von Inka Grabowsky, 24.01.2022
Bereit für einen Neustart
Neue Ausstellungen, die Rückkehr der Pfingstkonzerte und ein bisschen Kartäuser Gelassenheit: Die Kulturbetriebe in der Kartause Ittingen hoffen auf mehr Normalität in diesem Jahr. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Die Kartause Ittingen mit dem Ittinger Museum und dem Kunstmuseum Thurgau, dem spirituellen Zentrum tecum und der Gastwirtschaft hat 2022 viel vor. In den Museen soll die Zahl der Besucher wieder auf 30´000 steigen, nachdem pandemiebedingt 2021 „nur“ rund 23´000 Menschen die Ausstellungen in der alten Klosteranlage besucht hatten.
„Wir haben hier kleine Museen in der Provinz“, räumt Markus Landert ein, der das Kunstmuseum Thurgau und das Ittinger Museum leitet. „Deshalb überlegen wir immer aufs Neue, wie wir gegen die Konkurrenz bestehen können.“
Das kulturhistorische Ittinger Museum wird sich zwei Themen widmen: den Bildwelten der Mönche, die im Laufe des Jahres beispielhaft immer wieder erklärt und die über das Internet bis 2023 breit erschlossen werden sollen, und den „gläsernen Schätzen“. Die Uno hat 2022 zum „Internationalen Jahr des Glases“ erklärt. Dementsprechend werden auch in Ittingen jahrhundertealte Glaskunstwerke besonders herausgestellt.
Neuerwerbungen des Kunstmusuems im Scheinwerferlicht
Im Kunstmuseum hat am 22. Januar die Schau der „neuen Kollektion“ eröffnet. Zum zweiten Mal nach 2014 zeigt das Museum die Neuerwerbungen aus den vergangenen vier Jahren.
Die Kunstkommission aus Katharina Ammann, der Direktorin des Aargauer Kunsthauses, dem Sankt Galler Künstler Alex Hanimann und Hans Jörg Höhener, Präsident der Kulturkommission Thurgau, hatte von 2018 bis 2021 ein Budget von 450'000 Franken aus dem Lotteriefond für Ankäufe zur Verfügung und entschied sich für Werke von 25 Künstlerinnen und Künstlern.
„Wir zeigen damit, was hier und heute zeitgenössische Kunst kann.“
Markus Landert, Direktor Kunstmuseum Thurgau (Bild: Inka Grabowsky)
„Wir zeigen damit, was hier und heute zeitgenössische Kunst kann“, so Landert. Die Werke seien jeweils Experimentalfelder, die die Wahrnehmung trainierten, indem sie irritierten. „Die Ausstellung hat schon einen repräsentativen Charakter, auch wenn sie nicht vollständig das Thurgauer Kunstschaffen abbildet.“
Im Mai wird sie abgelöst von „Gelobt, gepriesen und vergessen“. Das Museum widmet sich der Vergänglichkeit des Ruhms und präsentiert Werke von Ostschweizer Kunstschaffenden, die zu Lebzeiten Anerkennung erfuhren, heute aber nicht mehr bekannt sind.
Die Aussenseiterkunst bleibt zentrales Thema des Kunstmuseums
Sommer, Herbst und Winter sind dem Schwerpunkt Aussenseiterkunst gewidmet. Nach der beeindruckenden Ausstellung „Jenseits aller Regeln“ aus dem vergangenen Jahr, will das Kunstmuseum das Thema 2022 vertiefen.
„Was hat sie uns zu bieten“, fragt Landert. Antworten geben soll unter anderem ein Projekt des venezolanischen Filmemachers Javier Télles. Er will mit Hilfe von Patienten einen Kurzfilm über den Besuch von Michel Foucault in der psychiatrischen Klinik Münsterlingen und die Fastnachtsfeiern dort drehen. Motto ist „Das Narrenschiff auf dem Bodensee“. Bereits Anfang September soll das Ergebnis im Kunstmuseum gezeigt werden.
Fotografien aus der Nervenheilanstalt
Das Lebenswerk von Josef Hofer, der sowohl geistig wie auch körperlich behindert ist, wird von Juli bis Dezember gewürdigt. Anfang Oktober trifft die Kunst die Kulturgeschichte. In Ittingen werden Fotos aus der Psychiatrie aus den Jahren 1800 bis 1935 gezeigt.
„Die damaligen Vorstellungen von Nervenheilanstalten prägen uns bei heute“, sagt Markus Landert. Interessant seien die unterschiedlichen Beweggründe der Fotografen, unter anderen Hermann Rorschach, dem Schöpfer des Rorschach-Tests.
„Es gibt einen wissenschaftlichen Ansatz, der die Gesichter der Patienten mit bestimmten Krankheiten in Bezug bringen will. Es gibt Werbefotografie, die etwa die Küche der Heilanstalten als besonders gut darstellt. Und es gibt private Motive, die das soziale Leben in der Klinik zeigen.“
Endlich wieder Pfingstkonzerte
Die Kartause ist nicht nur Ausstellungsort, sondern als Seminarzentrum, Veranstaltungsort, Hotel und Restaurant ein Touristenmagnet und ein massgeblicher Teil des kulturellen Lebens im Thurgau. Dafür zuständig ist die Stiftung Kartause Ittingen.
