von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 16.12.2019
Digitales Dilemma
Wie instagrammable muss ein Museum heute sein? Und wie sehr wird die Digitalisierung die Aufgaben von Museen verändern? Fragen über die man sich auch im Thurgau viel mehr Gedanken machen müsste.
192 Millionen Mal. So oft wurde der Videoclip zum Song „Apeshit“ auf YouTube angeklickt. In dem Video laufen die Pop-Superstars Beyoncé und Jay-Z durch den Louvre und singen, posieren, performen in den Ausstellungsräumen des Pariser Museums. Selbst für den Louvre war das ein Marketing-Coup sondergleichen: So viele junge Menschen erreicht man allein mit Ausstellungen nicht. Kein Wunder, dass das Museum flugs auf den Zug aufsprung und einen neuen Rundgang einrichtete: Er führt zu allen Kunstwerken aus dem Video von Beyoncé und Jay-Z.
Promis + Social Media = Hype: Das Video zu Beyoncé und Jay-Z im Louvre
Man muss freilich kein Megastar sein, um Kunst als attraktive Selbstinszenierungsumgebung zu verstehen. Wer mal unter den Hashtags #museumselfie #instamuseum oder #museumlife Instagram durchsucht, findet dort Hunderttausende Fotos von Menschen die in aberwitzigsten Posen mit Kunst agieren. Kein Museumsbesuch mehr ohne Smartphone, die Instagrammability eines Museums ist längst zum gewichtigen Faktor im Ringen um Aufmerksamkeit geworden. Eine gute Entwicklung?
Danica Zeier sagt, für sie sei das keine Frage der Wertung, sondern schlicht die Realität. Denn: „Wenn die Museen nicht präsent sind im Internet, dann finden sie in der Lebenswirklichkeit der jungen Menschen schlicht nicht mehr statt. Das kann für Museen zu einem Riesenproblem werden, weil sie so ganze Generationen von potenziellen Besuchern verlieren.“ Zeier weiss wovon sie spricht: Mit ihrer Agentur „artsnext“ untersucht sie unter anderem wie Kulturangebote sein müssen, damit junge Menschen sie auch nutzen.
An der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) unterrichtet sie Strategic Design. Auch deshalb kann sie ihre Befürchtung sehr klar formulieren: „Die Generation der Millennials ist ganz anders sozialisiert als alle bisherigen Generationen. Reagieren die Museen nicht auf deren Bedürfnisse, dann scheitern sie an ihrem Grundauftrag: Denn wie kann man Wissen vermitteln, wenn niemand ins Museum kommt?“
„Wie kann man Wissen vermitteln, wenn niemand ins Museum kommt?“
Danica Zeier, Kulturmanagerin
Blickt man mit diesem Gedanken im Kopf auf die Thurgauer Museen, muss man sich ein bisschen Sorgen machen. Klar, alle kantonalen Museen haben eigene Websites, sind leidlich aktiv in den sozialen Medien, weite Teile der Sammlungen sind digitalisiert, aber in den Ausstellungen, dort wo Museum und Besucher aufeinander treffen, spielt die Digitalisierung noch kaum eine Rolle. Die Möglichkeiten, die der digitale Raum bietet, werden kaum angetastet. Woran liegt das?
Die einfache Antwort wäre: Die Bereitschaft zu Veränderungen in den Museen ist zu gering. In Wirklichkeit ist es natürlich ein bisschen komplizierter.
Da muss man nur mal Hannes Geisser fragen. „Seit den 1980er Jahren beschäftigen wir uns mit Digitalisierungsfragen. Damals hat mein Vorgänger August Schläfli begonnen, die Sammlungsdaten weg von den Karteikarten hin zu Sammlungsdatenbanken zu digitalisieren. Heute sind von unseren rund 130’000 Objekten mehr als 90 Prozent digital erfasst“, schreibt der Direktor des Naturmuseums Thurgau in einer E-Mail auf Nachfrage von thurgaukultur.ch.
„Unsere Objekte sind so spannend, dass sie auch ohne digitale Ergänzung auskommen.“
Hannes Geisser, Direktor Naturmuseum Thurgau
In seinem Haus unterscheide man das Thema neben dem Sammlungsmanagement noch danach, wie man digitale Medien in Ausstellungen einerseits und in Kommunikation und Werbung für Ausstellungen andererseits nutze. Während Social-Media-Aktivitäten heute unverzichtbar geworden seien, um auf sich aufmerksam zu machen, verzichte das Naturmuseum in den Ausstellungen bewusst auf digitale Medien.
