von Maria Schorpp, 20.11.2017
Der Unfassbare
Im Casino Frauenfeld unternahm „Theaterlust“ in seinem Gastspiel mit „Martinus Luther“ den Versuch, den Reformator zumindest menschlich in den Griff zu bekommen. Das ist selbstverständlich nicht gelungen, aber das ist auch in Ordnung so.
Von Maria Schorpp
Er robbt und windet sich unter Höllenqualen den Bühnenboden rauf und runter. Nicht gerade feinsinnige Theaterkunst. Reichlich zu viel, reichlich zu plakativ. Allerdings: Dieser Mann macht Erhebliches mit – nolens volens, wie es im Lateinischen heisst, was Luther so wohl nicht hätte stehen lassen. Wohl oder übel, hätte er vielleicht übersetzt, muss er sich das zumuten. Sich und den anderen. Lossagen muss er sich von allem, was von ihm erwartet wird, das hat er der heiligen Anna versprochen, wenn er das Gewitter „bey Stotternheym“ überlebt. Und er hat überlebt. Nun geht’s ans Versprechen einhalten. Und er hält ein, wird Mönch, ein Wahrheitssucher, unbarmherzig gegen Freund und Feind. Die Paukenschläge, die Anno Kesting im Hintergrund erdonnern lässt, sind so gesehen nicht ganz unangemessen.
Es ist gewöhnungsbedürftig, dieses Theater. Der Dramatiker und Dramaturg John von Düffel hat mit dem Auftragswerk „Martinus Luther. Anfang und Ende eines Mythos“ einen Zweiakter verfasst, der, sowohl was den Inhalt als auch was die Form betrifft, auf deutschsprachigen Bühnen heraussticht. Ein textgewaltiges Stück mit gleich anfangs langen Monologen, die in einer historisierenden Kunstsprache Luthers Zeit und regionale Herkunft im deutschen Thüringen aufgreift. Religion und Psychologie im Theater und das mit nur wenigen Brechungen, von ein paar wenigen Ironisierereien mal abgesehen.
Ein aussergewöhnlicher Mensch. Aber halt ein Mensch
„Theaterlust“ nennt sich das freie Ensemble, das mit John von Düffels Vorlage im Jahr 500 nach dem vermeintlichen Thesenanschlag auf Tournee ist. Auf Einladung des Theatervereins Frauenfeld leuchtete es im Casino Frauenfeld in zwei Lebensabschnitte eines Gewaltigen hinein, ohne ihn auf einen Sockel zu stellen, um ihn hernach wieder herunterholen zu müssen. Wie ihn Sebastian Gerasch zunächst als jungen vom Zweifel zerfressenen unfreiwilligen Revoluzzer und dann Thomas Kügel als alten verlotterten und noch ungehaltener gegen die Welt tobenden Hasser zeigen, ist das ein Mensch, zweifelsohne ein aussergewöhnlicher. Aber halt ein Mensch.
Die Bühne von Barbara Fumian spiegelt wider, was es mit diesem Menschen auf sich hat. Im ersten Akt, der mit dem Thesenanschlag endet, als die „Karriere“ Luthers beginnt, formt ein lichternes Kreuz den Bühnenboden. Aufklappbare Seitenwände dienen der Akzentuierung. Einmal zu Anfang windet sich der junge Luther darunter, als trage er das Kreuz Christi. Ein verstörender Hinweis auf die Hybris, die zu dieser ganzen Zweifelssucht und ihrer Verkehrung in die Tat wohl gehört. Im zweiten Akt schwebt die Kreuz-Konstruktion an der Decke, mehr drohend als beschützend, und hat am Boden Gräben hinterlassen.
Das Stück changiert zwischen Passionsspiel und Volkshochschule
Der Alte, fett von entgleister Sinnenlust und totkrank von den Enttäuschungen, die die Welt und vielleicht auch Gott ihm bereitet haben, verbringt seine Tage damit, seine Frau Katharina von Bora zu tyrannisieren. Das ist auch so eine Ernüchterung, die John von Düffel bereithält und die Anja Klawun als Ex-Nonne mit durchschlagendem Pragmatismus als geradliniges Spiel und mit verhaltener Ironie umsetzt. Nichts da mit grossem Liebespaar, wie es zumindest die Populärliteratur zuweilen nahelegt. Keine „liepe“ zwischen den Eheleuten. Dass ihm mit dem Studenten Pius Rosenkranz ein halber Papist und halber Jude ins Haus schneit, der auch noch hinter seiner zwölfjährigen Tochter her ist, gibt Luthers Judenhass so richtig Schmackes. Ein düsterer Humor macht sich breit. Da meint man geradezu ins Wohnzimmer von Ekel Alfred geraten zu sein.
Der Inszenierung von Thomas Luft ist – nach besagter Eingewöhnungszeit – einen gelungenen Balanceakt zu bescheinigen. Er zeigt einen grossen Wüterich in all seiner Vermessenheit und Niedrigkeit, vom Jesusdarsteller bis zu den braunen Flecken an der Rückseite der Unterwäsche, ohne ihn jedoch tatsächlich in seiner Unfassbarkeit zu demontieren. Zuweilen erinnert das alles ein bisschen an ein Passionsspiel im Kleinen, zuweilen an Volkshochschule, auch mit diesen arg pädagogisch anmutenden Zusatzrollen der drei Schauspieler. Luther war ein Vereinfacher voller Paradoxien, wie ihn Hans Peter Niederhäuser vor der Vorstellung in seiner Einführung in die Thematik des Stücks bewusst widersprüchlich charakterisierte. Ein Unfassbarer allemal. Das muss man wohl so stehen lassen. Im Casino Frauenfeld war das fürs Publikum offensichtlich auch so in Ordnung. Es applaudierte lange.
Von Maria Schorpp
Weitere Beiträge von Maria Schorpp
- Herr Fässler besiegt die Angst (11.11.2024)
- Problemfamilie mit Wiedererkennungswert (01.11.2024)
- Familiengeschichte im Zeichen des Kolonialismus (17.10.2024)
- Die Entstehung der Menschheit (15.07.2024)
- Wenn Elfen und Menschen Theater machen (17.06.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Bühne
Kommt vor in diesen Interessen
- Kritik
Kulturplatz-Einträge
Ähnliche Beiträge
Herr Fässler besiegt die Angst
Therapeutin trifft auf Zyniker: In der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld ist mit „Herr Fässler und die Stürme der Liebe“ zu erleben, wie sich eine Puppe von ihrer Puppenspielerin emanzipiert. mehr
Auf der Suche nach Adolf Dietrich
Der Regisseur und Stückeschreiber Oliver Kühn erweckt den Künstler Adolf Dietrich mit seinem «Theater Jetzt» in Berlingen zu neuem Leben. mehr
Kindermärchen in Schloss Hagenwil
«Hänsel und Gretel» muss nicht so grausam sein, wie von den Brüdern Grimm aufgeschrieben. Bei den Schlossfestspielen hat Regisseur Florian Rexer die Geschichte behutsam modernisiert und entstaubt. mehr