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von Inka Grabowsky, 01.07.2014

Mostindien klärt auf

Mostindien klärt auf
Kulturwissenschaftlerin Barbara Richner erklärt mit Museumsdirektor Hannes Geisser die Sonderausstellung. | © Inka Grabowsky

Das Thurgauer Naturmuseum in Frauenfeld präsentiert bis zum 26. Oktober eine Sonderausstellung rund um den Apfel.

Inka Grabowsky

Ein katholischer Pfarrer in Bayern wird 1939 von den Nazis verhaftet. Und auch wenn es so aussieht, als ob morgen die Welt unterginge, pflanzt er im Konzentrationslager Apfelbäume. Er züchtet in Dachau vier neue Apfelsorten. Er überlebt, und auch seine Sorte „KZ-3“ gibt es bis heute. Geschichten wie diese vom Geistlichen und Obstbauexperten Korbinian Aigner sind es, die Barbara Richner bei der Konzeption der Ausstellung faszinierten. „Der Apfel ist im Alltag allgegenwärtig: wenn nicht als Frucht, dann als Begriff: Erdapfel, Pferdeapfel, Reichsapfel, Augapfel, Apfelsine,“ sagt die Kulturwissenschaftlerin. Nur in der biblischen Schöpfungs-geschichte taucht der Apfel entgegen aller Erwartungen nicht auf.

"Malus" gleich Apfel

Der Adamsapfel heisst zwar so, weil man sich vorstellte, dass dem ersten Menschen der Bissen der Frucht im Halse stecken geblieben ist, als er realisierte, was er getan hatte, aber möglicherweise geht das Bild des Apfels im Paradies doch auf einen Übersetzungsfehler zurück. „Wer vom Baum der Erkenntnis isst, sieht den Unterschied zwischen gut und böse“, erklärt Richner. „’Malus’ heisst auf Latein „böse“ und ist gleichzeitig die Gattungsbezeichnung aller Äpfel.“

Ob es also im Paradies schon Äpfel gab, bleibt ungeklärt. Stattdessen aber gibt es den wissenschaftlichen Nachweis, dass die Menschen bereits vor 5700 Jahren am Bodensee Äpfel geerntet haben. In den Resten einer Pfahlbausiedlung in Steckborn fand man die verschrumpelten Reste von Wildäpfeln. „Offenbar hatte ein Bewohner die Apfelhälften über die Feuer trocknen wollen, um sie zu konservieren“, sagt der Museumsdirektor Hannes Geisser. „Zu seinem Pech - und zum Glück für die Archäologen - fielen sie in die Glut.“

Durch die lange Geschichte verbinde jeder Mensch etwas mit dem Apfel. „Das ist für uns interessant“, so der Naturwissenschaftler. „Wir wollen diese Bilder ergänzen, vielleicht auch aufbrechen, und dafür sorgen, dass der alltägliche Apfel für einmal bewusst wahrgenommen wird.“ Und wo könne so eine Ausstellung sinnvoller sein, als im Thurgauer Naturmuseum. Der Thurgau ist immer noch der bedeutendste Obstanbaukanton der Schweiz. Ein Drittel aller Tafeläpfel und die Hälfte aller Mostäpfel kommen von hier.

Gut für Flora und Fauna

Hannes Geisser ist in Arbon aufgewachsen, mitten im Apfelanbaugebiet. Deshalb geniesst er die Ruheinsel inmitten der Ausstellung besonders. Auf Liegestühlen blickt man auf eine Projektionsfläche, auf der sich der Lauf der Jahreszeiten in der Krone des Baums abspielt. „Unter einem Apfelbaum zu liegen, war für mich schon in der Kindheit ein Idyll“, sagt er. Das funktioniert naturgemäss nur unter Hochstämmern.

Nachdem bis 1975 jeder Bauer mit einer Rodungsprämie belohnt wurde, der auf die ertragreicheren Niederstammkulturen umstellte, werden heute die hohen Einzelbäume wieder gefördert. Ein Landwirt, der beispielsweise einige Exemplare des raren Bohnapfels stehen lässt, bekommt pro Jahr und Baum 15 Franken Subventionen. Streuobstwiesen sind nicht nur schön anzusehen, sondern bieten auch vielen Tieren und Pflanzen Lebensraum. Insekten, Vögel, Fledermäuse und Kleinsäuger sind hier zuhause.

