von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 24.07.2023
Das Kunst-Labyrinth
Mehr als 800 Werke von rund 130 Kunstschaffenden: Der Architekt Heinz Nyffenegger hat mit seiner Sammlung „Artbon“ ein aussergewöhnliches Biotop für zeitgenössische Kunst geschaffen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Zum Wesen eines Labyrinths gehört es, dass man sich daran nicht zurecht findet. Verschlungene Gänge, verwirrende Wege und kein Ausweg nirgends. Das Copyright dafür gebührt der griechischen Sage nach König Minos. Um den Minotaurus, der uneheliche Sohn seiner Gattin mit einem weissen Stier, in Schach zu halten, errichtete ein Gebäude, dem er schliesslich den Namen „labýrinthos“ gab. Aus diesem Irrgarten und Durcheinander sollte der Minotaurus nie wieder heraus kommen. Nun wäre es falsch zu sagen, dass der Arboner Architekt Heinz Nyffenegger ein eben solches Labyrinth gebaut hat, um die Kunst gefangen zu halten.
Vielmehr hat er ein Labyrinth für die zeitgenössische Kunst gebaut, in dem man sich zwar auch locker für zwei bis drei Stunden verlieren kann. Aber raus kommt man immer wieder. Und Nyffeneggers Griff zur Kunst ist eher liebevoll als besitzergreifend - er will sie ja gerade zeigen. Die verschlungenen Pfade über die verschiedenen Liegenschaften an der Arboner Brühlstraße haben sich über die Zeit ergeben. Weil nach und nach Flächen dazu gekommen sind. Mehr als 800 Werke von rund 130 Künstler:innen zeigt Heinz Nyffenegger inzwischen in seiner Sammlung Artbon. Die private Sammlung wurde 2019 in eine Stiftung überführt und ist seither in den Sommermonaten für die Öffentlichkeit zugänglich. Jeden ersten Samstag im Monat finden geführte öffentliche Rundgänge statt.
„Wir bieten hier keine museale Ausstellung, wir haben eher einen Kunst-Erlebnis-Parcours aufgebaut.“
Heinz Nyffenegger, Kunstsammler
Die Räume sind ungewöhnlich: Nyffeneggers ehemalige Wohnung, eine ehemalige Industriehalle, Keller- und Heizungsräume. Es gibt eigentlich fast keinen Ort auf dem 4500 Quadratmeter grossen Gelände, der nicht für Kunst genutzt würde. Insgesamt sind es mehr als 200 kleine und grosse Räume. Dazu ein kleiner Innenhof mit Garten. Es gibt vermutlich nicht wenige Museumsdirektor:innen, die auf diese vielfältigen Möglichkeiten mit einigem Neid blicken. Dabei will Heinz Nyffenegger, der auch die Kunsthalle in Arbon mitbegründete, hier manches anders machen als in klassischen Museen. „Wir bieten hier keine museale Ausstellung, wir haben eher einen Kunst-Erlebnis-Parcours aufgebaut“, sagt der 73-Jährige.
Was das genau bedeutet, vermittelt sich recht schnell, wenn man diesen Parcours abläuft. Es gibt keine Erklärungen zu den Arbeiten, nirgendwo stehen Hinweise auf die Künstler:innen. „Unsere Besucher:innen sollen selbst entdecken. Sie sollen sich nicht von Namen oder Einordnungen leiten lassen. Wir machen hier eher eine Sehschule für Kunst“, sagt Nyffenegger. Anfang der 1980er hat er angefangen zu sammeln, „so richtig aber erst ab 2010“, räumt der Architekt, der sein Geld auch mit seinem Immobilienunternehmen gemacht hat, ein.
Wie eine Zeitreise: Max Bottini inszeniert eine Küche
Die Liste der ausgestellten Künstler:innen kann sich sehen lassen. Sie besteht aus spannenden Namen des zeitgenössischen Schaffens der Ostschweiz, auch Künstler:innen aus Süddeutschland und Österreich sind vertreten. Um nur ein paar zu nennen: Roman Signer, Judit Villiger, Stephan Balkenhol, Helen Dahm, Peter Somm, Theres Lichti, Othmar Eder und Josef Felix Müller (die ganze Liste gibt es hier).
Der Sammler zeigt aber auch eigene Arbeiten. So viel Ego muss möglich sein, findet er. Darüber hinaus herrscht hier Vielfalt. Eine riesige Rakete des Künstlers und Ingenieurs Bruno Streich steht unweit einer fragilen und raumgreifenden Installation von Katharina Henking und irgendwo ein paar Räume weiter hat Max Bottini eine Küche aus den 1960er installiert. Inklusive aller Dinge, die es damals eben gab. Auf einem Stuhl liegt auch eine „Bravo“ aus dieser Zeit.