„Wir sind der Meinung, dass unsere Objekte so spannend und informativ sind, dass sie auch ohne digitale Ergänzungen auskommen“, schreibt Geisser. Man wolle damit auch einen Kontrapunkt setzen zum sonstigen Alltag, der ohnehin schon von digitalen Geräten und Bildschirmen geprägt sei, so der Naturmuseumsdirektor. Auch ganz pragmatische Dinge führten zu dieser Entscheidung: „Hardware wie Software veraltet schnell, und wir können es uns nicht leisten, alle 5 Jahre die Ausstellungen digital neu aufzurüsten“, erklärt Hannes Geisser.
„Für mich bedeutet Digitalisierung nichts anderes als vom Besucherbedürfnis auszugehen.“
Danica Zeier
Vorteile der Digitalisierung sieht das Naturmuseum vor allem im Bereich der Forschung: „Wir sind natürlich daran interessiert, dass auch mit unseren Sammlungsdaten vermehrt wissenschaftlich gearbeitet werden kann“, notiert der Museumsdirektor. Deshalb beteilige sich das Naturmuseum auch an einer landesweiten Initiative des Verbands Schweizer Naturmuseen musnatcoll in Zusammenarbeit mit der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz, um die Digitalisierung und noch mehr die Zugänglichkeit von naturwissenschaftlichen Sammlungen und deren Daten für die Forschung zu verbessern.
Danica Zeier kennt die Bedenken, die Museumsmacher oft haben. Sie ist aber überzeugt, dass Museen heute beides brauchen: Analoge und digitale Kompetenzen. Digitalisierung ist für sie ohnehin keine Frage der Technologie, sondern des gesellschaftlichen Wandels: „Für mich bedeutet Digitalisierung nichts anderes als vom Besucherbedürfnis auszugehen. In den Mittelpunkt zu stellen, was die Besucherinnen und Besucher interessiert. Viele Museumsangebote sind heute noch zu kopflastig, zu sehr vom Experten aus gedacht“, sagt Zeier im Gespräch mit thurgaukultur.ch
Manche Projekte scheitern am Widerstand des Informatikamts
Sie sieht dabei aber auch die Geldgeber, also den Kanton in der Pflicht: „Will man diesen Wandel wirklich umsetzen, dann braucht es von ganz oben eine klare Ansage aber auch Unterstützung. Museen tun sich unglaublich schwer damit zu kooperieren. Da schauen viele vor allem auf ihr eigenes prekäres Budget und nicht auf eine Gesamtentwicklung. Deshalb muss der Geldgeber die Richtung vorgeben“, so Zeier.
So richtig das sein mag, manchmal scheitert Digitalisierung allerdings auch an ganz banalen Dingen. „Seit einem Jahr arbeiten wir daran, einen Online-Ticketverkauf einzurichten und laufen beim kantonalen Amt für Informatik immer wieder gegen Wände“, erklärt zum Beispiel Dominik Gügel, Direktor des Napoleonmuseum Thurgau. Sicherheitsgründe sprächen dagegen, werde ihm immer wieder gesagt. Ob das Projekt jemals realisiert wird? Gügel zuckt mit den Schultern. Richtig sicher scheint er nicht mehr zu sein.
Abgesehen davon geht man auf dem Arenenberg mit dem Thema Digitalisierung ähnlich um wie auch das Naturmuseum: Zurückhaltend. „Wir gönnen unseren Besuchern eine Pause von der digitalen Welt, hier können sie noch echte Dinge erleben“, sagt Christina Egli, Sammlungschefin des Museums. Ein anderer Grund für die Zurückhaltung im Internet des Napoleonmuseums: „Ich finde es schwierig, wertvolle Informationen kostenlos zu verschenken. Erst recht in Zeiten, in denen Museen immer um ihr Budget ringen müssen. Ausserdem: Wir wollen ja, dass die Leute zu uns kommen und sich nicht das Schloss vom Sofa aus ansehen“, sagt Dominik Gügel.
„Wir gönnen unseren Besuchern eine Pause von der digitalen Welt, hier können sie noch echte Dinge erleben.“
Christina Egli, Sammlungsleiterin des Napoleonmuseum Thurgau
Wertvoller findet man auch hier die Digitalisierung in Bezug auf Forschungsprojekte. Das erleichtere den Austausch und die Kooperation sehr, findet Christina Egli. Aktuell arbeitet sie zum Beispiel daran, eine Datenbank aufzubauen mit Briefen von Napoleon III., um das Wissen für Forscher zu bündeln und leichter zugänglich zu machen. Mitte 2021 könnte das Projekt online gehen. Ob die Datenbank für alle öffentlich wird oder nur für Wissenschaftler, das hänge auch von der Finanzierung ab: „Je mehr Geld wir bekommen, um so öffentlicher können wir es machen“, sagt Egli.
