von Urs Oskar Keller, 10.10.2025
Spaziergang mit Niklaus Meienberg

Augenblicke (17): Begegnung mit einem unbequemen Geist: Wie unser Fotokolumnist vor fast 35 Jahren mit dem eigenwilligen Reporter und Schriftsteller Schloss Eugensberg erkundete. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Der Reporter und Schriftsteller Niklaus Meienberg (1940–1993), in eigenartiger Reitermontur, ungezähmt wie seine Haarpracht, hielt sich seit dem Golfkrieg «Desert Storm» um Kuwait im Winter 1991 wieder länger im Thurgau auf. Im Februar lebte er vorübergehend bei seinem Schulkollegen Alfons Angehrn auf dem Wasserschloss Hagenwil. Niklaus ritt fast täglich, bewegte Angehrns Pferde oder seinen neuen roten BMW.
Das St. Galler Urgestein trug schwarze Lederstiefel, einen Hut und einen hellen Trenchcoat. Als Accessoire diente eine Peitsche, mit der er zeitweise wie ein Berserker herumfuchtelte. Meienberg fühlte sich vom israelischen Auslandgeheimdienst Mossad bedroht, als ich ihn am 13. März 1991 in Konstanz traf.
Er fühlte sich vom Mossad bedroht
Ich erzählte ihm von meiner «Weltwoche»-Reportage über einen Diplomatenausflug zu den Asylsuchenden in Kreuzlingen, von meinen Berichten über den illegal erstellten Maschendrahtzaun im Wald von Schloss Eugensberg, den die reiche Familie Erb, Auto-, Kaffee- und Immobilienhändler aus Winterthur, errichtet hatte. Spontan unternahmen wir gleich einen Ausflug an die «Originalschauplätze», und Niklaus führte mir stolz seinen neuen Wagen vor.
In der Nähe des Napoleon-Schlosses Arenenberg parkte er seinen roten BMW mit Spoiler und glänzenden Alufelgen. Von dort spazierten wir – mit Blick auf das damals unbewohnte Schloss Salenstein des Winterthurer Immobilienkönigs und Kunstsammlers Bruno Stefanini – zügig zum Eugensberg. Das historische Gebäude war eine Grossbaustelle. Einige Hundert Handwerker waren für die porentiefe Renovierung engagiert worden.
Video: Niklaus Meienberg in Paris (1993)| SRF Archiv
Niklaus Meienbergs Vater war früher unter anderem Vermögensverwalter von Sina Saurer-Hegner, der Witwe des Arboner Industriellen Hippolyt Saurer. Die Witwe wollte bereits 1938 das gesamte Anwesen an den Kanton Thurgau veräussern. Erst 1948 wurde das Schloss mit 22 Zimmern für 850’000 Franken an den Diakonie-Verband «Ländli» verkauft. Der Diakonie-Verband aus Oberägeri ZG verkaufte 1990 das über achtzig Hektaren grosse Anwesen mit Gutsbetrieb an die Winterthurer Kaufmannsfamilie Erb. Das feudale Schloss wurde bis 2017 von Rolf Erb (†65) und seiner Lebenspartnerin sowie ihren beiden 2002 geborenen Söhnen bewohnt.
Die Zwillinge waren zehn Monate alt, als ihnen ihr Vater das 30-Millionen-Schloss vermachte. Nur ein Jahr später, 2003, gab der Unternehmer den Konkurs seiner Firma bekannt. Seine Firma, die Erb-Gruppe, war konkursgegangen, und Erb wurde später unter anderem wegen Urkundenfälschung verurteilt. Im April 2017 starb der damals 65-Jährige überraschend an den Folgen einer Herzerkrankung. Die Familie verliess das Schloss im August 2017. Zwei Jahre später erwarben Christian und Alexandra Schmid den Eugensberg. Der gebürtige Deutsche wurde mit dem Datenspeicherservice «Rapid-Share» reich.
Unvergesslich: Die Meienberg’sche Parkfontäne
Unbeobachtet spazierten wir beide durch die 300 Meter lange, tunnelartige Goldregenallee – die der bedeutende Schweizer Künstler Adolf Dietrich (1877–1957) gemalt hat – und standen alsbald auf der imposanten Terrasse des öffentlichen Aussichtspunkts «Hirschensprung». Im gleichen Jahr erschien sein Buch «Weh unser guter Kaspar ist tot. Plädoyers u. dgl.». Und siehe da: Meienberg verwendete Dietrichs dramatischen «Schiffsuntergang vor Berlingen» für den Buchumschlag.
Niklaus zierte sich, als ich ihn auf dem Eugensberg fotografierte – nur einige Bilder gelangen. Eine meiner Nikon-Kameras machte zudem Probleme bei der Auslösung. Eine Aufnahme zeigt ihn von hinten beim Pissen an die Parkmauer gegenüber dem Hauptportal. Die Meienberg’sche Parkfontäne blieb die beste Schwarzweissaufnahme von Niklaus auf dem Eugensberg.

