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von Inka Grabowsky, 18.05.2022

Im Auftrag der Kultur

Im Auftrag der Kultur
Künstler Ivan Frei zeigt einer Schülerin, wie Graffiti funktioniert. | © Inka Grabowsky

Die Zürcher Filmemacherin Bettina Eberhard hat seit fast drei Jahren eine spannende Aufgabe. Sie ist Kulturagentin an zwei Kreuzlinger Schulen und sorgt dafür, dass Kultur überall im Schulalltag erlebbar wird. Noch zwei Jahre läuft das Pilotprojekt «Kulturagent.innen Schweiz»: Zeit für eine Zwischenbilanz. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Mitunter ist die Arbeit einer Agentin nicht geheim, sondern im Gegenteil überaus sichtbar. Gerade haben die Schülerinnen und Schüler der «Bildnerisches-Gestalten-Klasse» an der Sek Remisberg die Unterführung an Hafenbahnhof mit frischen Graffiti versehen.

Angeleitet hat sie dabei der Künstler Ivan Frei, der über drei Wochen regelmässig mit den Jugendlichen über die Theorie und Praxis des Sprayens gesprochen hat. Anschliessend wurden Entwürfe gezeichnet und schliesslich an Ort und Stelle umgesetzt. «Ich finde es grossartig, dass wir das machen können», freut sich Kunstlehrerin Claudia Hutter. «Wir wollten erst auf dem Schulgelände auf Papierbahnen arbeiten, aber hier in der Öffentlichkeit ist es natürlich viel besser.»

Organisiert hat das Ganze die Kulturagentin Bettina Eberhard. Sie engagierte den Experten und fragte bei der Stadt nach geeigneten Flächen. Der Stadtrat Kreuzlingens unterstützte das Vorhaben und liess die Wand sogar blau grundieren. Das Werk «View through the Wall» von Reto Ritz aus dem Jahr 2013 wurde mit Einverständnis des Künstlers übermalt.

 

Bettina Eberhard ist gerne Kulturagentin an der SEK Reminsberf und dem Schulzentrum Bernegg. Bild: Inka Grabowsky

Schülerkunst im Museum

Schon vergangenes Jahr war die Arbeit der Kulturagentin öffentlichkeitswirksam. Die Klasse G1b hatte im Museum Rosenegg mit eigenen Werken auf die historischen Exponate reagiert. Dabei hatte ihnen die Künstlerin Isabelle Krieg geholfen. Sie stellte den 16 Schülerinnen und Schülern die Aufgabe zu „Grenz-Erfahrungen“ zu arbeiten.

Ob sie Zeichnungen, Kollagen, Installationen oder Skulpturen gestalten wollten, war den Jugendlichen freigestellt. Über viele Wochen haben sie jeweils den Mittwochvormittag der Kunst gewidmet – oft über den Unterricht im bildnerischen Gestalten hinaus.

«Es war faszinierend zu sehen, wie ihr völlig vertieft in eure schöpferische Arbeit wart», sagte Klassenlehrerin Maria Fehr damals bei der Vernissage an ihre Schülerinnen und Schüler gewandt. «Wir haben euch herausgefordert und Kreativität gesehen, die sonst im Schulalltag vielleicht etwas zu kurz kommt.»

 

Vergangenes Jahr arbeiteten Schüler ihre eigenen Ideen zu Grenz-Erfahrungen in die Rosenegg-Ausstellung „Hüben und Drüben“ ein. Bild: Inka Grabowsky

Eben kein zusätzlicher Kunstlehrer

Die Lehrpersonen allein hätten bei beiden Projekten den zusätzlichen Aufwand nicht stemmen können. «Sie haben nicht die Zeit, das zu entwickeln», so Bettina Eberhard. «Man darf auch nicht im schulischen Alltag stecken. Die Schule braucht bewertbare Resultate. Darum geht es mir nicht. Ich bin auch keine Pädagogin.»

Die 50-jährige ist eigentlich Filmemacherin, die in Zürich lebt und arbeitet. «Ich habe mich in Kreuzlingen bei allen Kulturinstitutionen vorgestellt und mir ein Netzwerk aufgebaut. Man muss offen sein und auf die Leute zugehen.»

Sehr hilfreich sei für sie das Kooperationsprojekt der Ostschweizer Kulturämter kklick. Auf der Plattform präsentieren sich viele Kulturschaffende, die in den Schulen Impulse geben können.

Netzwerk über sieben Kantone

Basis für die Arbeit der Kulturagentin ist das Projekt «Kulturagent.innen Schweiz», das die Stiftung Mercator initiiert hat. Derzeit nehmen 17 Schulen in Appenzell-Ausserrhoden, Bern, Freiburg, St. Gallen, dem Wallis, Zürich und eben dem Thurgau an dem Pilotprojekt teil.

Die Chancengleichheit der Schülerinnen und Schüler zu stärken, indem die Zugänge zu Kunst und Kultur an der Schule erweitert würden, sei das zentrale Anliegen, erklärt Amanda Unger von der Geschäftsstelle der «Kulturagent.innen: «Das Projekt will vor allem die kulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen fördern. Gleichzeitig profitieren auch die Kulturschaffenden vom Austausch. Sie lernen die Schulstrukturen kennen und können mit und an ihnen arbeiten.»

