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von János Stefan Buchwardt, 15.03.2018

Expedition in ein Paralleluniversum

Expedition in ein Paralleluniversum
Herbert Kopainig im Sommeratelier: «Der Erzählraum im Lebensraum begann sich auf verschollene und unerschlossene Zeiträume auszudehnen, die sich aber nicht der willkürlichen, sondern der präzisen Fantasie verpflichtet fühlten …» | © zur Verfügung gestellt

Regelmässig erwirbt das Kunstmuseum Thurgau neue Werke. Aber was macht ein Kunstwerk eigentlich ankaufenswert? An 5 Beispielen aus der aktuellen Ausstellung «Neue Kollektion - die Sammlung wächst» wollen wir diese Frage beantworten. Teil 1 widmet sich Herbert Kopainigs «Terra Incognita».

Im letzten Jahr tätigt die Kommission des Beirats des Kunstmuseums Thurgau eine reizvolle Neuerwerbung. Es ist nicht die einzige, und sie geschieht immer auch in Absprache mit dem Museumsimpresario Markus Landert. Repräsentative Ausschnitte aus den eigenwillig irrealen Wunderkammern einer am Südufer des Hochrheins ansässigen Künstlerpersönlichkeit dürfen eben nicht fehlen in der altehrwürdigen Kartause. Name: Herbert Kopainig. Wohnsitz: Diessenhofen. 1952 im aargauischen Windisch geboren.

Im Ankaufsbericht von 2017 wird ausgeführt: «Da es für die Kommission schwierig war, einzelne Objekte oder Bilder aus diesem fantastisch-skurrilen Gesamtkomplex herauszugreifen, hat sie den Künstler gebeten, eine Gruppe von acht fotografischen Arbeiten (Fotomontagen) zusammenzustellen, die er als ‹panoptische Weltreiseberichte› bezeichnet.» Signifikant für den Kunstschaffenden ist das Entfesseltsein für sein thurgauer Alter Ego namens Elias Wundersam. Es ist von andauernder Natur und übergreifendem Wesen.

Originalton Kopainik: «Die Weltreise wird zum Sinnbild wundersamer Rezeption, in deren Verlauf sich am unscheinbar kleinsten Ort wunderbar grossartige Weltereignisse abspielen können ...»Originalton Kopainik: «Die Weltreise wird zum Sinnbild wundersamer Rezeption, in deren Verlauf sich am unscheinbar kleinsten Ort wunderbar grossartige Weltereignisse abspielen können ...» Bild: János Stefan Buchwardt

Dasein als Kunstwerk

Kopainigs Schaffen hat sich im Laufe der Jahrzehnte mittels einer bestechenden Kombinatorik aus Malen, Zeichnen, Installieren, Videokunst und Fotografie zum fabulösen Lebenskunstwerk erhoben. Fantasievolle Passion materialisiert sich unter seinen Händen zum ausgefallenen Kuriositätenkabinett. Obsessiv Versponnenes wird zur märchenhaft anmutenden Lebensschau. Deren Verkörperung bleibt der in den unterschiedlichsten Szenerien auftauchenden Figur des bärtigen Herrn Wundersam vorbehalten.

Wofür steht das mit dem Künstler verschmolzene Kunstwesen mit dem unverkennbaren Spitzhut? Landert holt aus, dass schliesslich wir alle ein derartiges Alter Ego kennen, in dem wir all das machen und sind, was uns sonst in unserer Existenz verwehrt bleibe. Kopainig sei vorbildlich darin, das Unbewusste, also Sehnsüchte und Ideale, fassbar zu kultivieren. Die Reise durch seine Universen ist eine Expedition in eine Parallelwelt. In ihrer konsequenten Ausartung sei sie so etwas wie ein Mittelding zwischen «Harry Potter» und «Star Trek».

Originalton Kopainig: «Die Vorstufe des Denkens ist ein malendes Schauen dieser inneren Bilder, deren Ursprung nicht allgemein und nicht in erster Linie auf Sinneswahrnehmungen zurückgeführt werden kann ...»Originalton Kopainig: «Die Vorstufe des Denkens ist ein malendes Schauen dieser inneren Bilder, deren Ursprung nicht allgemein und nicht in erster Linie auf Sinneswahrnehmungen zurückgeführt werden kann ...» Bild: János Stefan Buchwardt

Block 3

Im im besten Sinne handgewebt inszenierten kopainigschen Panoptikum steht alles Gesammelte gleichwertig nebeneinander. Der Künstler selber spricht von interdisziplinären Wahrnehmungsszenarien, die sich ihrerseits in zehn thematische Areale aufgliedern lassen. Alles untersteht ausgeklügelten institutionalisierten Prinzipien. Seine Kunst ist mitunter auch begehbar. Sie kennt Grossflächiges und Zyklisches, Fragmente und Projiziertes, Blackboxes und Bildblöcke. Auf fast schon surreale Weise harmonieren Phantasie und Ordnung. 

Die acht Ausdrucke, die bis gegen Ende April das Museumsgemäuer zieren, sind Teil von zehn mehrteiligen Printserien. Dieser «Block 3» umkreist, so der liebend gern fabulierende Herbert Kopainig, das Narrativ der Einreise in «Terra Incognita». Hier sei der Einzug im «Hidden Place» angesagt, dem Exil der Künste. «Hier beginnt der Aufstieg zum Gebäude der grossen Kuppel der Wahrnehmung, wo dem Künstler im Menschen die freie Sicht auf Schöpfung und Historie der Erde im panoptischen Rundum-Panorama eröffnet wird.»