Kunstmuseen tun sich oft leichter mit dem digitalen Raum. Die Kunstmuseen und Bern, Basel und Luzern bemühen sich ebenso wie das Kunsthaus Zürich um digitale Ideen. Beim Kunstmuseum Thurgau ist das ein bisschen anders. Zwar sind auch hier Teile der Sammlung digitalisiert, das Museum ist in den Sozialen Medien halbwegs aktiv, aber müsste man eine Skala zeichnen, auf der die Haltung der Thurgauer Museumsdirektorinnen in Bezug auf Digitalisierung veranschaulicht werden sollte, wäre Markus Landert, Direktor des Kunstmuseum Thurgau seit mehr als 25 Jahren, ein Extrempol - jener der Digitalisierungsskeptiker.
„Die Instagrammisierung der Museen ist ein substantieller Widerspruch zu unseren Kernaufgaben.“
Markus Landert, Direktor Kunstmuseum Thurgau
„Für mich geht Digitalisierung vor allem mit einem Zwang zu Oberflächlichkeit und Vereinfachung einher, dem will ich mich als Museumsdirektor nicht beugen“, sagt Landert im Gespräch mit thurgaukultur.ch Dabei bestreitet er gar nicht, den grossen Wandel, den die digitalen Medien mit sich bringen. Seine Perspektive aber lautet: Die Digitalisierung verändert das Publikum, aber nicht die Museen. „Darauf müssen wir ohne Frage reagieren, aber so, dass wir unserem Auftrag noch gerecht werden. Die Instagrammisierung der Museen ist ein substantieller Widerspruch zu unseren Kernaufgaben - den Menschen zu ermöglichen, sich nachhaltig und tief mit Inhalten zu beschäftigen“, sagt Landert.
Aus seiner Sicht wäre es zum Beispiel falsch, die sinkende Aufmerksamkeitsspanne der Menschen mit kürzeren oder weniger Inhalten zu begegnen: „Damit würden wir einen Trend bedienen und eine Entwicklung forcieren, die wir eigentlich nicht wollen.“ Er rät stattdessen dazu, digitale Instrumente „mit der nötigen Ruhe und Distanz“ zu nutzen. Das Internet als Archivinstrument sei zum Beispiel eine grossartige Sache.
Irgendwann am Ende der Recherche kehrt man zur Ursprungsfrage zurück: Woran liegt es also, dass die Thurgauer Museen bei der Digitalisierung noch hinterher hinken? Mehrere Dinge kommen zusammen. Es fehlt am Geld, um kluge Digitalstrategien zu entwickeln, es fehlt an Köpfen, die diese Strategien, dann auch umsetzen können. Es fehlt vielleicht auch noch ein Bewusstsein dafür, wie gravierend dieser digitale Wandel sein wird und welche Konsequenzen das auch für die Museen haben wird. Und vielleicht fehlt auch noch der Veränderungsdruck, weil die Menschen in unserer Region, anders als in urbanen Zentren, möglicherweise gar nicht so sehr nach hippen und schön gestylten Vermittlungsprodukten verlangen.
„Kommunikation in Museen muss heute als Form eines Austausches stattfinden, nicht mehr nur als reine Weitergabe von Wissen.“
Beate Florenz, Professorin für Kunst- und Designvermittlung
Zum Schluss noch einmal zurück in die Wissenschaft. Beate Florenz ist Professorin für Kunst- und Designvermittlung an der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW. Warum tun sich Museen mit der Digitalisierung so schwer? „Vor allem, weil Digitalisierung beziehungsweise die Digitalität ein ganz anderes Denken erfordert“, sagt Florenz. „Kommunikation in Museen muss heute als Form eines Austausches stattfinden, nicht mehr nur als reine Weitergabe von Wissen. Das ist ein Kulturwandel. Nicht nur die Kuratoren und Kuratorinnen verfügen über Wissen. Es geht um die Frage, wie das Wissen, das andere Menschen in ganz anderen Fachgebieten oder Disziplinen haben, in die Museen eingebracht und dort wirksam werden kann.“ Das bedeute auch einen Machtverlust, weil Deutungshoheit jetzt verhandelt und nicht vorgegeben werde. Museen werden, so Beate Florenz, mehr und mehr von Orten an denen man still Werke betrachtet zu Orten, an denen man sich trifft und austauscht über das, was man sieht.
