von Inka Grabowsky, 20.09.2024
Alles auf Lager
Kunstthurgau hat sich für die Jahressaustellung mit dem Thema «Lagern» auseinandergesetzt. 19 Kunstschaffende stellen in der Remise in Weinfelden bis zum 6. Oktober dazu aus. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Es riecht gut im ersten Stock des hölzernen Lagerhauses aus dem 18. Jahrhundert. Cornelia Schedler ist dafür verantwortlich. Sie hat Heilkräuter in selbst gestaltete Textiltaschen eingefüllt. Wie ein Vorhang bremsten die beiden Mobilés aus Duftsäcklein nun den Blick durch die Fachwerk-Durchgänge. Die Künstlerin aus Warth ist nicht die Einzige, die sich vom «Genius Loci» inspirieren liess.
Um 1800 lagerte hier die «alte» und die «neue» Apotheke über viele Jahrzehnte ihre Vorräte. Im Erdgeschoss hat Elsbeth Harling deshalb exemplarisch Heilkräuter aus einem Kiste herauswachsen lassen. Rezepte für die Verwendung von Hopfen, Brennnessel und Wegwarte stellt sie gleich mit zur Verfügung. «Ausgebüxt» heisst das Werk, für das sie sich explizit einen Platz am Fenster ausbedungen hat.
Kein Lagern oder Gefäss
Das Kuratorenteam aus Fabio Melone, Regula Sonderegger und Jonas Rüedi folgte dem gerne und arrangierte Bronzereliefs von Ursula Fehr und eine Apotheken-Installation von Christine Hochstrasser-Schoch dazu. Sie bezieht die alten Schilder am Regal «Kanister» und Salbenbüchsen» in ihre Arbeit mit ein. Fabio Melones bemalte Gips-Skulptur «Melting Body» gesellt sich ebenfalls ins Erdgeschoss. «Für mich sind Erinnerungen im Körper abgelagert», erklärt er: «Der Körper wird zum Gefäss.»
Gefässe sind auch Thema bei Brigitte Buchholz, die Amphoren in einen Stoff aus altgoldenen Wende-Pailletten gezeichnet hat. Sonja Aeschlimann hat Skizzen von Gläsern oder Geschirr als Radierungen auf Wachsplatten in einem Karton arrangiert. Die Gefässe befinden sich also ihrerseits in einem Behälter. «Antipoden»-Keramiken aus Steinzeug und Porzellan steuert der Töpfer und Lyriker Klaus Rothe aus Ermatingen bei.
Der Ausstellungsort an sich ist sehenswert
Die Stadt Weinfelden nutzt die Remise normalerweise für das Sommeratelier. Jedes Jahr kann ein Künstler, eine Künstlerin hier für ein paar Monate arbeiten. «Die abschliessende Ausstellung ist gerade vorbei», erklärt Kunstthurgau-Präsidentin Ursula Bollack-Wüthrich. «Die Chance, den Ort neu zu beleben, haben wir gerne genutzt.»
Kunstthurgau bemühe sich, jedes Jahr an einem anderen Ort innerhalb des Kantons präsent zu sein. Nachdem klar war, dass das alte Lagerhaus mitten in Weinfelden zum Schauplatz werden würde, durften die Mitglieder über verschiedene Themenvorschläge abstimmen. «Lagern» passte für alle am besten.
Bollack selbst beteiligt sich mit dem ihr eigenen humoristischen Blick. In Bierharassen hat sie «Nicht Lagerbares» gelagert. «Das ist etwas, was man braucht, aber leider nie auf Vorrat hat: Einfach schlafen können, eine Umarmung, eine Stunde Frühling», meint sie mit einem Lächeln. Gleich daneben führt sie die Idee mit Schälchen voller Stimmungsaufheller weiter: Wortschätze wie «Federleichtmoment», «Seelenseufzer» oder «Trosthauch» hat sie gedichtet.
