von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 31.03.2025
Ein Dachs für alle Fälle

Vor einem halben Jahr hat Dominik Anliker ein neues Kulturlokal in Weinfelden eröffnet. Schon jetzt zeigt sich, dass dies ein Ort werden kann, der der Stadt lange gefehlt hat. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Ein Zepter ist in der Regel ein Stab aus wertvollem Metall, meist reich verziert mit Edelsteinen. Als königlicher Herrscherstab symbolisiert es die weltliche Macht des Königs. Man könnte also sagen: Wer das Zepter in der Hand hält, der ist der Herrscher in diesem Reich. An einem Dienstag im Februar hält Dominik Anliker sein Zepter in der rechten Hand. Es ist zwar nicht aus Metall, aber es leucht in rot-goldenen Farben. Darauf zu sehen sind - ein Notenschlüssel und ein Dachskopf. Das Reich über das Anliker hier mittels diesem Zepter regiert hat er sich selbst geschaffen.
Gemeinsam mit Jonas Schenk und seiner Frau Katharina Alder öffnete er im vergangenen Sommer die Grenzen zu seinem Land. Es hört auf den Namen „Goldener Dachs“ und will ein Lokal für Kultur und Gesellschaft sein. Mitten im Stadtzentrum von Weinfelden, in der Schulstrasse 1, hält sich dieser Dachsbau nun seit fast einem halben Jahr. Möglich ist das vor allem dank des grossen ehrenamtlichen Engagements der Gründer:innen. „Rund 200 Stellenprozent leisten wir hier gerade im Ehrenamt“, sagt Anliker über den Einsatz seines Teams. Einzelne Veranstaltungen werden auch von der Gemeinde und verschiedenen Sponsoren unterstützt.
Die Adresse sagt viel über den Ort
Die Geschichte des Ortes ist interessant: Bis Mai 2023 beherbergte ein Kleidergeschäft mit Bistro-Betrieb, zuvor die Buchhandlung Klappentext, die Katharina Alder inzwischen an neuem Ort betreibt. «Ich habe hier vor elf Jahren schon die Säulen und die Wände gestrichen», erzählt Dominik Anliker, der Mann von Katharina Alder.
«Ich wusste um die Vorteile der Lage und die ideale Grösse. Deshalb habe ich mich sofort als Nachmieter beworben als klar war, dass das Kleidergeschäft schliessen wird.» Auch weil er nicht wollte, dass dieser zentrale Ort in der Stadt privatisiert wird. In seiner Vorstellung sollte es ein Begegnungsort für Weinfelden werden.
Was der Dachs mit der Schule gemein hat
Die Adresse, Schulstrasse, passt ja ziemlich gut. Nicht nur, weil Dominik Anliker eigentlich Lehrer ist, sondern auch, weil der „Goldende Dachs“ ein bisschen auch das sein will, was die Schule im besten Fall ist. Ein Ort, in dem sich sehr verschiedene Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen treffen und sich dann miteinander arrangieren müssen. Begegnung, Austausch, Dialog, das sind zentrale Elemente dieses Kulturlokals im Herzen der Stadt.
Betrieben wird er offiziell vom Departement für alles oder nichts, einer Agentur, die Dominik Anliker vor einigen Jahren gegründet hat, weil er das Kulturleben seiner Heimatgemeinde mitgestalten wollte. Das Departement für alles & nichts betreut sämtliche Projekte von Katharina Alder und Dominik Anliker. Dazu zählen unter anderem die Buchtage, der 8570 Jazzclub und der Kulturverein Frohsinn.

