von Maria Schorpp, 15.07.2024
Die Entstehung der Menschheit
Das See-Burgtheater zeigt unter neuer Leitung „Prometheus. Revolution im Götterreich“. Simon Engeli geht es in seiner eigenen Textfassung des Prometheus-Mythos um die Mechanismen der Macht und setzt eine Utopie dagegen. Derweil lodert es ganz schön im Kreuzlinger Seeburgpark. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Die olympischen Götter haben längst ihren Ruf weg. Eine Horde streitsüchtiger, intriganter, sexuell recht freizügiger, fast möchte man sagen: Menschen. Sie sind bis heute so populär, weil sie eigentlich nicht viel mehr sind als ins Unsterbliche weitergedachte Abziehbild von uns Erdbewohnern.
Wobei das mit der Unsterblichkeit nicht ganz stimmen kann, Uranos und Kronos, die titanischen Vorfahren von Zeus, werden jeweils von ihren Nachfolgern um die Ecke gebracht. Der Fetzenhaufen, aus dem sich eine dieser Urgestalten auf der Bühne ins Überdimensionale erhebt, erinnert fast schon an eine grössere Seebühne.
Die Mechanismen der Macht
Trotz Lücken in der Logik lassen sich diese göttlich-menschlichen Umtriebe der antiken Erzählungen mit Gewinn auch für das Heute ausschlachten. Simon Engeli hat in einer eigenen Textfassung den Prometheus-Mythos für die diesjährige Open Air-Inszenierung des See-Burgtheaters genutzt, um auch als Regisseur die Mechanismen der Macht freizulegen. Und eine Utopie dagegen zu setzen.
Die Seebühne bildet eine Baustelle ab, mit Gerüst, Bagger und Erdhaufen, der seine erdigen Düfte verströmt. Wobei es in diesem Jahr nicht wirklich eine Seebühne ist. Der Blick des Publikums geht nicht auf das Wasser hinaus, sondern Richtung Park. Von da kam bei der Premierenvorstellung die dunkle Wolkenwand, die eine rund zehnminütige Unterbrechung erzwang.
Spässchen à la See-Burgtheater
Die Metapher mit der Baustelle bietet zunächst einmal Gelegenheit für die kleinen wohlgesetzten Spässchen, an denen man das See-Burgtheater auch unter der neuen Leitung von Simon Engeli, Rahel Wohlgensinger und Giuseppe Spina gleich erkennt. Die Frage nach „Fleischchäs“ an die italienische Köchin führt zu grösseren Turbulenzen, als es der kurze Regenguss vermochte. Da mitten hinein taucht eine Erzählerin auf, die es versteht, mit ihren Cliffhanger die Baustellen-Leute neugierig zu machen für die antike Entstehungsmythologie. Anspielungen auf ein männliches primäres Geschlechtsorgan erweisen sich diesbezüglich als hilfreich.
Judith Johanna Bach, die dann auch den Prometheus spielt, legt ihre Rollen mit der ruhigen Hand derjenigen an, die bereits jenseits der menschlichen Turbulenzen steht. Die Baustelle wird zum Olymp, der Bautrupp zum göttlichen Personal. Giuseppe Spina als Zeus ist die formidable Karikatur eines Machtmenschen und damit der prägnante Gegenpart zu Bachs Prometheus. Die einstigen besten Freunde nehmen eine denkbar entgegengesetzte Entwicklung.
Zuerst war Basisdemokratie
Das ganze olympische Szenario hat Satirepotenzial. Am Anfang wollen die Göttlichen nach der erfolgreichen Revolution gegen die alte Gewaltherrschaft alles besser machen, gemeinsam diskutieren und basisdemokratisch abstimmen. Dass das irgendwie schiefgehen könnte, das deuten schon die kleinen selbstironischen Szenen an, wie der vegane Flügel die Fleisch-Liebhaber unterbuttert. Und Hera besteht jetzt schon auf gewisse Abgrenzungen. Solch ein Machtzentrum taugt nicht zur Demokratie.
