von Samantha Zaugg, 23.12.2022
Fenster zum See
Was wäre der Thurgau ohne See? Die Galerie Kirchgasse in Steckborn widmet dem Thema eine Gruppenausstellung. Fünf Künstler:innen zeigen neue Arbeiten. Es geht um den See, das Sehen und auch ein bisschen ums Sichtbarmachen von Ordnungen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Im Thurgau lässt sich ein interessantes Phänomen beobachten, wenn es um den See geht. Sagt eine Person aus dem Thurgau, sie gehe an den See, sei am See aufgewachsen oder hätte gerne eine Wohnung am See, so ist ganz klar, welcher See gemeint ist. Es geht immer um den Bodensee, obwohl das niemand so nennen würde. Bodensee und See sind quasi Synonyme.
Doch so eindeutig ist das mit dem See eben nicht. Das zeigt die Gruppenausstellung in der Galerie Kirchgasse in Steckborn. Schon der Titel «i am see» offeriert verschiedene Lesarten. Heisst es ich bin See? Ich bin am Sehen? Ich am See? Der Titel war die Idee von Anne Gruber, Kuratorin, und Philipp Schwalb, Maler und Kurator, der auch durch die Galerie Kirchgasse vertreten ist.
Gemeinsam kuratieren sie jährlich eine Gruppenausstellung, so auch dieses Jahr. «Wir wollten den See nicht als blosses Motiv oder Thema behandeln, sondern als Ort der Ausstellung, der an seinen Ufern die Künstler: innen verbindet, aber ihnen nicht das Thema aufzwingt.»
Fenster zum See
Die Ausstellung beinhaltet fünf Positionen, vier der Künstler:innen haben die Arbeiten speziell für die Ausstellung produziert. Für Malerin Caroline Bachmann, Preisträgerin des Prix Meret Oppenheim 2022, ist der See schon seit längerer Zeit zentrales Motiv. Seit mehr als 15 Jahren malt sie Wasserlandschaften im Morgenlicht.
Die Blickführung ist wichtiger Bestandteil der Arbeit: Die Betrachter:in blickt in den Gemälden jeweils durch ein Fenster oder einen Rahmen aufs Wasser. So eröffnet die Künstlerin die Frage nach dem Sehen des Sees. Bachmann hat einen Wohnsitz in Cully, VD, das am Genfersee liegt. Viele ihrer Bilder zeigen daher den Lac Léman. Für die Ausstellung in Steckborn hat Bachmann nun zum ersten Mal den Bodensee gemalt.
Die zweite malerische Position kommt von Monika Baer. Baer zeigt eine Leinwand, auf der sie Ölfarbe und Spiegel kombiniert. Dazu eine zweite Arbeit, abstrakte Malerei, blaue Farbe, und Münzen.
Die Spiegel auf der Leinwand werfen den Blick der Betrachter:in auch zurück und thematisieren die Positionierung der Besucher:in im Raum. Die Münzen verweisen auf eine Dialektik der Vorder- und Rückseite – in der Ausstellung das Oben und Unten des Sees.
Jochen Lempert nähert sich dem See mit dem fotografischen Blick eines Künstlers und Biologen. In Silbergelatineprints zeigt er Motive, die auf verschiedenen Ebenen mit dem See assoziiert werden können.
Da gibt es Landschaftsaufnahmen, reduzierte, aufgeräumte Komposition, bestehend lediglich aus Wasser, Wolken und Horizont. Genauso gehören dazu auch Aufnahmen von Wasservögeln - lokale Kunstfreund:innen können an Adolf Dietrich denken. Die Abzüge erinnern mit dem sichtbaren Filmkorn bisweilen an Standbilder aus frühen Schwarz-Weiss-Filmen.
Fenster zum Lager
Von Fotografie zu Text, und damit zu Mark von Schlegell. Der Autor schreibt Science-Fiction Romane und Texte. In diesem Genre experimentiert er mit Realitäten des Sehens.
Für die Ausstellung liess er sich vom französischen Schriftsteller Raymond Roussel inspirieren, hat dessen spielerische Schreibtechniken adaptiert. In Science-Fiction Manier hat von Schlegell auch eine fiktionalisierte Karte des Bodensees gezeichnet.
Und wenn die Zuschauerin schliesslich die fünfte Arbeit sucht, und sich möglicherweise fragt, wieso da so viel Kram rumsteht, und warum denn niemand aufgeräumt hat, dann hat sie die Arbeit von Bea Schlingelhoff entdeckt.
Schlingelhoff hat das Lager der Galerie ausgeräumt und alles was sich darin befand in den Ausstellungsraum gebracht. Das sind künstlerische Arbeiten, wie Gemälde und Skulpturen, genauso wie Büromaterial, Plakate oder Möbel. Alles, was sich über die Jahre ansammelt steht in der Galerie. Das Lager ist indes leer und sauber, und wurde ebenfalls zur Arbeit deklariert.
Auf dem Schaufenster des Lagerraumes steht der Name des Hauses in dem sich die Galerie befindet, und das der Arbeit den Titel gibt: «zur Hoffnung». Mit diesem Konzept erkundet die Künstlerin die Strukturen und Bedingungen des Kunstbetriebs, etwa die Produktion, Vermarktung und Lagerung von Kunst.
Fenster zum Selbstverständnis
Konzeptkunst ist zwar sehr interessant, lässt sich allerdings schwierig verkaufen. Was ist also die Motivation für eine Galerie solche Arbeiten zu zeigen? Gruber und Schwalb: «Diese Positionen befragen Bedingtheiten und Fantasien, die sich um Galerien und Ausstellungen ranken. So wie wir die Künstler:innen gewählt haben, wollten wir auch auf gegenseitige Qualität hinweisen.»
Diese verschiedenen Qualitäten der jeweiligen Arbeiten würden durch die gemeinsame Ausstellung sichtbar. So stellt beispielsweise Mark von Schlegell durch die Betonung der Fiktionalität dieselbe Frage auch für die anderen Arbeiten, so das Kurationsduo weiter.
«i am see» behandelt das Thema in Bezug auf den Ort, genauso wie in Bezug auf das Sehen. Aus lokaler Sicht offeriert die Ausstellung einen Aussenblick auf ein Thema, das einen ständig umgibt und dadurch vielleicht auch schon selbstverständlich geworden ist. Und sie ist ein interessantes Beispiel wie eine Galerie mit internationalem Profil ihre eigenen lokalen Verankerungen befragt und darauf reagiert.
Video: Prix Meret Oppenheim für Caroline Bachmann
Transparenz-Hinweis: Unsere Autorin Samantha Zaugg hat teilweise bei der an der Ausstellung beteiligten Künstlerin Bea Schlingelhoff studiert.
Die Öffnungszeiten
Die Ausstellung läuft bis am 25. Februar 2023.
Öffnungszeiten Freitag 11:00 – 18:00
Samstag 14.01./21.01./4.02./25.02. 11:00–16:00
Sowie auf Vereinbarung
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