von Inka Grabowsky, 09.12.2024
Heimspiel für 75 Kunstschaffende
Am 13. Dezember startet das grenzüberschreitende Ausstellungsformat. In fünf verschiedenen Orten wird zeitgenössische Kunst bis zum 2. März gezeigt. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
476 Kunstschaffende aus Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden, aus Liechtenstein, Vorarlberg, Glarus, St. Gallen und dem Thurgau hatten sich an der Ausschreibung beteiligt. Die Kuratoren und Kuratorinnen für die fünf Ausstellungsräume in St. Gallen, Dornbirn, Glarus und Arbon konnten aus dem Vollen schöpfen. 75 passten ihnen ins jeweilige Konzept. «Das heisst nicht, dass die Arbeiten der 401 anderen nicht spannend wären», betont Melanie Ohnemus vom Kunsthaus Glarus. «Jeder von uns ist mit einer bestimmten Idee an die Auswahl herangegangen. Manches passte, anderes eben nicht.»
Fast alle Bewerber:innen haben zugestimmt, dass ihre digitalen Dossiers in der Doku-Station im «Auto» von Visarte in St Gallen öffentlich präsentiert werden. Das Schaufenster ist von aussen steuerbar. Man kann sich also rund um die Uhr von der Vielfalt des Angebots überzeugen. «Ausserdem haben wir dieses Mal 150 offene Ateliers – doppelt so viele wie vor drei Jahren», sagt Co-Projektleiter Andrin Uetz. «Auch Kunstschaffende, die nicht im Museum zu sehen sind, beteiligen sich dabei an den Wochenenden 28./29. Dezember und 11./12. Januar», ergänzt seine Kollegin Ramona Früh.
Netzwerk der Institutionen
Es sei erstaunlich, dass es nur wenige Überscheidungen in den Wünschen der Kuratierenden gegeben habe, meint Stefanie Hoch vom Kunstmuseum Thurgau. «Es wäre ja anzunehmen gewesen, dass bestimmte Dossiers gleich mehreren Interessenten aufgefallen wären, aber das war nur in zwei oder drei Fällen so.»
Im Team wurde besprochen, was besser zu welchen Ausstellungskonzept passt. «Und wir haben nicht ausgeschlossen, dass ausnahmsweise jemand an zwei Orten beteiligt ist.», erklärt Thomas Häusle vom Kunstraum Dornbirn. «Verhandelt haben wir schon, aber nicht wie auf den Basar gehandelt.»
Vier Künstlerinnen im Kunstraum Dornbirn
Unterschiedliche Räume ziehen unterschiedliche Ausstellungsideen nach sich. «Wir haben in unsere Montagehalle aus dem Jahr 1893 keine moderne Haustechnik und eine besondere Lichtsituation», sagt Thomas Häusle. In die elf Meter hohen Räume kann das Sonnenlicht direkt einstrahlen.
«Damit verbieten sich für uns etwa lichtempfindliche Zeichnungen oder Fotografien. Ideal geeignet sind raumgreifende Installationen, die extra für uns vor Ort geschaffen werden.» Für das spezielle Format des «Heimspiels» gibt es einen Dialog zwischen Arbeiten von Katharina Fitz, Judith Saupper, Ursula Palla und Lucie Schenker. «Sie gehen alle unterschiedlich mit dem Raum um – mal abstrakt, mal konkret. Wenn es funktioniert, verstärkt die Architektur die Wirkung noch.»
«Gestalt» im Kunsthaus Glarus
Zum 3. Mal dabei ist das Kunsthaus Glarus. Kuratorin Melanie Ohnemus hat 19 Kunstschaffende im Alter zwischen 23 und Mitte 70 ausgesucht, die von Videokunst bis zu fast naiver Malerei viele Spielarten der Kunst zeigen. Rund die Hälfte von ihnen hat sich autodidaktisch zum Künstler, zur Künstlerin entwickelt. «Ich habe sie alle in ihren Ateliers besucht. Diejenigen, die die Karriere nach Glasgow oder Essen gezogen hat, habe ich online getroffen. Das war hoch interessant.»
Die Ausstellung in Glarus stellt die «Gestalt» in den Mittelpunkt. «Sie kann mysteriös sein oder bedrohlich. Psychoanalytisches und Apokalyptisches spielt in den Begriff hinein. Als Symbol einer Übergangssituation passt sie gut in unsere Zeit des Wandels.»
Zwei Varianten in St.Gallen
Mischwesen und Groteskes zeigt die Kunst Halle St.Gallen in der Schau «Uncanny Unchained: The Power of Weird». Die Ausstellung feiert das Wunderliche. «Dinge, die sich an den Rändern der Normalität tummeln, faszinieren uns», lässt Kuratorin Barbara Kiolbassa verlauten. «Doch wer definiert, was ‹normal› ist?» Sie hat Werke von 22 lokalen und regionalen Künstler und Künstlerinnen ausgewählt, um diese Frage zu illustrieren.