Schlossprinz abwesend, ab zu Nationalrat Mühlemann
Danach ging’s hurtig ins Entrée des offenen Schlosses. Da der neue Schlossprinz und Parvenu Rolf Erb (1951–2017) zu unserer Enttäuschung nicht auf seiner «Baustelle» war, zeigte ich ihm noch das «Corpus Delicti» im Wald: den Drahtzaun. Anschliessend zogen wir weiter.
Unsere Fahrt in seinem auffallend grellen Wagen führte auf dem Seerücken zur 1975 gegründeten UBS-Kaderschmiede Schloss Wolfsberg, die damals FDP-Nationalrat und Brigadier Ernst Mühlemann (1930–2009) leitete. Meienberg «duellierte» sich gerne mit dem Haudegen und Bauernsohn aus dem Dorf Illhart. Leider standen wir vor verschlossener Tür. Eine «standing invitation» reichte der «Schattenminister» nach.
Niklaus Meienberg, geboren am 11.5.1940 in St. Gallen, gestorben am 22.9.1993 in Zürich, war Journalist, Schriftsteller und Historiker. Sohn des Alois und der Maria Bertha, geborene Geiges. Ledig. Nach dem Gymnasium in der Klosterschule in Disentis (GR) studierte Meienberg Geschichte in Fribourg, Zürich und Paris. Die Studienzeit schloss er mit einer Lizentiatsarbeit über Charles de Gaulle ab.
Ab 1966 arbeitete er als Pariser Korrespondent der «Weltwoche», ab 1971 war er Mitarbeiter des «Tages-Anzeiger Magazins» sowie verschiedener Printmedien, Radio- und Fernsehanstalten. 1982/83 Pariser Korrespondent der deutschen Illustrierten «Stern», danach freier Schriftsteller. Niklaus Meienberg trat sowohl als scharfzüngiger Kritiker wie auch als sensibler Beobachter in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Die Spannbreite seines Schaffens reicht von der sozialkritischen Reportage bis hin zur Liebeslyrik. Verschiedene Preise, unter anderem Zürcher Journalistenpreis, Max-Frisch-Preis, St. Galler Kulturpreis. Sein Nachlass befindet sich im Schweizerischen Literaturarchiv (SLA) in Bern.
Nichts ist erregender als die Wahrheit
Anschliessend fuhren wir zum Schloss von Banker und UBS-Ehrenpräsident Robert Holzach (1922–2009) auf den 681 Meter hohen Ottenberg. Da auch der Thurgauer Banker mit seinem Mercedes unterwegs war, nahm Meienberg die kurvenreiche Strasse beim Schlossgut Bachtobel vorbei – wo Oberst Kesselring über Dekaden seine Spitzenweine kelterte – nach Weinfelden. Auf eine «Privataudienz» beim deutschen Baron August von Finck («Mövenpick» et al.) auf Schloss Weinfelden wurde verzichtet. Die Mägen knurrten!
Eines von Meienbergs Lieblingsrestaurants, der Landgasthof «Sonne» von Eddy und Christa Gander in Hüttwilen, lag nicht am Weg. Dort ging er auch mal mit Max Frisch zum Essen. Hüttwilen gehörte zu seinem «Ausgangsrevier», als er eine Klause im ehemaligen Kloster Ittingen bewohnte.
Video: Erinnerungen an Niklaus Meienberg
Ein Meister der Sozialkritik
Meienberg machte im Weinfelder Altstädtchen noch eine kleine Ehrenrunde um den Brunnen für den Pfarrer und Schriftsteller Thomas Bornhauser, der mit der Schrift «Über die Verbesserung der thurgauischen Staatsverfassung» 1830 den Anstoss zum Sturz der thurgauischen Aristokratie gab. Bornhauser war auch der Anführer der thurgauischen Regenerationsbewegung. Wie Charles Dickens war der St. Galler auch ein Meister der Sozialkritik. Nichts ist eben erregender als die Wahrheit!
Nach unserer Erkundungstour durch den ehemaligen «Untertanenkanton» kehrten wir beim Weinfelder Rathaus in eine gemütliche Beiz ein. Zum Schluss hetzte Niklaus in seinem teuren «Schlitten» nach Kreuzlingen, wo er mich absetzte und hurtig in die «Retraite» auf Schloss Hagenwil weiterfuhr.
Zweieinhalb Jahre nach unserer Begegnung, am 23. September 1993, wählte Niklaus Meienberg in Zürich den Freitod. Seine Asche wurde bei Paris in die Seine verstreut.
Neues Buch zu Niklaus Meienberg
Mario Gmür: «Ein Psychiater erinnert sich an einen Anstössigen. Gedanken über Niklaus Meienberg.» 76 Seiten. Taschenbuch. Haupttext von Mario Gmür. Dazu der Beitrag «Erinnerungen eines Klassenkameraden an Niklaus Meienberg» von Hans Peter Vieli. Dozwil TG: Edition Signathur, 2023. Mehrere Abbildungen, einige aus den Bildarchiven ehemaliger Klassenkameraden an der Klosterschule Disentis GR. Broschur. Preis: 18 Franken. ISBN 978-3-906273-51-8.

Von Urs Oskar Keller
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