von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 23.09.2020
Auf dem Weg zum dritten Ort
Interaktiver, interdisziplinärer und inklusiver soll das Seemuseum Kreuzlingen werden. Der neue Museumschef Christian Hunziker über seine Ideen, Pläne und Visionen für das Haus am Bodenseeufer.
Geht man mit Christian Hunziker durch das Kreuzlinger Seemuseum, ein paar Stufen die so klug sanierte Wendeltreppe hoch, auf der man sich kurz fühlt wie in einem Schiffsrumpf, vorbei an Bootsmodellen in Vitrinen und echten Booten auf dem Boden, dann gelangt man irgendwann an ein grosses Fenster. „Das hier ist eigentlich mein Lieblingsplatz im Museum“, sagt Hunziker. Man versteht das sofort. Der Bodensee zeigt sich hinter diesem Fenster von seiner schönsten Seite. Wellen, Schilf, Vögel, Wind. Ein Naturidyll par excellence. Es gibt vermutlich schlimmere Arbeitsplätze.
Seit August ist der 31-jährige Historiker Christian Hunziker neuer Leiter des Seemuseums. Davor war er fast viereinhalb Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am renommierten Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. Ein Haus, das man nicht ohne guten Grund verlässt. „Ich wollte mehr Verantwortung übernehmen, hatte Lust auf Veränderung und fand es spannend, in einem kleinen Haus wirklich mitgestalten zu können“, erklärt Hunziker seinen Wechsel. Eine Verbindung zum Thurgau gab es schon vorher: Christian Hunziker stammt aus Schaffhausen und hat vor seiner Dresdner Zeit einige Jahre für das kantonale Historische Museum in Frauenfeld gearbeitet.
„Es geht uns jedes Mal darum, ein Stück Vergangenheit dem Vergessen zu entreissen.“
Christian Hunziker, Leiter Seemuseum Kreuzlingen (Bild: Michael Lünstroth)
Wie die ersten Wochen im neuen Job jetzt so waren? „Gut“, sagt er, „ich habe ein gut aufgestelltes Haus vorgefunden, das grosses Potenzial hat.“ In den ersten Wochen ging es vor allem um Orientierungsarbeit. Wie steht das Haus da? Was sind die drängendsten Probleme? Wen kann ich fragen, wenn ich nicht weiter weiss? So was. Inzwischen fühlt sich Hunziker angekommen. „Ich habe mich bewusst für diese Aufgabe entschieden, jetzt freue ich mich darauf, die Zukunft des Seemuseums mitgestalten zu können“, sagt der Museumsleiter.
Aussehen soll diese Zukunft unter anderem so: Interaktiver, interdisziplinärer und inklusiver. „Der See als Thema bietet so viele Anknüpfungspunkte zu so vielen unterschiedlichen Disziplinen: Natur, Technik, Kulturgeschichte. Wir möchten das alles künftig viel stärker zusammendenken“, sagt der 31-Jährige. Letztlich gehe es auch darum, gute Geschichten zu erzählen, die die BesucherInnen packen. Seinen musealen Ansatz kleidet Hunziker in den sehr schönen Satz: „Es geht uns jedes Mal darum, ein Stück Vergangenheit dem Vergessen zu entreissen.“
Zentral: Die Überarbeitung der fast 30 Jahre alten Dauer-Ausstellung
Erreichen will er das aber nicht nur durch die Darstellung von Vergangenem, sondern mit Hilfe der Anbindung an die Gegenwart. Aktuelle Themen sollen in den Ausstellungen des Seemuseum ihren Platz finden. Nachhaltigkeit ist für ihn ein solches Thema, das man unter verschiedenen Aspekten beleuchten könne. „Fischerei und Schifffahrt wollen wir künftig auch nicht mehr nur separat betrachten, sondern nach den Verbindungen suchen“, sagt der Historiker.
Eine seiner zentralen Aufgaben in den kommenden Jahren: Die Überarbeitung der Dauer-Ausstellung im Seemuseum. Sie wurde vor fast 30 Jahren gebaut und wirkt heute, freundlich ausgedrückt, angegraut. „Sie hat ihren Charme, aber heute vermittelt man Inhalte natürlich anders“, sagt Hunziker. Weil diese Aufgabe so wichtig ist, will er sich dafür Zeit nehmen. „Das ist ein Prozess, der sicher mindestens zwei Jahre brauchen wird“, erklärt er.
Partizipation, Digitalisierung und ein dritter Ort
Ein anderes Ziel, das er sich auf seine Agenda gesetzt hat, lautet: die Öffentlichkeit stärker in der Ausstellungsgestaltung einzubinden. Das in Museumskreisen beliebte Zauberwort Partizipation macht also auch hier die Runde. „Ich könnte mir zum Beispiel eine Ausstellung mit Objekten aus der Bevölkerung vorstellen. In dem jeder seine ganz persönliche See-Geschichte erzählen kann.“
Das zeigt ganz gut, wie der Museumsmacher Christian Hunziker tickt. Natürlich ist Digitalisierung in all seinen Facetten (von der digitalen Archivierung der Bestände bis zur Ansprache an das Publikum) wichtig für ihn, da kommt ja heute kein Museum dran vorbei. Aber der 31-Jährige glaubt auch an das Museum als so genannten dritten Ort. Der Soziologe Ray Oldenburg entwickelte 1989 den Begriff des „dritten Ortes" als Ausgleich und nachbarschaftlichen Kommunikationsraum neben dem ersten Ort der Arbeit und dem zweiten Ort der Familie.
Sammeln, Bewahren und Menschen zusammenbringen
Während Oldenburg sein Augenmerk noch auf Biergärten, Kaffeehäuser oder Pubs richtete, ist die Diskussion längst in den Kultureinrichtungen angekommen. „Museen sind auch analoge Orte der Begegnung, des Austauschs und der Kommunikation“ ist Hunziker überzeugt. Orte des gesellschaftlichen Diskurses, der im digitalen Raum zu oft verroht. Für ihn ist das übrigens auch kein Widerspruch zur Sammlungs- und Bewahrungsaufgabe von Museen. Ein kluges Museum müsse heute beides beherrschen, findet er. Zum Beispiel so: Eine historische Sammlung so führen, dass relevante Debatten und Themen für die Gegenwart daraus entstehen können.
Keine ganz leichte Aufgabe. Gelingt sie, wird man in den nächsten Jahren von Christian Hunziker und seinem Seemuseum wohl noch hören.
Das Seemuseum und die Digitalisierung
In einem bemerkenswerten Projekt zeigt das Seemuseum Kreuzlingen wie viele Chancen für Museen in der Digitalisierung liegen. Mit dem Digitorial über das im Bodensee gesunkene Dampfschiff Jura will das Museum neue BesucherInnen ansprechen. Wie gut das gelungen ist, beschreiben wir in dem Text «Auf den Spuren eines Schiffsunglücks».
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