schloss durch ein anderes zu ersetzen?
Diese Frage muss letztlich der Kanton beantworten. Wir bieten das an. Aus unserer Sicht kann man die beiden Schlösser auch nicht vergleichen, weil das Schloss Arbon schon mal grösser ist als das Schloss Frauenfeld und bei uns zudem auch Erweiterungsmöglichkeiten bestehen. Man kann da relativ frei schalten und walten und ist nicht an ein räumlich enges Korsett gebunden wie in Frauenfeld.
„Frauenfeld ist genauso wenig zentral wie Arbon.“
Dominik Diezi, Stadtpräsident
Nun bietet Frauenfeld inzwischen einen kompletten Neubau für das Musuem. Einen Neubau, den man nach eigenen Wünschen gestalten kann. Ohne Kompromisse eingehen zu müssen wie bei bestehenden Gebäuden, die man umnutzt. Wie wollen Sie das toppen?
Erstmal: Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass sich jetzt auch Frauenfeld bemerkbar macht. Das ist ihr gutes Recht, das ist ein offener Wettbewerb. Und jetzt gibt es eben zwei wahrnehmbare Kandidaturen.
Aber was wollen Sie dem Frauenfelder Bewerbung entgegensetzen? Die Kantonshauptstadt hat ihre Trümpfe auf den Tisch gelegt: Gute Erreichbarkeit, ein Neubau, die Nähe zur kantonalen Politik.
Es ist so ein bisschen auch die Frage, was man eigentlich will. Gerade bei einem Historischen Museum stellt sich aus meiner Sicht die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, in einen Neubau zu gehen. Oder wäre es nicht reizvoller, mit einer industriegeschichtlichen Ausstellung in ein historisches Gebäude zu gehen, wo auch das Ambiente stimmt und man die Geschichte gewissermassen noch atmen kann? Deshalb wäre für mich zum Beispiel die Webmaschinenhalle für ein Historisches Museum mit einem industriegeschichtlichen Schwerpunkt ideal. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich will nicht unbedingt dieses Frauenfelder Neubauprojekt toppen, sondern eher auf unsere Vorzüge setzen.
„Wäre es nicht reizvoller, mit einer industriegeschichtlichen Ausstellung in ein historisches Gebäude zu gehen, wo auch das Ambiente stimmt und man die Geschichte gewissermassen noch atmen kann?“
Dominik Diezi
Es wird seit Monaten viel über Standorte gesprochen. Müsste man nicht erstmal schauen, was dieses Museum überhaupt sein soll?
Das Historische Museum ist ein kantonales Museum und soll es auch bleiben. Insofern muss sich natürlich erstmal der Kanton diese Frage stellen. Da besteht sicher noch Handlungsbedarf. Es ist auch für uns noch nicht ganz klar, was denn jetzt eigentlich zur Debatte steht. Geht’s um die modernere Geschichte? Geht es um die Industriegeschichte? Oder geht es doch um das ganze Museum? Ich glaube, da besteht seitens des Kantons noch Klärungsbedarf, da bin ich voll bei Ihnen. Aber das ist primär Sache des Kantons und nicht unsere Aufgabe als Bewerber.
Mein Eindruck ist zudem, dass die, für die das Museum eigentlich da ist - die Besucherinnen und Besucher - bislang kaum eine Rolle spielen.
Da ist schon was dran. Vom Kanton hat man in dieser Hinsicht bislang nichts gehört. Also: Soll es ein Museum für Touristen sein? Oder doch eher für die Thurgauerinnen und Thurgauer? Aus meiner Sicht soll es ein attraktives Museum geben, das auch wahrgenommen wird. Von daher hilft es dem Museum, wenn man es an einem Ort ansiedelt, wo es schon relativ viel potenzielles Publikum hat. Und das ist hier bei uns in Arbon gegeben. Nicht zuletzt wegen der Touristen.
Ist das Museum also für Arbon letztlich vor allem ein Tourismusförderprojekt?
Nein. Es geht nicht in erster Linie darum, den Tourismus zu beleben. Das wäre ein schöner Nebeneffekt, aber es geht grundsätzlich darum, dass hier in Arbon das Publikum besteht, weil wir einfach sehr viele Touristen haben. Das müsste meines Erachtens auch in die Waagschale geworfen werden, wenn es darum geht, die Frage zu klären, wo so ein kantonales Museum stehen soll.
„Aus meiner Sicht ist einfach die Frage: Will der Kanton Thurgau östlich der Linie Weinfelden-Kreuzlingen-Fischingen museal auch eine Rolle spielen?“
Dominik Diezi
Da bin ich bei Ihnen. Ich denke auch: Wenn das Museum vor allem ein touristisches Projekt sein soll, dann müsste es in Arbon entstehen. Vom Kanton aus betrachtet ist allerdings Frauenfeld zentraler und besser erreichbar.