Mit der listigen Machtübernahme durch Zeus wird es dann bei allem Spass richtig ernst. Spina spielt den aufstrebenden Diktator sehr überzeugend als geschickten Manipulator, an der Oberfläche smart, darunter brodelnde Aggression. Eigentlich ist er lächerlich mit seinen Herrschereskapaden, das ändert nichts an seiner Gefährlichkeit. Irgendwann hat er beleuchtete Sneakers an den Füssen (Kostüme von Beate Fassnacht und Klara Steiger) und macht sich an Aphrodite ran. Lena Pallmann tritt als Swiftie auf und hat eine starke Nummer mit „Sunny“ von Boney M. Jurij Drole sorgt mit seinem Trio für prickelnde musikalische Stimmungslagen.
Machtmechanismen bleiben schemenhaft
Wie Marilyn Monroe einst sagte: Macht ist das beste Deo. Auf jeden Fall ist sie überwältigend, wenn man nicht aufpasst. Ob aus Faulheit, Gleichgültigkeit oder Feigheit: Die eigentlich demokratisch verfassten Mit-Göttinnen und -Götter lassen Zeus gewähren. Das bleibt in der Inszenierung etwas schemenhaft. Selbst die zunächst renitente Athene von Moira Albertalli fügt sich. Zeus-Gattin Hera versucht sogar einen Gegenputsch, aber eher aus Eifersuchtsgründen. Sabina Deutsch hat einen guten Zugang zu dieser weiblichen Urgewalt. Gibt es Machtstreben, das nicht toxisch ist?
Und dann noch Hephaistos. Georg Melichs Schmied, der Vater Zeus abgöttisch liebt und doch nur von ihm ausgenutzt wird, geht richtig ans Herz. Den Blitz, den er für ihn zusammenhämmert, erinnert an eine Bazooka, was die Inszenierung für etliche pyrotechnische Effekte nutzt. Das eskaliert in einer regelrechten Feuerschlacht, in der der Bagger zum flammenspeienden Ungeheuer wird.
Die Ziege als Puppe
Die Bühnenfläche (dafür zuständig: Spina und Engeli) wird vorübergehend zum Jahrmarktspektakel, die Hitze der Flammen dringt bis in die Publikumsränge vor. Tiefer geht das Gegenteil der Inszenierung: Puppenspielerin Rahel Wohlgensinger mit ihrer schlauen Ziege Amalthea, die erstaunlich gut ins Ensemble passt, auf jeden Fall eine erfinderische Bereicherung ist und zudem geschickt eingesetzt wird, um immer mal etwas Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Das Felltier und Göttermutter Gaia von Augusta Balla, noch so ein Kraftzentrum, lehren Prometheus, dass es einen Gegenentwurf gibt zu Macht und Gewalt, in dem die kleinen Dinge entscheidend sind. Die Inszenierung hat sehr schöne poetische Momente.
So auch das faszinierende Bild, wie aus dem Erdhaufen die beiden kleinen Menschlein entstehen. So unschuldig und so erdig rein. Geht das angesichts des menschengemachten Chaos in der Welt? Da kommt die Baustelle wieder ins Spiel. Menschwerdung als Work in progress. Der wahre Widerstand gegen Gewalt. Das See-Burgtheater stellt sich damit mutig auf. Prinzip Hoffnung. Aber es ist so: Prometheus liebt seine Menschen, diejenigen von ihnen, die zur Premierenvorstellung gekommen waren, liebten diese Vorstellung sowie das super Ensemble. Ein guter Einstand für die Neuen und ein gutes Zeichen für das See-Burgtheater.
Video: Trailer zur Inszenierung
Weitere Vorstellungen und Tickets
Die weiteren Aufführungsdaten des See-Burgtheater im Sommer 2024:
Di 16.7., Mi 17.7., Do 18.7., Fr 19.7., Sa 20.7.
Di 23.7., Mi 24.7., Do 25.7., Fr 26.7., Sa 27.7.
Di 30.7., Mi 31.7., Fr 2.8., Sa 3.8.,
Di 6.8., Mi 7.8.
Aufführungen jeweils 20.30 Uhr
Tickets gibt es für alle Vorstellungen auf der Website des See-Burgtheaters.
Von Maria Schorpp
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