von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 12.08.2020
Die Vermittlerin
Seit März ist die Kunsthistorikerin Lucia Angela Cavegn Kulturbeauftragte der Gemeinde Diessenhofen. Sie will den Kulturtourismus stärken und das Werk von Margrit Roesch-Tanner sichtbarer machen.
Wenn man so will, dann ist der neue Job für Lucia Angela Cavegn Glück und Pech zugleich. Glück, weil es ihr eine interessante Aufgabe und finanzielle Sicherheit in einem sonderbaren Jahr gibt. Pech, weil sie in Zeiten der Pandemie ein Amt übernimmt, von dem man nicht so genau weiss, was nach Betrachten der Corona-Folgen davon übrig bleiben wird.
Seit 1. März dieses Jahres ist die aus Emmenbrücke (Kanton Luzern) stammende Cavegn Kulturbeauftragte der Gemeinde Diessenhofen. Die Kunsthistorikerin selbst hält von diesen Glücks-Pech-Zuschreibungen wenig. Sie freut sich vor allem über die neue Aufgabe: „Ich mag den Ort und die Menschen hier sehr und ich geniesse die Gestaltungsfreiheit, die ich habe“, sagt die 51-Jährige beim Gespräch mit thurgaukultur.ch in einem Eiscafé am Ufer des Rheins.
In den vergangenen Jahren war Lucia Angela Cavegn vor allem als freischaffende Kulturpublizistin, Kunstvermittlerin, Kuratorin, Moderatorin und Autorin unterwegs. Auch im Thurgau ist sie keine Unbekannte. In den vergangenen Jahren hat sie auch hier immer wieder verschiedene Ausstellungen kuratiert. Mit dem Format Kunst-Zimmer hat sie zudem in Winterthur ein modernes Kunstvermittlung-Format mitentwickelt. Studiert hatte sie in Zürich: Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Geschichte des Mittelalters sowie Rätoromanische wie auch Italienische Sprach- und Literaturwissenschaft.
„Mein Wunsch ist es, dass die Arbeiten von Margrit Roesch-Tanner sichtbarer werden.“
Lucia Angela Cavegn, Kulturbeauftragte der Gemeinde Diessenhofen, vor dem Museum kunst + wissen
Jetzt also Diessenhofen. Eine Kulturbeauftragte hatte die Gemeinde bislang nicht, Cavegns Vorgängerin, die Kunsthistorikerin Helga Sandl, war mit einem 20-Prozent-Pensum nur zuständig für das Programm im Museum Kunst + Wissen. Als Sandl im vergangenen Jahr zur Jakob und Emma Windler-Stiftung in Stein am Rhein wechselte, beschloss die Gemeinde, das Pensum auf 50 Prozent aufzustocken und das Stellenprofil zu erweitern. „Als Kulturbeauftragte kümmert man sich nicht nur um das Museum, sondern man will für die gesamte Stadt Gutes tun“, sagt Lucia Angela Cavegn. Sie sieht sich dabei vor allem als Vermittlerin.
Ihr Ziel sind drei bis vier Ausstellungen pro Jahr im Museum, aber darüber hinaus eben auch eine Wirkung in die Gemeinde hinein. Sie will ein Kulturkonzept entwickeln für den Ort, um die Rolle der Kultur in der Entwicklung der Gemeinde klarer zu fassen. Kulturrundgänge durch die Stadt möchte sie etablieren, Kulturtourismus stärken und die Leute vor Ort zusammenbringen. „Ich möchte, dass das Museum ein Ort ist, der für die Menschen von hier, aber auch für Gäste von aussen interessant ist“, sagt die 51-Jährige. Erreichen will sie das mit einem breiten Mix: Historische, kunsthistorische Themen sollen ebenso Platz finden wie naturwissenschaftliche oder topographische Ausstellungen.
Wie das aussehen könnte, sieht man bereits jetzt: Aktuell zeigt sie Architekturmodelle des Diessenhofeners Walter Koch. Sein Modell der Diessenhofer Rheinbrücke wurde bereits mehrmals ausgestellt. Weniger bekannt war bislang, dass Koch zahlreiche weitere Architekturmodelle von bestehenden und abgerissenen Diessenhofener Altstadthäusern in seiner Werkstatt geschaffen hatte. Dieses sind nun in der Ausstellung „Erinnerungen nachgebaut“ noch bis zum 15. August zu sehen.