Originalton Kopainig: «Die Vorgeschichten bleiben zurück, im Gedächtnis des Gewordenen, durch das wir ziehen ... Die Nachgeschichten erzählen sich weiter, im Herzen des Werdenden, wohin wir fliehen ...»Originalton Kopainig: «Die Vorgeschichten bleiben zurück, im Gedächtnis des Gewordenen, durch das wir ziehen ... Die Nachgeschichten erzählen sich weiter, im Herzen des Werdenden, wohin wir fliehen ...» Bild: János Stefan Buchwardt

Wundersame Angelegenheiten

Kopainigs Sprache kennt wiederkehrende sinnbildliche Elemente. Auf den Vergrösserungen von am Computer nachbearbeiteten Fotos entdecken wir Hase, Hut und Teppich. Ersterer ist Symbol für die Inkarnation. Vom «Lepus del Arte» spricht der Künstler, einem Zeremonien-Meister sozialer Kreativität. Als mythisches Fortbewegungsmittel sei der fliegende Teppich Wundersams bevorzugtes Vehikel. Mit dem Hut wird explizit Bezug auf den legendären beuys’schen Kopffilz genommen, aber etwa auch auf Magritte, den Mann mit der Melone.

Auf die Frage, was er zum zukünftigen Verständnis seines Schaffens sagen möchte, antwortet Kopainig ausführlich: «Kunst findet statt und verfolgt keinen Plan. Der Gang der Dinge spricht für sich selbst, ist Wunder genug. Er muss nicht länger physisch verwertbar sein, wissenschaftlich ausgeschlachtet und seziert werden. Unerschöpflich erschliessen sich Sinn und Weisheit in seelischen Kategorien. Kunst ist die wundersame Angelegenheit der absichtslosen Liebe, Vollstreckerin von Imagination, Intuition und Empathie.»

Originalton Kopainig: «Kunst müsste aus dem Kuckucksnest des elitär abgehobenen Sonderdaseins auf den Boden der alltäglichen Wirklichkeit der Menschen zurückkehren, damit die Hochzeit von Animus und Anima, Homo oekonomikus und Homo artium tatsächlich stattfinden könnte ...»Originalton Kopainig: «Kunst müsste aus dem Kuckucksnest des elitär abgehobenen Sonderdaseins auf den Boden der alltäglichen Wirklichkeit der Menschen zurückkehren, damit die Hochzeit von Animus und Anima, Homo oekonomikus und Homo artium tatsächlich stattfinden könnte ...» Bild: János Stefan Buchwardt

Waldhaus-Wunderkammer: Die Waldhäuser hat Herbert Kopainig – oder war es Elias Wundersam? – auf einer panoptischen Expedition zur Terra Incognita entdeckt und ist seither fasziniert von diesen prähistorischen Herbergen.Waldhaus-Wunderkammer: Die Waldhäuser hat Herbert Kopainig – oder war es Elias Wundersam? – auf einer panoptischen Expedition zur Terra Incognita entdeckt und ist seither fasziniert von diesen prähistorischen Herbergen. Bild: zur Verfügung gestellt

Termine: Die Ausstellung «Neue Kollektion - die Sammlung wächst» ist noch bis zum 22. April zu sehen. Am Dienstag, 20. März, 19 Uhr, gibt es auch eine Diskussion zum Thema Ankäufe: In der Veranstaltung „Wer kauft was?“ stellt sich das Kommissionsmitglied Hans Jörg Höhener den Fragen „Nach welchen Kriterien werden Kunstwerke erworben?“ oder „Wer entscheidet über Ankäufe?“ Der Eintritt ist frei

Weiterführende Links zu Herbert Kopainig:

www.kuenstlerarchiv.ch/herbertkopainig 

https://www.youtube.com/watch?v=m1V16ZtKumQ 

Alle Teile unserer Serie «Neue Kunst in der Kartause» im Überblick

Teil 1 unserer Serie "Neue Kunst in der Kartause" über das Werk «Terra incognita» von Herbert Kopainig können Sie hier lesen: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3529/     

Teil 2 widmet sich dem Künstler-Duo huber.huber (Reto und Markus Huber) mit ihren Regenbogensteinen und ihrem «Prozess des Veschwindens». https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3539/   

Teil 3: Die bemerkenswerten Bildkompositionen «After Hiroshige» der Arboner Fotografin Esther van der Bie https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3554/  

Teil 4: Eine anspielungsreiche Bildtafel von Matthias Bosshart: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3558/  

Teil 5: Die Videoarbeit «Astronauten» von Sarah Hugentobler: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3567 

 

Wer über die Ankäufe entscheidet

Die Sammlung des Kunstmuseums Thurgau wächst ständig. Seit 2012 gibt es zusätzlich zum ordentlichen Ankaufsbudget einen Kredit über 100.000 Franken aus dem Lotteriefonds für Ankäufe, über dessen Verwendung eine Kommission entscheidet. Dieses Budget dient dazu, Werke von Kunstschaffenden mit Wohnsitz im Thurgau oder mit einem engen Bezug zum Kanton zu erwerben. Die Ankaufskommission setzt sich zusammen aus Katharina Ammann, Abteilungsleiterin beim Schweizerischen Institut für Kunstgeschichte, Alex Hanimann, Künstler, und Hans Jörg Höhener, Präsident der Kulturkommission Thurgau. In der Ausstellung «Neue Kollektion – Die Sammlung wächst» gibt das Kunstmuseum Thurgau noch bis zum 22. April 2018 einen Überblick über die Ankäufe der letzten drei Jahre. Anhand der Ausstellung lässt sich trefflich diskutieren, was denn heute gute und zukunftsträchtige Kunst sei. 

kunstmuseum.tg.ch

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