Im Kunstmuseum St.Gallen wird das Untergeschoss zu einem Reservoir. Kurator Lorenz Wiederkehr nahm die vielen eingereichten Dossiers als Vorratsspeicher wahr, aus dem ihn 18 Kunstschaffende und ein Kollektiv formal und ästhetisch besonders überzeugt haben. «Kunst kann als Reservoir für Ideen zur gesellschaftlichen Erneuerung dienen. Und der Raum, den wir zur Verfügung haben, erinnert mit seinen vielen Säulen an ein Wasser-Reservoir.» Im Rahmen des Heimspiels könne man hier Experimente wagen und Innovationen anstossen.
Zwischennutzung im Werk 2 in Arbon
Für die neue Ausstellungsfläche im Werk 2 in Arbon hat Stefanie Hoch von Kunstmuseum die Kuration übernommen. «Der Stoff, aus dem die Gegenwart besteht» hat sie zum Motto gewählt, in Anlehnung an Shakespeares «Sturm»: «Wir sind aus solchem Stoff, wie Träume sind, und unser kleines Leben ist von einem Schlaf umringt».
«Bei der Durchsicht aller Dossiers war interessant, welche Themen sich durchziehen», erklärt sie. «Es geht oft um Identität und Heimat, um Krieg und Krisen, aber auch um Humor als Bewältigungsstrategie».
In der ehemaligen Webmaschinen-Halle hat sie Platz für 21 künstlerische Positionen. Unter anderem, um Wände für Bilder und einen Raum für Video-Installationen zu schaffen, gibt es in der Mitte einen weissen Kubus. In seinem Innern wird eine Künstlerbar eingerichtet, die zum Treffpunkt werden soll.
Breit in der Politik abgestützt
Für die Trägerschaft sagt der Leiter des Kulturamts Thurgau, Philipp Kuhn: «Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass insgesamt acht Kulturämter aus drei Nationen – dem Fürstentum Liechtenstein, Österreich und der Schweiz –, aus fünf Kantonen sowie dem Bundesland Vorarlberg und der Stadt St. Gallen gemeinsam das Ausstellungsformat mitverantworten.» Heimspiel überwinde Grenzen und zeige die Vielfalt der ganzen Region.
Ausserdem fülle das «Heimspiel» eine Lücke, die nach Einstellung der «Werkschau» gerissen worden war. Das Werk 2 sei vom Kanton rudimentär ertüchtigt worden, etwa mit neuer Beleuchtung. Klimatisiert sind die Räume nicht. Im Winter dürfte es kalt werden. Der Saal im Obergeschoss ist nur als Zwischennutzung für Ausstellungen gedacht. Ab 2037 ist hier ein neues interdisziplinäres Themenhaus eingeplant, das von allen kantonalen Museen bespielt werden soll.
Ein mobileres Publikum wäre schön
Das Festival Heimspiel verstärkt eindeutig die Vernetzung unter den Kulturakteuren in der Region. Das sagen alle Kuratoren und Kuratorinnen. Bei der Vernetzung unter den Kunstinteressierten gibt es noch Verbesserungspotenzial. «Wir würden uns wünschen, dass die Mobilität der Besucher grösser wird», sagt Thomas Häusle. «Thurgauer in Glarus sind sich noch Einzelerscheinungen.»
Zwei organisierte Ausflüge mit dem Reisecar sollen dem entgegenwirken. «So verbinden wir St. Gallen mit Arbon, Dornbirn und Glarus und unterstreichen dabei den dezentralen Charakter von Heimspiel», erklärt Philipp Kuhn. Am 19. Januar (ab St. Gallen) und 16. Februar (ab Arbon) kann man sich für insgesamt 10 Franken zu drei Ausstellungen fahren lassen, Führungen vor Ort und ein Apéro inklusive.
Das Festival Heimspiel
Hauptvernissage am Freitag, 13. Dezember 2024, um 19 Uhr im Kunstmuseum St.Gallen mit einer Performance von Ronja Svaneborg
Zuvor eröffnet die Kunst Halle Sankt Gallen um 17:30 Uhr, der Kunstraum Dornbirn schon am Donnerstag, 12. Dezember 2024, um 19 Uhr. Das Kunsthaus Glarus folgt am Samstag, 14. Dezember 2024, um 18 Uhr und das Werk2 in Arbon am Sonntag, 15. Dezember 2024, um 14 Uhr.
Der Eintritt zu den Ausstellungen ist jeweils frei.
Das Rahmenprogramm ist umfangreich. https://heimspiel.tv/programm
Von Inka Grabowsky
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