Most von Hochstämmern

Zu den Tieren gehört selbstverständlich auch der sprichwörtliche Wurm im Apfel. „Er ist übrigens gar kein Wurm, sondern die Raupe des Apfelwicklers, eines eher unscheinbaren Schmetterlings“, klärt Geisser auf. In der Bewirtschaftung sind die Hochstämmer gar nicht so kompliziert. Ihre Früchte gehen nämlich vor allem in Mostereien. Die Bäume können also maschinell geschüttelt werden, das Fallobst wird dann bequem aufgesaugt. Die Niederstammkulturen für den intensiven Anbau sind anspruchsvoller: hier muss von Hand geerntet werden, denn bei Tafelobst akzeptiert kein Kunde Druckstellen. Dafür lässt sich viel schneller Gewinn erwirtschaften.

Produktionsoptimierung ist das Stichwort. Die kleinen Bäume tragen schon wenige Jahre nach der Pflanzung viele Früchte. Sie werden zwar nicht alt, aber man kann dadurch nach einiger Zeit neue Sorten anpflanzen, die noch besser an den Geschmack der Konsumenten angepasst wurden und die sich noch besser verarbeiten lassen. Es ist kein Wunder, dass die früheren Obstbaumwälder Mostindiens maschinengeeigneten Plantagen gewichen sind, die auch noch zu 70 Prozent mit Hagelschutznetzen verhängt sind.

Inspirierender Gammelgeruch

1400 Apfelsorten gibt es allein in der Schweiz, weltweit könnten es zig-tausend sein. Sie voneinander zu unterscheiden ist eine Kunst. Im Labor der Ausstellung kann man es im Kleinen versuchen. Mikroskopische Schnitte durch das Fruchtfleisch – betrachtet durch eine 3-D-Brille – offenbaren das Geheimnis der Knackigkeit einzelner Sorten. Vier Geruchsproben belegen, dass jede Sorte etwas anders duftet.

Ein besonderes Duftexperiment läuft hinter einer gläsernen Schublade ab. Friedrich Schiller soll angeblich immer einen vergammelnden Apfel in seiner Schreibtischschublade gehabt haben, um sich vom Geruch inspirieren zu lassen. Genau das stellt das Naturmuseum Thurgau nach. Optisch und olfaktorisch nicht unbedingt schön, aber sehr interessant.

Vielfältiges Begleitprogramm

Die Sonderausstellung im Naturmuseum Thurgau läuft noch bis zum 26. Oktober.
Um Spass geht es am 28. September beim Kindertheater „Die Geschichte vom Wunder-Apfel“. Kathrin Irion erzählt sie und modelliert die passenden Figuren live vor den Augen der kleinen Zuschauer. Am 30. September wird es sinnlich-wissenschaftlich: In einem Vortrag geht es um Lebensmittelsensorik. Wie muss ein Apfel sich anfühlen, aussehen, riechen, schmecken? Das wird am 3. Oktober praktisch erforscht. Kinder und Jugendliche kochen in der rollenden Küche von Slow Food CH mit Äpfeln. Am 18. Oktober schliesslich gibt es mit dem „Öpfelmart“ im Museumsgarten die ideale Möglichkeit sich mit den unterschiedlichsten Thurgauer Äpfeln einzudecken. (inka)

Veredelte Bäume

Botanisch gesehen ist der Apfel eine Rose. Er ist ein Fremdbestäuber. Früchte entstehen nur, wenn Pollen eines zweiten Baums auf die Blüten gelangen. Dadurch kann man seine Lieblingssorte auch nicht einfach aus einem Kern der Frucht heranziehen. Die Tochtergeneration hat Eigenschaften der beiden Elterngenerationen. „Markenäpfel“ werden deshalb durch Pfropfen oder Okulieren vermehrt. Man setzt einen Zweig oder eine Knospe der Zielsorte auf einen robusten Wurzelstock. Die beiden Teile wachsen zusammen und kombinieren die guten Eigenschaften der Wurzel und die gewünschten des Fruchtträgers. (inka)

 

www.naturmuseum.tg.ch

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