von Judith Schuck, 07.06.2023
Das neue Gesicht von Frauenfeld
Die Stadt zeigt sich dankbar für die frischen Farben, die 67 Street-Artists nach Frauenfeld brachten. Die Initiatiator:innen des Streetart-Festivals wollen die Vielfalt des Genres bekannter machen. (Lesezeit: ca. 3 Minuten)
In den vergangenen Wochen ist Frauenfeld um ein ganzes Stück bunter und urbaner geworden. Wie Christof Stillhard, der Kulturbeauftragte von Frauenfeld, sagt: Früher sei Frauenfeld vor allem als Garnisonsstadt bekannt gewesen. Dann sei der Hip-Hop und mit der Streetart nun ein weiterer Aspekt, der der Kantonshauptstadt ein weltoffeneres Erscheinungsbild gibt, gekommen.
Er selbst habe nach einer Reise nach Marseille festgestellt, dass er als Motive für die Ferienfotos fast nur Graffitis und bunte Fassaden gewählt hatte. In Grossstädten wie Berlin oder Madrid gehören sie schon längst zum Stadtbild. Jetzt auch in Frauenfeld, denn hier fand erstmalig ein Streetart-Festival statt, an dem 67 Künstler:innen teilnahmen.
Holzschliff direkt auf die Wand
Streetart bedeutet nicht nur Graffitis. Streetart können auch in Strick gekleidete Brunnen sein, Installationen oder Stickarbeiten. Der westschweizer Künstler LPVDA tauschte seinen Pinsel respektive die Spraydose gegen die Schleifmaschine. Holzschnitt kennt jede:r von uns aus dem Museum – aber was er auf der Fassade am Holzschuppen auf dem Unteren Mätteli geschaffen hat, lässt staunen.
Zoë, die Frau, die seit Freitag von dort zu uns herunterschaut, ist eine Bekannte von Antoine Guignard, alias, LPVDA, die er nun in Frauenfeld verewigt hat. Bei seiner Technik kommt es nicht nur auf den letzten Schliff, sondern auf jeden Schliff an.
Am selben Gebäude hat Marcelowart aus Ermatingen ein kleines Selbstbildnis, ein buntes Ballonmännchen, installiert. Skulptur geht also auch. Und vor der Theaterwerkstatt Gleis 5 schuf Carla Hohmeister aus Dietikon ein gesticktes Relief.
Aus 700 Bewerbungen auswählen
Beworben hatten sich 700 Streetart-Künstler:innen aus 100 Nationen. Das Kurator:innenteam, bestehend aus den Initiator:innen des Festivals und den beiden Künstlerinnen Taina und Elf, wählten aus dieser Masse aus. Den Fokus wollten sie auf schweizer Street-Artists legen. Dazu kamen aber auch einige internationale – Thiago Goms reiste beispielsweise aus Brasilien an.
Sein Mural in der Murgstrasse erinnert ein bisschen an Francisco de Goyas „El sueno de la razon produce monstruos“, Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Zumindest gewinnen die kleinen Monster bei Thiago Goms an Selbständigkeit, während ihr Schöpfer ruht.
„Das Festival prägt das Stadtbild“, sagt Anders Stokholm beim Presseanlass vor der Eröffnung am Freitag. Es habe anfangs auch kritische Stimmen dazu im Stadtrat gegeben, nun stünden aber alle dahinter. Der Stadtpräsident von Frauenfeld ist sich bewusst, dass die bunten Fassaden in der Bevölkerung noch für Diskussionen sorgen werden, „aber die suchen wir auch ein stückweit.“
Streetart nach Hause holen
Dass die Streetart in Frauenfeld Einzug erhielt, geht auf eine private Initiative zurück. Monika und Marco Niedermann kamen vor zwei Jahren mit dieser Idee auf die Stadt zu. Das Designerpaar fasziniert diese Kunst, die sie vor allem auf Reisen in grössere Metropolen kennenlernten. Diese Vielfalt, auf die sie dort trafen, wollten sie nach Frauenfeld holen und gründeten den Verein Pro Streetart.
Christof Stillhard, der diese Art der Kunst selbst schätzt, begründet die Offenheit gegenüber dem Projekt damit, dass Streetart eine sehr demokratische und niederschwellige Kunstform sei. „Es wird niemand ausgeschlossen und wie jede Kunst macht Streeart glücklich.“ Ob sie wirklich jede:n glücklich macht, wird sich noch zeigen.
Sorgfältiges Heranführen ans Thema
Doch zeigten sich die Liegenschaftsbesitzer:innen überraschend aufgeschlossen. Neben einem öffentlichen Aufruf über den Gastroverband, fragte Marco und Monika Niedermann die Hausbesitzer:innen auch direkt an.
„Zweidrittel der Befragten sagten uns zu“, so Marco Niedermann, obwohl es meist viel Klärungsbedarf zum Vorgehen gab. „Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich, aber wir haben den Prozess sorgfältig geplant und geholfen, dass die Beteiligten schrittweise ins Thema Streetart hineinkamen.“ Die Stadt arbeitete hier eng mit Denkmalpflege und Hochbauamt zusammen.
„Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich, aber wir haben den Prozess sorgfältig geplant und geholfen, dass die Beteiligten schrittweise ins Thema Streetart hineinkamen.“
Marco Niedermann
Zu den direkt Angefragten zählt die Buchhändlerin Marianne Sax. Immer wieder versuchte sie vor ihrem Büchergeschäft Blumen zu sähen, doch die Kehrmaschine fegte die Samen stets weg. Die Künstlerin Marillu aus Baden schmückte nun die Fassade mit symbolträchtigen, roten Mohnblumen.
Sicherlich half ausserdem das Rahmenprogramm am Eröffnungswochenende, Skepsis gegenüber Streetart abzubauen. An Jam-Panels konnte den Künstler:innen über die Schulter geschaut und bei Workshops ins breite Spektrum des Genres eingetaucht werden.
Das Festival machte Frauenfeld in der Szene auf jeden Fall schon berühmt. Das Netzwerk unter den Artist war schliesslich für die hohe Bewerber:innenzahl verantwortlich. Letztlich hing die Zahl der teilnehmenden Künstler:innen vom Budget ab. Der grösste Teil der Gelder floss in die Gagen und Verpflegung der Kunstschaffenden. 280 000 Franken gab die Stadt aus dem Covid Fonds für Kunst, Kultur und Gastronomie, 150 000 Franken stammten aus dem Lotteriefond.
Bane setzt sich mit der Geschichte des Gebäudes auseinander
Wie das Festival zeigt, gibt es zahlreiche Talente im eigenen Land oder sogar aus Frauenfeld. Der Frauenfelder KSEN sprühte ein Mural in der Gaswerkstrasse beim Busdepot. Aus seiner „Dose“ erhält demnächst die Partnerstadt Kufstein ein Werk, ein Geschenk der Stadt Frauenfeld.
Aus Chur reiste der wohl bekannteste schweizer Sprayer an: Fabian Florin, mit Künstlernamen Bane, fasziniert mit seinen fotorealistischen Werken. Am Gebäude der Walter Bollag AG in der Schlossmühlestrasse 9 nimmt er die Geschichte des Hauses auf, das früher ein Modeunternehmen beherbergte.
Streetart, für alle frei zugänglich, schmückt von nun an die Stadt. „Wir sind dankbar, dass sich die Künstler:innen und Hausbesitzer:innen auf dieses Abenteuer eingelassen haben“, sagt Christof Stillhard am Eröffnungstag, dem 2. Juni.
Von Judith Schuck
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