Wenn Museen auch im 21.Jahrhundert relevant bleiben wollen, müssen sie damit umgehen. Wie das funktionieren könnte? „Das Digitale und das Analoge verbinden“, sagt Beate Florenz. „Wenn Museen ihre Sammlungen online zugänglich machen, dann könnten zum Beispiel die Museen Besucher und Besucherinnen probeweise selbst online Ausstellungen kuratieren, über die Ergebnisse in den Sozialen Medien abstimmen lassen und die beliebteste Ausstellung dann auch im eigenen Haus realisieren“, findet die Professorin für Kunstvermittlung, „Es ist erstaunlich, wie intensiv die Beschäftigung der Menschen mit den Werken durch eine solche Form der Teilhabe wird und wie stark die Bindung der Menschen zum jeweiligen Museum wächst.“
Das sagen die anderen kantonalen Museen
Historisches Museum: Das Museum betreibt eine eigene Website und ist ansonsten vor allem auf Facebook aktiv. Die Sammlung ist weitgehend digitalisiert. Sie soll mittelfristig auch für alle online zugänglich sein. Davon erhofft sich Museumsdirektorin Gabriele Keck auch eine grössere Sichtbarkeit nach aussen. Das Historische Museum wagt sich auch immer wieder an neue Formate. Aktuell koorperiert das Museum beispielsweise mit der Agentur #letsmuseeum, die eine neue Führung durch das Schloss Frauenfeld konzipiert hat, die sehr aus dem digitalen Denken entstammt. Gabriele Keck, Direktorin des Historischen Museums Thurgau sagt: „Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Es braucht eine nachhaltige digitale Strategie, um den Menschen den Zugang zur kantonalen Geschichte zu ermöglichen.“
Museum für Archäologie: Das Museum für Archäologie betreibt eine eigene Website, die unter anderem Informationen zu sämtlichen Fundstellen im Kanton bereit stellt. In den Sozialen Medien ist das Museum nicht aktiv. Digitale Werkzeuge werden vor allem auf der Grabung und bei der Inventarisierung sowie Bildverarbeitung eingesetzt. „In der Ausstellung sind wir allerdings dann eher zurückhaltend mit dem Einsatz digitaler Medien, weil wir ja gerade als Alleinstellungsmerkmal die archäologischen Originale haben! Bei uns kann man einen 5700 Jahre alten Pfahl in die Hände nehmen oder eine Fruchtsteinperle auf Sandstein schleifen … Alle ausgestellten Objekte sind echt und 1:1 zu bestaunen. Mit Filmen, Animationen/Rekonstruktionen (Töpferofen) sowie als weiterführende Inventare (Münzen) setzen wir aber schon dezent auch digitale Medien ein. Aber wie gesagt, bewusst zurückhaltend“, schreibt Urs Leuzinger, Leiter des Museums.
Making of - Wie die Geschichte entstand
Wie bei vielen Texten, so war es auch hier: Das Thema ist mit der Recherche gewachsen, immer mehr Aspekte kamen hinzu. Am Anfang stand im September 2019 ein Gespräch mit dem Seemuseum Kreuzlingen über deren Erfolg bei der Initiative „digitorials.ch" Danach stellte sich die Frage, wie eigentlich die kantonalen Museen mit dem Megathema Digitalisierung umgehen. Im Internet recherchierte ich zunächst, wie andere Museen jenseits des Thurgau mit dem Thema umgehen und suchte auch nach wissenschaftlichen Studien dazu. Es folgten Mails, Gespräche (persönlich und am Telefon) und etliche Kaffees, mit den Protagonisten des Textes ehe die wesentlichen Ergebnisse zusammengetragen waren. Immer wieder liess ich das Thema danach fallen - es fehlte der richtige Ansatz, so etwas wie ein grösserer Rahmen. Es sollte ja keine reine Nabelschau werden, sondern eine kritische Bestandsaufnahme. Der Text brauchte noch externe Experten. Über eine Online-Recherche fand ich schliesslich Danica Zeier, „artsnext“-Gründerin, und Beate Florenz, Professorin für Kunst- und Designvermittlung an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Damit war der Rahmen geschaffen und ich konnte den Text endlich schreiben.
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