Gespräche über Kunst ohne Hürden
Genau das ist es, was Heinz Nyffenegger mit seiner Ausstellung erreichen will: Er wirft die Besucher:innen in eine ungewöhnliche Umgebung und dann müssen sie sich dazu verhalten. Das können Zeitreisen sein, wie im Falle von Bottini, es können aber auch die Geruchslandkarten von Gabriel Kuhn sein. „Oft entsteht dann schnell ein Gespräch, das ohne den ganzen kunsttheoretischen Überbau funktioniert“, erklärt der Sammler.
Überhaupt hat er einen eher hemdsärmeligen Zugriff auf die Kunst, von dem grösseren Kunstdiskurs hält er eher wenig. Nyffenegger findet, dass seien oft Scheindiskussionen, die nur dazu dienen, dass jeder sagen kann, wie viel er weiss. „Diese Form der Selbst-Inszenierung finde ich nicht so interessant. Das verhindert eher einen Austausch, weil es Barrieren schafft für all jene, die nicht Kunstwissenschaft studiert haben“, sagt der Architekt.
Nicht alles überzeugt, nicht alle Räume passen
Und so schlendert man mit dem Sammler durch die Ausstellung, staunt hier, wundert sich da. Nicht immer passen Raum und Werk zusammen, manchmal erdrückt das eine auch das andere. Die Auswahl ist nicht sonderlich programmatisch, lange habe er vor allem gesammelt, was „emotional bei ihm etwas auslöse“, sagt Nyffenegger. Aber dass hier überhaupt ein Privatmann eine solche umfangreiche Sammlung zeitgenössischer Kunst unterhält und der Öffentlichkeit zeigt, ist schon auch ein grosses Glück. Für die Künstler:innen, weil es ihnen Einnahmen generiert und für das Publikum, weil es neue Werke entdecken kann. Für die Kunst, weil das Gespräch über Kunst ermöglicht wird.
100’000 Franken investiere er pro Jahr in seine Sammlung, sagt Heinz Nyffenegger. Warum er das überhaupt mache? „Ein Spleen vielleicht?“, antwortet der Sammler und lacht. Vielleicht liegt es auch daran, dass er selbst mal mit dem Gedanken spielte, Künstler zu werden. Aber daraus wurde dann nichts, jetzt Kunst zu sammeln und zu zeigen wahrt seinen Kontakt zur Kunst. Einer bestimmten Kunstrichtung fühlt er sich nicht verpflichtet. „Wir wollen eine Entwicklung bei den Künstlern sehen. Was wir nicht so sehr mögen ist, wenn Künstler einem bestimmten Trend hinterher laufen. Wichtig ist, dass einer seine eigene Sprache entwickelt“, umschreibt Nyffenegger den Kriterienkatalog für seine Sammlungsankäufe.
Neu: Wechsel-Ausstellungen im Container
Neben der grossen Ausstellung zeigt Heinz Nyffenegger seit diesem Jahr auch einmal im Jahr eine Wechsel-Ausstellung zu einem Künstler, einer Künstlerin. In einem kleinen umgebauten Container werden dann jeweils Arbeiten gezeigt. Auch sonst richtet der Sammler sein Wirken für die Zukunft aus. Seine beiden Kinder sind Mitglieder des Stiftungsrats. Nicht, dass er bald aufhören wollte. Aber es ist doch gut, wenn man die Nachfolge rechtzeitig regelt.
Damit die Sammlung auch weiterhin der Öffentlichkeit gezeigt werden kann so wie es der Stiftungszweck vorsieht. Jeden ersten Samstag im Monat (zwischen April und Oktober) finden geführte öffentliche Rundgänge statt. Wer es privater mag: Man kann auch Rundgänge für Gruppen von 6 bis 20 Personen zu anderen Termin buchen.
Was Bergwandern und Kunsterlebnis gemein ist
Am meisten hat man von den Besuchen, wenn man es macht wie bei Wanderungen in den Bergen, findet Heinz Nyffenegger: „Konzentriert laufen und trotzdem Dinge am Wegesrand wahrnehmen.“ In der Ausstellung wie auf dem Berg gelte: Was einen hinter der nächsten Abzweigung erwartet, kann man oft nicht erahnen. Ein bisschen Labyrinth ist diese Sammlung dann eben doch geblieben.
Rundgang durch die Sammlung buchen
Die zwei- bis dreistündigen Rundgänge finden von April bis Oktober jeweils am ersten Samstag des Monats um 14 Uhr statt. Die nächsten Termine sind am 5. August, 2. September und 7. Oktober. Anmeldungen sind über die Website der Sammlung möglich. Auf Absprache werden auch kürzere Führungen von einer Stunde sowie Führungen für Gruppen angeboten. Anfrage per E-Mail an sammlung@artbon.ch
Wichtige Info: Der Parcours ist nicht rollstuhlgängig. Der Rundgang eignet sich laut Sammler nicht für Kinder. Hunde sind in der Sammlung nicht erlaubt.
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