von Inka Grabowsky, 25.04.2024
Autopsie eines Aufstands
Verbrannte Bücher, zerstörte Heiligtümer: Der Ittinger Sturm vor 500 Jahren ist in vielerlei Hinsicht ein typisches Beispiel für einen Gewaltausbruch. Das belegt eine neue Ausstellung im Ittinger Museum. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
«Es ist ein abstraktes Thema», sagt Kurator Felix Ackermann vom Ittinger Museum. «Ich wollte es sinnlich erlebbar machen und die Lupe auf den Sturm richten.» Das lohnt sich nach seiner Ansicht schon deshalb, weil schon die Zeitgenossen - sowohl Altgläubige als auch Reformierte - den Ittinger Sturm als Weckruf empfunden hätten.
Besonders das reformierte Zürich befand sich in einer Zwickmühle. Seine Untertanen hatten ein Kloster in der gemeinen Herrschaft Thurgau angegriffen. «Die Reformierten dort hatten aber kein Interesse daran, dass auch bei ihnen Klöster geplündert würden. Die Vermögenswerte sollen geordnet übernommen, nicht zerstört werden», so der Kunsthistoriker. Ausserdem befürchteten die Zürcher heftige Rache-Aktionen. «Tatsächlich hat der Ittinger Sturm die konfessionellen Gräben in der Eidgenossenschaft geöffnet. Und das blieb so bis zum Sonderbundskrieg 1847.»
Was wann wo
In drei Teile hat Ackermann die Ausstellung gegliedert. Zum einen gibt es einen Zeitstrahl, der stundengenau nachzeichnet, was wann und wo passiert ist. Er beschränkt sich nicht nur auf die eineinhalb Tage Gewalt, sondern bezieht auch die Vorgeschichte und die Folgen mit ein.
Die zehn Bilder dazu liefert Heinrich Toman, der 1605/06 Bullingers Reformationsgeschichte illustrierte. «Die farbigen Miniaturen sind im Original winzig, Wir haben sie stark vergrössert», so Ackermann. Jeder der Szenen ist eine fiktive Radioreportage zugeordnet. Im Audioguide liefert der Schauspieler Markus Keller als fiktiver Radio-Journalist Live-Reportagen.
Ein Sturm mit vielen Aspekten
Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich besonderen Perspektiven. Alles begann mit 3000 Leuten, die einen reformierten Prediger, der vom katholischen Vogt in Frauenfeld verhaftet worden war, befreien wollten. Sie scheiterten. «Die Kartause wurde zum Ersatzziel – auch weil die Menschen Hunger und Durst hatten.» Sie grillten Fische auf brennenden Büchern, hiess es in zeitgenössischen Berichten. Der Wein aus dem Weinkeller heizte die Stimmung noch weiter an.
Jenseits der Wut, die sich auch in der symbolhaften Entkleidung der Mönche äusserte, gab es kühl kalkulierte Aktionen. «Das Archiv mit den Besitzurkunden wurde bewusst zerstört, um Zinsforderungen die legale Grundlage zu entziehen.» Dass Gemälde und Glasfenster zerstört wurden, ergibt sich aus Zwinglis Bilderverbot, ebenso wie das Zertrampeln der Hostien. «Zwingli lehnte die sogenannte Realpräsenz Christi im Sakrament des Abendmahls scharf ab», erklärt Ackermann.
«Als jedoch die Messkelche aus Gold und Silber mitgenommen wurden, ging der religiöse Eifer in Raub über.» Man müsse berücksichtigen, dass sowohl die Aufständigen als auch die «Gotteshausleute», also die abhängigen Bauern der Umgebung, arm waren. Sie nahmen mit, was sie brauchen konnten. Die Liste der gestohlenen Gegenstände ist lang.
Verzögerter Neubeginn
Der Ittinger Sturm hätte das Ende des Klosters bedeuten können. Damit befasst sich der dritte Teil der Ausstellung. «Der Landvogt verhinderte eine sofortige Rückkehr der Mönche, weil er keinen neuen Gewaltausbruch provozieren wollte. Nur ein Mönch in Zivil blieb als Prokurator.»
Die bemerkenswerte Karriere dieses Leonhard Janny ist ein eigenes Kapitel in der Sturm-Geschichte wert. Sechs Jahre kümmert er sich allein um Haus und Hof – fast allein: Er nimmt sich eine Geliebte und bekommt mit ihr zwei Kinder. Erst 1531, nachdem Zwingli gefallen ist, sind die katholischen Orte in der Lage, das Kloster wiederherzustellen. Janny wird nach einigen Umwegen zur Symbolfigur des Wiederaufbaus, der 1553 abgeschlossen ist.
Der Ittinger Sturm ist derzeit vielerorts Thema von Ausstellungen und Aktionen. Für das überkantonale Projekt «1524» haben acht Institutionen und Gemeinden zusammengespannt. Die Ausstellung am «Tatort» hat dabei ein besonderes Gewicht und wurde entsprechend aufwändig gestaltet.
Als nächste Attraktion öffnet am 1. Mai der Stationenweg, den das Tecum (das Zentrum für Spiritualität, Bildung und Gemeindebau) gemeinsam mit der Evangelischen und Katholischen Landeskirche gestaltet hat. Er führt von Burg (Stein am Rhein) über Stammheim, Nussbaumen, Uesslingen, und der Kartause Ittingen bis zum Thur-Übergang bei der Rohrerbrücke und endet beim Schloss Frauenfeld. An den verschiedenen Orten erinnern Tafeln an das Geschehen. QR-Codes ermöglichen den Zugang zu Hörspielszenen. In der Kartause sind alle sieben Tafeln im grossen Kreuzgang ausgestellt.
Weitere Infos auf www.1524.ch
Die Ausstellungsdaten
«1524 Stürmische Zeiten – Der Ittinger Sturm im Fokus» in der Kartause Ittingen läuft bis Frühjahr 2025. Im Sommer täglich von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Das Rahmenprogramm findet sich hier.
Von Inka Grabowsky
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