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von Inka Grabowsky, 05.03.2025

Ein Musical als Matura-Arbeit

Ein Musical als Matura-Arbeit
Lena Pallmann ist selbst 19 Jahre alt. Sie zeigt Verständnis für die 22-jährige Mitläuferin Traudl Junge. | © Inka Grabowsky

Die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs im Führerbunker in Berlin stehen im Mittelpunkt eines Musicals, das die Schülerin Lena Pallmann geschrieben hat. Die 19-Jährige wählte das Thema für ihre Abschlussarbeit an der PMS. Jetzt stellte sie die Musik bei einem Konzert vor. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

«Als ich von meinem Vorhaben erzählt habe, waren zunächst alle überrascht: ‹Was – ein Musical? ›, hiess es erst, und dann ‹Was – dieses Thema?» Lena Pallmann lacht inzwischen über die Skepsis. Denn nach der Matura-Präsentation von «Zeugin der Dunkelheit» war das Publikum tief beeindruckt. Und von den Prüfenden wurde die Arbeit mit einem «Sehr gut» bewertet.  

Die 19-Jährige aus Frauenfeld sammelt Bühnenerfahrung, seit sie elf ist. Zuletzt sah man sie grossen Rollen: Sie war 2024 «Sugar»bei der Zentrumbühne Bottighofen und Aphrodite in der «Prometheus»-Inszenierung im See-Burgtheater. Musicals ziehen sich durch ihre Karriere. Deshalb ist es kein Wunder, dass sie auf die Idee kam als Maturaarbeit selbst eines zu schreiben. «Ich dachte: Ich mach das jetzt – ob es klappt oder nicht.» 

 

Lena Pallmann präsentiert ihr Musical, begleitet von Helge Herr am Klavier. Bild: Inka Grabowsky

Grausam, aber wichtig

Inhaltlich inspiriert wurde die junge Frau durch die 1947 aufgezeichneten Erinnerungen von Traudl Junge, nach denen 2004 der Film «Der Untergang» gedreht wurde. Einerseits habe sie über die Gräueltaten der Nazis aufklären wollen, andererseits die Frage von Schuld und Verantwortung stellen wollen, beschreibt Lena Pallmann in ihrer Arbeit. 

Traudl Junge war 22, als die den Job als Hitlers Privatsekretärin in der Reichskanzlei annahm. Nach Kriegsende wurde sie wegen ihres jugendlichen Alters als Mitläuferin freigesprochen. Hier setzt die Handlung auf der Bühne ein. Und hier kam die Autorin mit ihren heute 19 Jahren selbst ins Nachdenken: «Könnte mir das passieren? Ich kann nicht sagen, ob ich bei einer solchen Weichenstellung rechtzeitig abgebogen wäre. Genau dafür muss man sensibilisieren. Gerade weil es so grausam ist, muss man die Geschichte erzählen.» 

Es sei deshalb durchaus ein politisches Stück, auch wenn die Zeitgeschichte trocken erzählt wird. «Bis auf Hitler sind alle genauso Opfer wie Täter», sagt die 19-Jährige Deutlich wird das im Lied von Magda Goebbels. Gerade hat sie ihre Kinder vergiftet, nun nimmt sie selbst Blausäure. Ohne Hitler kann sie sich ihr Leben nicht vorstellen. 

Video: Einblicke in die Aufführung

Unerwartete Form

Die Geschichte der letzten Sekretärin Hitlers gibt einen etwas ungewöhnlichen Stoff für das Genre Musical, das gemeinhin als «leichte Muse» gilt. Das räumt auch Lena Pallmann ein. «Die meisten Musicals sind anders. Meines hat eben mehr Tiefe. Ein Happy End konnte ich wegen der historischen Ereignisse nicht schreiben. Ich wollte dem Thema die Schwere geben, die es verdient.» 

Sie habe lange überlegt, wie und ob sie Hitler auftreten lässt. «Es ist nicht ohne, so eine Person darzustellen. Am Ende habe ich mich entschieden, mich dicht an die Erinnerungen von Traudl Junge zu halten. Es gibt also eine normale Sprech-und Gesangsrolle. In der Musik merkt man allerdings einen Bruch: Die Musikfarbe ändert sich, wenn er dran ist.» 

Nicht alles ist in Moll: In den drei Jahren erzählter Zeit zwischen 1942 und 45 gibt es Raum auch für heitere Themen. Die Protagonistin ist schliesslich eine junge Frau, die eigentlich Tänzerin werden möchte. Und sogar im Bunker gibt es zwischenzeitlich gute Laune – wenn auch nur zur Ablenkung. Hitlers Braut Eva Braun will schliesslich den Geburtstag ihres Zukünftigen feiern. 

 

Zur Maturaarbeit gehört nicht nur ein Konzert, sondern auch eine umfangreiche Dokumentation mit theoretischem Hintergrund. Bild: Inka Grabowsky

Eine Inszenierung steht noch aus

Bei den zwei Konzerten, die sie bisher gegeben hat, sang Lena Pallmann selbst alle Rollen. Interpretin ist sie also auch noch. Auf die Umsetzung mit einem Ensemble hofft sie später. «Ich würde es gern aufführen, aber dafür fehlen mir die Mittel.» Einiges ist schon vorgedacht – bis hin zur Drehbühne mit drei verschieden Kulissen. 

Zufrieden ist die Komponistin und Librettistin trotzdem nicht mit ihrem Werk. Wegen der Abgabefristen im Rahmen der Prüfung fehlt ihr noch das eine oder andere Kapitel. Geschrieben sind immerhin elf Szenen mit den entsprechenden Liedern. «Wahrscheinlich wäre das Stück für eine Aufführung tatsächlich zu kurz», meint sie. «Ich werde sicher noch weiter daran arbeiten, jetzt eben aus Leidenschaft, und nicht, um die Prüfung zu bestehen.» 

Bei aller Passion für die Bühne will Lena Pallmann nach der Matura zunächst einmal an die PH gehen, um sich zur Lehrerin ausbilden zu lassen. «Wenn ich darauf zurückgreifen kann, bin ich später umso freier, es mit der Schauspielschule zu versuchen.» 

 

 

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