 

Die Klasse hat demokratisch beschlossen, das Wort „Cheesecake“ in die Unterführung beim Hafenbahnhof zu sprayen. Bild: Inka Grabowsky

Zwei Schulen aus dem Thurgau beteiligt

Bettina Eberhard betreut neben der Sek Remisberg auch das Schulzentrum Bernegg. Ein Drittel ihrer Arbeitszeit ist der Vorbereitung und der Zusammenarbeit mit den anderen Kulturagenten vorbehalten. Alle zwei Monate treffen sich die Agentinnen und Agenten zu Reflexionswerkstätten, in denen sie Ideen und Erfahrungen austauschen oder gemeinsam Lösungen für Herausforderungen in der Praxis suchen.  

All das kostet Geld. Die finanzielle Hauptlast für die gesamte Infrastruktur, die Weiterbildung und die Personalkosten trägt die Stiftung Mercator, die Kantone beteiligen sich in Form von «Kunstgeld», wie Tiina Huber, die Leiterin der Geschäftsstelle ausführt.

«Das erklärt auch, warum im Thurgau nur zwei Schulen dabei sind. Die Finanzierung ermöglicht ein 60-Prozent-Pensum. Und auch der Beitrag des Kantons für die einzelnen Aktionen an den Schulen ist durch das Budget begrenzt.»

Auch die Schulen müssen einen Beitrag leisten. Einige stellen zusätzlich Verbrauchsmaterial. Vor allem aber muss die Lehrkraft, die als Kulturvermittler den Kontakt zwischen Agent und Schule bildet, pro Jahr ein Pensum von hundert Stunden zur Verfügung haben.

Die Aufgabe der Agenten

«Kulturagenten geht es um die Schule als Ganzes, inklusive der Architektur oder der Gestaltung der Pausen», beschreibt Amanda Unger die Aufgabe. «Alles wird bespielt. Es ist ein Experimentierfeld, eine Begegnung von Kunst und Pädagogik. Gemeinsames Ziel soll es sein, dass jede Schule ein eigenes kulturelles Profil findet.»

Die Berater fragen in den Schulen die Bedürfnisse ab. Dann wird gemeinsam ein Kulturfahrplan erstellt. «An der Sek Remisberg ging es darum, das Zusammenleben an der Schule weiterzuentwickeln und die Schule als Teil des öffentlichen Lebens zu verstehen», so Bettina Eberhard.

Schule als Lebensraum und Arbeitsplatz

Der Leiter der Sekundarschulzentrums, Michael Kubli, präzisiert: «Eine der Leitsätze unsere Charta lautet ‹Die Schule ist ein Lebensraum und mein Arbeitsplatz›. Den hatten wir noch nicht genug mit Leben erfüllt. Und genau da konnte Bettina Eberhard ansetzen. Dass es so weit geht, hatte ich bei der Anmeldung für das Projekt nicht geahnt.» Den Wert des Engagements sehe man nach und nach. «Wir profitieren enorm», so Kubli.

Er hatte seine Schule recht frühzeitig für das Programm angemeldet. «Anfangs dachte ich, wir machen doch schon vieles in der Richtung, und wollte anderen Schule den Vortritt lassen. Aber irgendwie haben sich wohl nicht so viele angemeldet, so dass wir doch zum Zuge kamen. Und die Schulgemeinde war so grosszügig, uns das zusätzliche Pensum zu genehmigen.»

Auch Viktor Gruber vom Schulzentrum Bernegg ist zufrieden mit der Arbeit der Agentin: «Für unsere Schule ist es auf jeden Fall ein Mehrwert insofern, als dass die Schule aus einer anderen Perspektive betrachtet werden kann – mit anderen Augen.»

Halbzeitbilanz fällt positiv aus

Im Sommer 2024 ist die Pilotphase des Projekts zu Ende. «Fast alle Schulen, die begonnen haben, sind immer noch dabei, insofern läuft das Projekt gut. Insbesondere im Thurgau bewegt sich viel», so Amanda Unger. «Wir hoffen schon auf eine Anschlussphase», ergänzt Betriebsleiterin Tiina Huber. «Gespräche dazu laufen. Es ist viel Arbeit von allen Beteiligten in das Projekt geflossen, dass es schade wäre, wenn es keine Fortsetzung fände.»

Einiges wird so oder so bleiben. Der Kreuzlinger Schulleiter Kubli freut sich über die Verankerung der Kulturvermittlung am Remisberg. Spektakuläre Aktionen wie im Museum Rosenegg oder der Unterführung Hafenbahnhof seien aufwändig und punktuell wirksam. Entscheidend sei aber der nachhaltige Effekt der Arbeit mit der Kulturagentin.

Auch mit neuer Schulleitung soll es weitergehen

«Das ist umso wichtiger, als dass sowohl unser Kulturvermittler als auch ich unabhängig voneinander das SSZ Remisberg zum Sommer verlassen. Es soll aber auch ohne uns weitergehen.»

Den Remis-Talk, bei dem jede Klasse aktiv etwas gestalten kann, soll es auch mit neuer Schulleitung, neuen Kulturvermittlern und gegebenenfalls ohne Kulturagentin weiter geben.

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