Wer den Thurgau auf der Landkarte betrachtet, wird feststellen: Frauenfeld ist genauso wenig zentral wie Arbon. Es gibt hier kein klares Zentrum und darum gefällt mir der ursprüngliche Ansatz des Kantons mit dem dezentralen Universalmuseum auch so gut für den Thurgau. Ich finde: Es sollte nicht nur ein bestimmter Teil des Kantons in den Genuss eines kantonalen Museumsangebots kommen, so wie es heute im Wesentlichen der Fall ist.
Ist es für Sie also auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass eine andere Region als Frauenfeld in der Standortfrage des Historischen Museums zum Zuge kommt?
Nein. Aus meiner Sicht ist einfach die Frage: Will der Kanton Thurgau östlich der Linie Weinfelden-Kreuzlingen-Fischingen museal auch eine Rolle spielen? Will der Kanton auch dort wahrgenommen werden? Wenn er das will, dann muss man konsequent die Linie des dezentralen Universalmuseums fahren. Auch im Bewusstsein, wenn es denn nach Arbon käme, dass sich hier vor Ort wieder neue Synergien und Kooperationsmöglichkeiten mit den entsprechenden Museen in St. Gallen oder Bregenz ergäben. Wir sind ja hier auch nicht im luftleeren Raum, hier gibt es auch interessante Anknüpfungspunkte.
Zum Beispiel?
Ich bin überzeugt: Wenn man das gut inszeniert, dann besteht die Chance, dass das in St. Gallen auf Resonanz stösst, dass man da auch ernst genommen wird und auf Augenhöhe mit dem Historischen Museum St. Gallen zusammenarbeiten kann. Was mich manchmal wundert, ist die Wahrnehmung des Oberthurgau in Frauenfeld. Da könnte man ja fast den Eindruck bekommen, dass wir hier irgendwo in der Pampa draussen sind, wo es sonst nichts gibt. Aber so ist es ja nicht.
Ihnen ist in den vergangenen Monaten etwas gelungen, was in den Jahren zuvor nicht so klappte: Der Oberthurgau spricht inzwischen mit einer Stimme. Wie haben Sie das geschafft?
Oft wird in der Debatte auch vergessen, dass der Kanton das Museum eigentlich schon vor Jahren nach Romanshorn verlegen wollte. Die Entscheidung war bereits gefallen. Das Projekt kantonales Historisches Museum im Oberthurgau war eigentlich lanciert. Weil man dort den Eindruck hatte, dass es gut dahin passen würde. Dann hat das dort aber aus verschiedenen Gründen doch nicht geklappt und deshalb lief der ganze Prozess ja nochmal an. Wir haben dann im Oberthurgau viel miteinander gesprochen.
„Über viele Gespräche ist es uns gelungen, dieses Gartenzaun-Denken aufzubrechen.“
Dominik Diezi
Worüber genau?
Wir waren und sind nach wie vor der Meinung, dass der Oberthurgau der richtige Standort ist. Und nachdem die Pläne in Romanshorn geplatzt sind, steht nun Arbon im Vordergrund. Darauf haben wir uns verständigt.
Ungewöhnlich, dass Sie sich da einigen konnten. Lange hat doch jeder vor allem auf sein kleines Königreich geschaut…
Über viele Gespräche ist es uns gelungen, dieses Gartenzaun-Denken aufzubrechen. Ich glaube, das ist auch wichtig gegenüber der Regierung. Dass wir zeigen können: Wir sprechen mit einer Stimme. Mich freut auch insgesamt, dass es so eine öffentliche Diskussion um das Museum und die Geschichte gibt. Ganz ehrlich: Etwas Besseres kann letztlich diesem Historischen Museum nicht passieren. Wie es am Ende auch immer ausgehen mag.
Anders als Frauenfeld haben Sie in den vergangenen Monaten regelmässig über ihre Ambitionen informiert. Fast hatte man das Gefühl, dass alle zwei Monate eine neue Idee aus Arbon kommt. Mussten Sie sich aus dem Oberthurgau mehr Gehör verschaffen, damit die Botschaft auch an den relevanten Stellen ankommt?
Das ist sicher der Fall. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir einen kleinen Startnachteil hatten: Frauenfeld ist als Kantonshauptstadt einfach nah an der Regierung dran, da läuft vieles ein bisschen wie von selbst, da sind auch bessere Kontakte und Verbindungen. Da ist natürlich aus Oberthurgauer Sicht das Informationsbedürfnis grösser und darum haben wir auch entsprechend informiert, unsere Kandidatur erläutert und ich glaube, es hat sich durchaus gelohnt.