Kunst und Kunsthandwerk will sie verbinden
Weil Lucia Angela Cavegn weiss, dass sie in einem 50-Prozent-Pensum nicht alles alleine stemmen kann, will die Kulturbeauftragte auch die Leute vor Ort einbinden. So plant sie zum Beispiel die Kunst-Ausstellungen gemeinsam mit dem Kunstverein Diessenhofen. Von klassischen Grenzen hält sie ohnehin nichts: „Ich habe keine Angst Kunst und Kunsthandwerk zu verbinden. Das Handwerkliche, das Arbeiten mit den Händen in welcher Form auch immer, das Erlebnis des Haptischen finde ich wichtig“, erklärt Cavegn.
Trotz all der anderen Aufgaben: Das Museum bleibt auch für die neue Kulturbeauftragte zentral. Seit den 1970er Jahren wird das 500 Jahre alte Gebäude, eine ehemalige Rotfärberei und später Amtshaus der Gemeinde, für museale Zwecke genutzt. Erst als Ortsmuseum, seit 2013 dann als ein Ort, der einerseits vergessene regionale Künstler und Geschichten wiederentdeckt, andererseits aber mit seinem Blick nie nur im Lokalen verharrt.
Dass es das Gebäude überhaupt als Museum gibt, hat mit einem bekannten Bürger der Stadt zu tun: Carl Roesch (1884–1979). Der Maler, der unweit des Museums auch sein Atelier hatte, schenkte seine Bilder der Stadt mit der Auflage, sie auch öffentlich zu zeigen. Die Gemeinde entschied, dass das frühere Amtshaus der richtige Ort dafür wäre. Und so zeigt das Museum neben den Sonderausstellungen auch eine Dauerausstellung mit Arbeiten von Carl Roesch.
„Es geht hier nicht um meine Selbstverwirklichung, sondern darum herauszufinden, was die Bedürfnisse des Ortes und der Menschen hier sind.“
Lucia Angela Cavegn, KunsthistorikerinArbeiten von Roesch sind ebenfalls in seinem Atelier zu sehen. Auch hier möchte Lucia Angela Cavegn Veränderungen auf den Weg bringen: Die Arbeiten von Margrit Roesch-Tanner (1880-1969) sollen hier in den Mittelpunkt kommen. Bislang steht ihr Werk im Schatten ihres Mannes. Dabei hat sie ein vollkommen eigenständiges Werk geschaffen. Das zeigt auch die aktuelle Ausstellung „Frauen erobern die Kunst“ im Kunstmuseum Thurgau. „Mein Wunsch ist es, dass die Arbeiten von Margrit Roesch-Tanner sichtbarer werden. Künftig soll ihr Wirken vor allem im «Carl Roesch Atelier» dauerhaft zu sehen sein; während das Schaffen ihres Mannes im Museum gut dokumentiert bleibt“, so Cavegn.
Bei all den Aufgaben und Ideen stellt sich irgendwann die Frage: Was ist machbar mit einem Teilzeitpensum und einem schmalen Budget? „Verantwortung bedeutet hier, die richtige Entscheidung zu treffen. Ich bin auf Leute angewiesen bin, die mich ehrenamtlich unterstützen. Es ist also wichtig, dass ich viel Rückhalt in der Bevölkerung geniesse“, sagt die Kunsthistorikerin.
Der feste Glaube: Alles was kommen soll, wird kommen
Grundlegende Sachen will sie in den nächsten Monaten in Absprache mit dem Stadtpräsidenten Markus Birk entwickeln und priorisieren. Nicht im stillen Kämmerlein, sondern immer im Dialog mit den Menschen vor Ort. „Es geht hier ja nicht um meine Selbstverwirklichung, sondern darum herauszufinden, was die Bedürfnisse des Ortes und der Menschen hier sind“, erklärt die Kulturvermittlerin ihren Ansatz.
Dass sie nun ausgerechnet in der Corona-Zeit ihren neuen Job angetreten hat, empfindet sie auch nicht nur als Nachteil: „Es hat mir Zeit gegeben, die Situation hier genau anzuschauen, Dinge zu verräumen und mich vor Ort einzuleben.“ Sie lasse sich jetzt komplett auf das Abenteuer Diessenhofen ein. Ihre Haltung dabei ist entspannt: Alles was kommen soll, wird kommen.
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