Was der Dachs sein will: Ein Raum für Ideen
Das macht der 37-Jährige bereits seit Jahren. Mit Konzerten, Kabarett und Lesungen zum Beispiel. „Als das ‚Frohsinn‘ wegfielt, fehlte es aber immer wieder an einem geeigneten Ort für solche Veranstaltungen“, sagt Anliker im Gespräch mit thurgaukultur.ch Also schuf er sich selbst diesen Raum, einen Raum für Veranstaltungen. Oder wie es Anliker selbst formuliert, „wir stellen Räume für Ideen zur Verfügung“. Denn eigenes Programm im strengen Sinn machen sie eigentlich nicht. Wer will, kann die Räume mieten. Der „Goldene Dachs“ ist dann einfach der Ort, an dem Kultur und Diskurs stattfindet.
Das Programm der vergangenen Monate ist bunt: Jazzkonzerte, Spieleabende, Take-the-Stage-Abende, an denen eine Band die Bühne für sich bucht, Vorträge, Lesungen und klassische Konzerte für kleine Kinder gab es. „Wir sind ziemlich offen für alles, was in diesen Räumen möglich ist“, sagt Anliker. Denn: So gut der zentrale Standort mitten in Weinfelden ist, so sehr bedeutet er eben auch, dass man sich mit Nachbar:innen arrangieren muss. Laute Konzerte bis weit nach der Sperrzeit? Eher ungünstig. Aber sonst sei vieles möglich, sagt der Goldene-Dachs-Chef. Parteien waren schon zu Gast, es gibt eigene Quizformate und nur einmal im Monat bleibt der Laden einer geschlossenen Gesellschaft vorbehalten. Das hilft bei der Finanzierung.
„Der Goldene Dachs verbindet beide Welten. Fühlt sich an wie ein Zuhause und man ist doch unter Leuten.“
Dominik Anliker, Gründer des Kulturlokals
Aber ansonsten gilt: von Mittwoch bis Samstag ist der Dachs immer von 17 bis 23 Uhr geöffnet. Ob sich das lohnt? Dominik Anliker sagt, er finde schon. „Wir haben hier einen Ort geschaffen, den es so vorher nicht in Weinfelden gab“, sagt er selbstbewusst. Die Durchmischung des Publikums sei gut, die Altersspanne breit, junge Menschen kommen ebenso wie ältere. Und auch sonst habe er das Gefühl, dass das Ziel Begegnung hier erreicht werde. „Die Menschen wollen schon gerne ausgehen, nicht immer nur Zuhause sein. Der Goldene Dachs verbindet beide Welten. Fühlt sich an wie ein Zuhause und man ist doch unter Leuten. Und vielleicht das Wichtigste: Das hier ist ein Ort, an dem man einfach sein kann.“
Dass Kultur dazu gehört, ist für ihn selbstverständlich. „Kultur muss stattfinden, weil sie ein Anker für eine auseinander strebende Gesellschaft sein kann“, ist der Dachs-Chef überzeugt. Kultur ist in seiner Welt zentral, vor allem dann, wenn man Begegnung und Dialog stiften will. „Eine Gesellschaft ist dann solidarisch, wenn sie sich kennt“, sagt der 37-Jährige. Und das funktioniert eben nur, wenn wir uns treffen, austauschen und uns miteinander beschäftigen.
Ein Bollwerk gegen die Verrohung unserer Welt
Das hier sei eben das echte Leben, findet Anliker, und blickt sich in seinem Lokal um. „Übrigens im Gegensatz zu dem Wahnsinn in der digitalen Welt“, fügt er an. Ein fieser Kommentar auf den sozialen Medien sei schnell geschrieben, aber dieselben Worte jemandem ins Gesicht sagen? Das sei eben doch eine ganz andere Nummer. Insofern versteht er sein Kulturlokal ein Stück weit auch als Bollwerk gegen die Verrohung unserer Welt. Kurzes Innehalten im Gespräch. Ob das nicht etwas zu hoch gegriffen sei?
Naja, sagt Anliker. „Zumindest in dem Umfeld, das ich mitgestalten kann, können wir unseren Beitrag dazu leisten.“. Auch das war Dominik Anliker immer wichtig. Nicht Konzerte und Veranstaltungen irgendwo zu machen, sondern in Weinfelden. „Ich arbeite hier, ich lebe hier, ist doch klar, dass ich auch hier veranstalte. Ich habe ja ein Interesse daran an einem interessanten Ort zu leben.“ Ausserdem: Nirgendwo merke man so schnell einen Impact eigener Handlungen wie direkt vor Ort. Zu spüren, dass man etwas bewegen kann, auch das ist eine Motivation von Dominik Anliker weiterzumachen. Wenn es nach ihm geht, dann wird der „Goldende Dachs“ sehr langlebig sein.

Die Hoffnung ist da, eine Perspektive auch?
Der Mietvertrag läuft erstmal auf fünf Jahre. Ende dieses Jahres will er eine erste Zwischenbilanz ziehen. Aber für den Moment zeigt er sich zuversichtlich: „Wir sind auf einem guten Weg und machen uns keine Gedanken über eine Schliessung. Wir werden weiter investieren und schauen, was möglich ist“, sagt der 37-Jährige. Die Hoffnung ist, dass sich das Engagement irgendwann auch finanziell lohen wird. Oder besser gesagt: Dass er zumindest nicht mehr draufzahlen muss.
Das Programm der nächsten Wochen zeigt jedenfalls die Vielfältigkeit seines Kulturlokals. Dort stehen neben einem Ukulelen-Stammtisch (1. April), eine Buchvernissage (23. April), ein Jazzkonzert (25. April), eine Reisereportage (30. April), eine Tanzperformance (10. Mai) und ein Chorkonzert (4. Mai). Mit Beat Keller kommt am 2. Mai zudem ein renommierter Pionier im Bereich der Improvisierten und der Experimentellen Musik.
Darum heisst der Dachs Dachs
Ziemlich viel los in diesem Dachs-Bau also. Aber, letzte Frage, warum heisst der Dachs eigentlich Dachs? Dominik Anliker lächelt. «Beim Namen haben wir lange überlegt. Dann fiel uns auf, dass es in der Schweizer Gastronomie lauter grosse Tiere gibt: Löwen, Hirschen, Ochsen… Und die bekommen auch immer einen goldenen Anstrich. Der Dachs ist nicht so pompös. Aber er baut Höhlen, die andere Tiere später mitnutzen können. Das passt zu uns. Deshalb heisst das Lokal ›Goldener Dachs›. Und wir sind der einzige Dachs weit und breit.»

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