„Frauenfeld ist als Kantonshauptstadt einfach nah an der Regierung dran, da läuft vieles ein bisschen wie von selbst.“
Dominik Diezi
Was sind jetzt die nächsten Schritte?
Wir warten auf den Bescheid der Kommission, die eingesetzt wurde, um die Standortfrage zu bewerten. Ich würde es begrüssen, wenn nachher die Regierung das Heft des Handelns mehr in die Hand nehmen würde. Es wäre ja auch denkbar, dass man sich mal mit den beiden aktuellen Bewerbern an einen Tisch setzt und schaut, ob es eine Lösung gibt, die für das Museum einerseits sinnvoll ist, aber eben auch den Bemühungen beider Bewerber gerecht wird.
Das heisst, Sie wären auch damit einverstanden, wenn nur ein Teil des Museums nach Arbon käme und ein anderer Teil in Frauenfeld bliebe?
Ich würde es jedenfalls sehr begrüssen, wenn es mal eine gemeinsame Runde gäbe, wo man dann schaut, könnte man es irgendwie so hinbekommen, dass es für das Museum stimmig ist, aber auch für die beiden Gemeinden, die sich jetzt hier sehr engagieren.
Klingt ein bisschen nach der Quadratur des Kreises. Wie könnte so ein Kompromiss aussehen?
Ich sehe da eine Möglichkeit. Vor allem, weil der Kanton Thurgau erst 1803 entstanden ist, das wäre eine natürliche Zäsur, wo man sagen könnte: Alles, was davor lief, bleibt im Schloss Frauenfeld. Die eigentliche Thurgauer Geschichte wird am neuen Standort in Arbon gezeigt mit Schwerpunkt auf Industrie- und Sozialgeschichte. Das gäbe ein spannendes Museum mit einem klaren Fokus, den man auch in meine Augen einem breiteren Publikum nahebringen könnte. Wir wären sicher gesprächsbereit. Aber es liegt primär mal am Kanton, sich klar zu werden, was er denn eigentlich will.
„In drei bis vier Jahren könnten wir hier ein neues Historisches Musuem eröffnen.“
Dominik Diezi, Stadtpräsident Arbon
Ganz ehrlich: Wann könnte ein neues Historisches Museum in Arbon eröffnen?
Das ist alles noch sehr vage. Aber im Schloss wären wir sehr schnell parat. Auch in der Webmaschinenhalle könnte es schnell gehen. Die HRS als Eigentümerin ist da sehr offen. Wenn die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, dann könnte man in drei bis vier Jahren so weit sein.
Am Geld mangelte es - zumindest vor der Corona-Krise - nicht: Der Kanton hat immer noch die 127 Millionen Franken aus dem Verkauf der TKB-Partizipationsscheine auf dem Konto.
Lassen wir Corona nochmal aussen vor, da wird man noch sehen, wie viel Geld man dafür aus welchen Quellen braucht. Aber Stand war ja: Mit dem TKB-Geld sollen wirklich Projekte unterstützt und realisiert werden, die nachhaltig sind und Leuchtturmcharakter haben und da wäre natürlich das neue Historische Museum ganz klar ein Projekt, das diese Kriterien erfüllen würde.
Weiterlesen: Was sagt Frauenfeld? Im Interview mit thurgaukultur.ch hat sich der Frauenfelder Stadtpräsident Anders Stokholm bereits ausführlich zu seiner Sicht auf die Dinge geäussert.
Zur Person: Das ist Dominik Diezi
Der Rechtsanwalt Dominik Diezi (46) ist seit 2019 Stadtpräsident von Arbon. Davor war er Vizepräsident und Berufsrichter am Bezirksgericht Arbon. Seit 2016 sitzt er für die CVP im Grossen Rat des Kantons Thurgau. Seit 2018 ist er Vizepräsident der Geschäftsprüfungs- und Finanzkommission GFK. Diezi leitete in dieser Zeit unter anderem die parlamentarische Untersuchung zur umstrittenen Entlassung des Prorektors der Pädagogischen Hochschule Thurgau (PH). Kultur ist für ihn ein zentrales Thema. Seitdem Diezi im Rathaus die Geschäfte leitet, ist Kultur Chefsache. Er gilt als vielseitig interessiert. Auf seiner Website schreibt er: „Es ist fast alles spannend, wenn man ausreichend Zeit hat, sich wirklich darauf einzulassen.“ Diezi ist verheiratet und hat zwei Söhne.
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