von Maria Schorpp, 15.04.2024
Blond, aber nicht blöd
Süsse Verheissungen und Geschlechterturbulenzen: „Sugar – Manche mögen’s heiss“ rief bei der Musical-Premiere auf der Zentrumsbühne in Bottighofen Begeisterung hervor. Am Ende gab es sogar stehende Ovationen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Irgendwie hat es der Mythos von Marilyn Monroe geschafft zu überdauern. Erstaunlich eigentlich, wenn man die Rollen bedenkt, die sie am berühmtesten gemacht haben. Als Sugar zum Beispiel in „Manche mögen’s heiss“, der Filmkomödie von Billy Wilder von 1959. Sugar – eine süsse Verheisung soll(t)en Frauen sein. Marilyn Monroe hat die Erwartungen bedient, einerseits. Andererseits so überdreht, dass recht besehen blind und taub sein müsste, wer dahinter nicht einen doppelten Boden vermutet.
Manchmal müssen keine komplizierten neuen Ansätze her, sondern muss nur gesehen werden, was offen zu Tage liegt: Sugar Kane, das Blondchen, das sich so süss wie kompromisslos ihre Umgebung nach ihren Vorstellungen formt. Warum auch soll sie ihre sexuelle Anziehungskraft ungenutzt lassen? Männer haben schliesslich auch nichts dagegen, wenn ihre Macht als Sexappeal missverstanden wird.
Eine grandiose Sugar
So könnte man die Inszenierung der Musical-Fassung von „Sugar – Manche mögen’s heiss“ auf der Zentrumsbühne in Bottighofen verstehen. Die junge Lena Pallmann ist grandios in der Titelrolle. So platinblond (die Perücke) wie die der Monroe bringt sie mit frappanter Überzeugungskraft deren Begabung zur Verführung auf die Bühne. Ihre Stimme schmilzt allerdings nicht dahin. Dafür hat sie ihre eigene kraftvolle Note. Wie die gesamte Inszenierung von Astrid Keller einen eigenwilligen Drive hat, der Rollenklischees und Fragen nach Geschlechterrollen einfach mal so ins Spiel bringt.
Das fast Schönste dabei ist, dass das Publikum bei der Premierenvorstellung mit unglaublicher Begeisterung dabei war. Und zwar lautstark. Wenn man bedenkt, dass es auf der Bühne um nicht weniger geht als die hart umstrittene Infragestellung überkommener Geschlechteridentitäten.
Das Stimmungshoch hatte natürlich auch damit zu tun, dass da oben ein Spektakel abgeht, das Spass macht und das von der Mixtur aus Profis und Laien verantwortet wird, die sich geschlossen mit allem, was sie haben, reinhängen. Da ist beispielsweise die fünfköpfige Männer-Gang, die mal als Mafiosi ballern, mal im Hilton als alte, weisse, reiche Männer rumhängen. Nebst Damenband, geleitet von Steffi Zweilis dragonerhaften Sweet Sue.
Mann wird Frau
Zwei Männer, die in Frauenrollen schlüpfen. Klingt nach Mitte 20. Jahrhundert, ist es auch, zunächst einmal. Joe und Jerry, zwei arbeitslose Jazz-Musiker brauchen einen Job. Passenderweise benötigt Damenbandmanager Bienstock – Josef Mattle übernimmt den running gag des Abends – gerade Bass und Saxophon. Weil sie nicht nur arbeitslos sind, sondern auch noch die Mafia hinter ihnen her ist, bleibt nur der letzte Ausweg. Mann wird Frau. Und verguckt sich als Frau in das Bandmitglied Sugar.
Das geht am Anfang alles sehr schnell, manchmal fast ein bisschen zu schnell, der Vorhang im Stück, ein bombastisch anzusehendes, riesiges Stück golden fliessender Stoff, geht ständig auf und zu, um dahinter auf der Bühne den Szenenwechsel zu vollziehen. Wirkt wie aufeinanderfolgende Revuenummern, für die das Publikum prompt Szenenapplaus spendete. Die Bühne von Leopold Huber besteht aus einem rohen Gerüst, das sich zu den verschiedensten Bühnenbildern gestalten lässt: Bahnhof, Zug, Hilton-Hotel, Pool.
Konfusion der Geschlechterrollen
Da stöckeln also Simon Bächtiger als Joe und Denis Balic als Jerry alias Josephine und Daphne, zwei talentierte Komiker, über die Bühne. Der tiefe Griff ins Dékolleté einer Bandkollegin gehört genauso zum Komik-Repertoire wie der wohlgemerkt freundschaftliche Besuch Sugars im Schlafabteil der beiden Crossdresser wider Willen. Harmlose Spässchen sollte man meinen, die immer noch für Heiterkeit sorgen und zeigen, dass mit der Konfusion der Geschlechterrollen damals wie heute Tabuzonen betreten werden.
Und dann merken die beiden Männer, wie es ist, einfach mal am Hinterteil angefasst zu werden oder in der Telefonzelle begrapscht zu werden. Richtig heiss wird es, wenn die Liebe ins Spiel kommt. Wenn Joe, Simon Bächtiger gibt ihm seine tolle Stimme, sich als Millionär nochmals verkleidet, um Sugar auf der Suche nach einem reichen Ehemann zu angeln. Auf Jerry alias Daphne wird ein richtiger Millionär scharf. Bastian Stoltzenburg verleiht seinem Sugardaddy Sir Osgood Fielding gelassene Weltläufigkeit, die selbst einen waschechten Kapitalisten sympathisch macht.
Das passiert alles im Kostümbild von Klara Steiger, das sowohl den historischen Hintergrund der Geschichte Ende der 20er Jahre (siehe Mafia-Gang) als auch die 50er Jahre des Films aufgreift. Während Lena Pallmann Monroes körperbetonte Kleider bis hin zum berühmten Glitzerfummel trägt, präsentiert sich die Damenband im Fransen-Look der Roaring Twenties. Die Musik spielt hinter einem seitlichen Vorhang, der die formidable Band um Andreas Bung verbirgt, die mit ihrer Umsetzung der jazzigen Kompositionen von Jule Styne nicht unerheblich zur Begeisterung beiträgt.
Ein Mann entdeckt die Frau in sich
Sir Osgood Fielding übrigens: ein Millionär nicht nur mit finanziellem Potenzial, mit dem er Daphne eine apricotfarbene Abendrobe spendiert. Rührend ist es und gar nicht kitschig, wie Denis Balic als Daphne damit über die Bühne tanzt und die Frau in sich entdeckt. Das kommt in Bottighofen auf der Bühne ganz leicht daher. Und so endet sowohl das Outing von Joe im Glück, den die entschlossene Romantikerin Sugar selbst als armen Musiker haben will, als auch das von Jerry, das ein besonders schönen Ausgang nimmt. Das Publikum jubilierte.
Weitere Vorstellungen und Tickets
19./20./21./25./26.//28. April sowie 3./4. und 5. Mai. Beginn um 20 beziehungsweise 16 Uhr (sonntags)
Tickets (50,40 Franken) gibt es hier.
Von Maria Schorpp
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