Erinnerungen lagern sich ab
Der Aspekt «Erinnerungen» wird im Setzkasten von Walter Wetter besonders deutlich. Er hat eine Schublade umfunktioniert, um unter dem Titel «Objets trouvés» Souvenirs spezieller Art einzuordnen. Geschichten lagern im Antiquariat, das Regula Sonderegger fotografiert hat, ausserdem in den Bronzebüchern von Marianne Jost-Schäffeler. «Wer Handschuhe anzieht, kann sie sogar öffnen», erklärt Mit-Kurator Melone.
Ruth Zwiener erzählt vor Ort mit ihrer Installation «Zwischen Himmel und Erde» eine komplexe Geschichte: Sie hat Mittel gefunden, das Einlagern von Nährstoffen in einen Baum fassbar zu machen. Zentral sind hölzerne Weinkisten, deren Deckel sie mit Wurzelstrukturen beschnitzt und bedruckt hat. Spiegel am Boden eines Gestells lassen diese Wurzeln tief im Boden versinken. In Kisten auf Augenhöhe stehen Wasser und Zucker als Elemente der Photosynthese. Das Kohlendioxid, das nachts über die Baumkrone aufgenommen wird, ist durch geprägtes und genähtes Papier symbolisiert.
Viele Blickwinkel
Philippe Mahler wie auch Martin Maeder beteiligen sich mit einem Blick ins Lager von Künstlern. Mahler arrangiert Gemälde von Bilderrahmen zu Stapeln. Der Begriff «Künstlerpalette» gewinnt hier eine neue Bedeutung. Maeder hat die gespannten Leinwände in sein Triptychon «Lagern I, II und III» aus Acrylfarbe und Fotografie einbezogen.
«Gut gelagert» sind 224 Teile bemaltes Papier von Christine Aebischer, die als Mosaik angeordnet wie Kommoden mit kleinen Schubladen wirken. Abgelagerten Schnee sieht man im Gemälde «Tödi» des dieses Jahr verstorbenen Malers Walter Fröhlich.
Licht im dunkelsten Raum
Jeder Raum in der Remise hat seinen eigenen Charakter und bietet eine eigene Kulisse für die jeweiligen Werke. Das dunkle Dachgeschoss ist deshalb den Licht-Installationen von Jonas Rüedi «inne wohnen» und Elisabeth Ottenburg gewidmet.
Rüedi arbeitet unter anderem mit Bildprojektionen, Ottenburg hat vier «Hauthäuser» (Latex auf Holz) hinterleuchtet. «Sie sind eine Metapher für Menschen und ihre Erinnerungen», erklärt sie. Im Holzhaus neben dem Weinfelder «Haus zum Komitee» haben Kunstinteressierte bis 6. Oktober die Gelegenheit, sich schöne Erinnerungen zu verschaffen.
Daten zur Ausstellung: Bis 6. Oktober zu sehen
«Lagern» von Kunstthurgau in der Remise Weinfelden, Frauenfelderstrasse 16a
vom 21. September bis 6. Oktober 24, freitags 17 -19 Uhr, samstags 14 – 18 Uhr
und sonntags von 11 bis 16 Uhr.
Freitag, 4. Oktober um 18:30 Uhr: Gespräch zum Thema «Lagern» mit Fabienne Gerber vom Frauenarchiv und dem Winzer Alfred Wolfer
Ausstellende:
Christine Aebischer
Sonja Aeschlimann
Ursula Bollack-Wüthrich
Brigitte Buchholz
Ursula Fehr
Walter Fröhlich †
Elsbeth Harling
Christine Hochstrasser
Marianne Jost-Schäffeler
Martin Maeder
Philippe Mahler
Fabio Melone
Elisabeth Ottenburg
Klaus Rothe
Jonas Rüedi
Cornelia Schedler
Regula Sonderegger
Walter Wetter
Ruth Zwiener
Von Inka Grabowsky
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