Prokurator Heinz Scheidegger freut sich, nach den Absagen 2020 und 2021 für dieses Jahr wieder die Ittinger Pfingstkonzerte anzukündigen. Es werde vielleicht ein Zertifikat brauchen oder Maskenpflicht bestehen, aber man sei zuversichtlich, dass die Hommage an Johann Sebastian Bach, die die künstlerischen Leiter Kristian Bezuidenhout und Isabelle Faust (die Geigerin war bereits 2017 künstlerische Leiterin des Festivals, ein Interview mit ihr gibt es hier) planten, ein Erfolg werden würde.
Restaurant wird für 3 Millionen Franken saniert
Fünf Wochen vor Pfingsten, also zu Ostern, soll der Umbau der Küche im Restaurant abgeschlossen sein. Drei Millionen Franken werden derzeit investiert, um unter laufendem Betrieb nach über vier Jahrzehnten die alte Einrichtung zu erneuern und aktuellen Vorschriften gemäss umzugestalten. „Es war einfach notwendig“, so Scheidegger. „Aber wir erhoffen uns durch Effizienzgewinne auch mehr Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit.“ Modernste Küchentechnik und neue Arbeitszeitmodelle für das Küchenteam sollen den Arbeitsplatz Kartause attraktiver machen.
Das Alter der Küche deutet es an: Die Stiftung Kartause Ittingen wird dieses Jahr 45 Jahre alt. Das wird am 25. September mit einem Tag der offenen Tür begangen. Einen „Tag der Rose“ gibt es am 22. Mai. Die Rosensammlung der Kartause ist 2021 erweitert worden, und dazu passend wurde das Buch dazu überarbeitet und neu aufgelegt.
Neu gibt’s auch einen „Grünen Pfad“
Um dem Gästebedürfnis nach Nachhaltigkeit genüge zu tun, hat sich die Kartause seit einiger Zeit der Ökologie verschrieben. Durch einen neu angelegten „Grünen Pfad“, auf dem man spielerisch die Umgebung erkundet, können sich Besucher nun offiziell mit dem Thema auseinandersetzen.
Dabei werden sie automatisch am Westtor den Samengarten passieren. „Er wurde vergangenes Jahr vergrössert“, so der Geschäftsleiter, „Wir erwarten eine gute Ernte an Saatgut von alten Gartenpflanzen, die wir an Gäste weiterverkaufen, so dass sie dann ebenfalls für Biodiversität in ihren Gärten sorgen können.“
„Für die Kartäuser, die hier vor 560 Jahren einzogen, gehörte Isolation zum Alltag. Vielleicht können wir davon lernen. In Krisen zeigen sich das Helle und das Dunkle deutlicher.“
Thomas Bachofner, Leiter der kirchlichen Bildungsinstitution tecum (Bild: Inka Grabowsky)
„Wir leben in einer herausfordernden Zeit“, sagt Thomas Bachofner, der Leiter der kirchlichen Bildungsinstitution tecum in der Kartause. „Für die Kartäuser, die hier vor 560 Jahren einzogen, gehörte Isolation zum Alltag. Vielleicht können wir davon lernen. In Krisen zeigen sich das Helle und das Dunkle deutlicher.“
Um den Menschen spirituell zur Seite zu stehen, bietet das tecum weiter seine „Auszeit im Kloster“ und das „ReVision“-Seminar an. „Beides wurde auch im vergangenen Jahr gut angenommen“, so Bachofner. Einige Angebote des spirituellen Zentrums sind pandemiebedingt in die virtuelle Welt verlegt worden. Das „Kreuz&Quer“-Gespräch findet nicht mehr in einer Gaststätte statt, sondern am ersten Mittwoch im Monat im Livestream über den youtube-Kanal des Tecum.
„Sehen wir das als Chance: Damit erhöht sich unser Einzugsgebiet. Und es können mehr Menschen teilnehmen.“ Der Theologe freut sich am Dreiklang, den die Kartause Ittingen mit den Museen, Veranstaltungen und der Gastronomie bietet. „Neben Nahrung für den Körper gibt es hier auch etwas für Geist und Seele.“
Ausgewählte Veranstaltungen der Stiftung
27. Februar, 11.30 Uhr: 4. Ittinger Sonntagskonzert: Hagen Quartett
20. März, 11.30 Uhr: 5. Ittinger Sonntagskonzert
Anastasia Kobekina, Violoncello und Jean-Sélim Abdelmoula, Klavier
22. Mai: Tag der Rose mit Rundgängen und Buchvernissage
3. bis 6. Juni: Ittinger Pfingstkonzerte – „Hommage auf Bach“
25. September: Tag der offenen Tür zu 45 Jahren Stiftung Kartause Ittingen
Übersicht über die Veranstaltungen an der Kartause Ittingen von Museen, Stiftung und tecum.
Spezielles Rahmenprogramm der Museen: https://kunstmuseum.tg.ch/
Von Inka Grabowsky
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