von Inka Grabowsky, 08.03.2017
Comedy Express startet neu
Travestie und Spass an schrillen Kostümen gehören dazu, wenn die Schauspieler der Bildungsstätte Sommeri auftreten. Der Profi Mario Müller ergänzt neu die Gruppe der beeinträchtigten Amateure.
Von Inka Grabowsky
Zum alten Schlager „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett" von Bill Ramsey tanzen drei Grazien durch die Bar des Hotels „Gäx on the Beach". Raubtierprints und Glitzerröcke zu farblich abgestimmten Langhaarperücken lassen sie nicht gerade dezent erscheinen. Unter den Kostümen verbergen sich Andy Ackermann (in türkis), Berni Peter (in lila) und Mario Müller (in rot). Der Improvisations-Künstler aus Konstanz ersetzt seit dieser Saison Olli Hauenstein, der den Comedy Express nach elf Jahren verlassen hatte, um mit Eric Gadient als Duo „Clown Syndrom" aufzutreten. Der Theaterpädagoge Peter Wenk und seine Partnerin Ambrosia Weisser hatten aktiv nach einem passenden Ersatz gesucht. Der entscheidende Tipp kam von Kabarettist Jan Rutishauser. „Wir kennen uns aus dem TmbH, dem Theater mit beschränkter Hoffnung", sagt Mario Müller. Dort gehe es wie in all seinen Projekten um Improvisation.
Video: Einblick in die Probearbeiten
„Auch wenn ich in Unternehmen arbeite, muss ich die Leute aufrütteln und ihre Kreativität zum Vorschein bringen. Das muss ich genauso beim integrativen Theater. Der Hauptunterschied ist die Fassade. Hinter den Filterschichten sieht es bei allen Menschen verblüffend ähnlich aus. Die Kollegen hier sind direkt, ungefiltert." Der nächste Schlager, der durch das Theaterstück führt, ist der „Kriminaltango" aus dem Jahr 1959. Denn die drei Grazien, die eigentlich in dem Hotel ihren gemeinschaftlich verfassten Krimi vorstellen wollten, müssen plötzlich einen echten Kriminalfall aufklären.
Peter Wenk hat sich die Handlung ausgedacht: Das Hotel Gäx on the Beach ist pleite. Es kann der russischen Mafia kein Schutzgeld mehr zahlen. Also kommt der Erpresser mit seinem Bodyguard vorbei, um Druck zu machen. Im Gepäck hat er einen Koffer mit zusammengeraubtem Geld, der im Hotel mit einem anderen Koffer verwechselt wird. Es kommt zu diversen Verwicklungen, bis am Ende doch noch ein Happy End möglich wird. Drei Wochen vor der Premiere ist das Timing noch nicht ganz perfekt. Bei welchen Stichwort beginnt der Song, bei welchem Takt gehen die Schauspieler ab – es gibt viel festzulegen. „Wir brauchen rund 40 Sekunden", sagt Mario Müller. „Das probieren wir lieber aus", sagt Peter Wenk.
Ein Flirt mit Folgen: Roland Wepf und Berni Peter. Bild: Inka Grabowsky
Ausprobieren ist ohnehin die Methode der Wahl beim integrativen Theater. Im vergangenen Sommer gab es zunächst nur eine grobe Idee von dem Stück. Im September begannen die Proben. Und weil die speziellen Schauspieler des Comedy Expresses immer vor allen sich selber spielen, durften sie sich aussuchen, was sie darstellen wollten: „Bei uns werden die Rollen den Schauspielern angepasst, nicht umgekehrt die Schauspieler den Rollen", sagt Ambrosia Weisser, die unter anderem für die Organisation und die Kostüme zuständig ist. „Männer spielen Frauen, einige Frauen spielen Männer. Das macht unseren Leuten einfach mehr Spass."
Während der Proben entstanden durch Improvisation langsam Szenen. Ambrosia Weisser schreibt jeweils mit, so dass Gutes wiederholbar wird. „Der Weg zu einem zusammenhängenden Stück beginnt mit einem Trampelpfad", sagt sie. „Wir sind hier immer offen für neue Wege", ergänzt Peter Wenk. „Wenn uns später eine brillante Idee kommt, wird sie noch eingebaut." Theater unter besonderen Bedingungen „Der Prozess lässt sich nicht vollständig kontrollieren", so Mario Müller. „Es gibt beim Comedy Express einen gewissen Chaosfaktor. Man muss flexibel sein, noch etwas mehr als bei nicht diagnostizierten Kollegen." Wer eine Szene in einer bestimmten Form haben will, ist hier falsch. Ein Impro-Schauspieler ist aber genau richtig. „Man braucht einfach jemanden, der Unvorhergesehenes auf der Bühne aufgreifen kann."
Comedy Express - das ist Theater unter besonderen Bedingungen
Dabei ist allerdings Bedingung, dass der Schauspieler von seinen Kollegen voll akzeptiert wird – und gerade das war bei der eingespielten Truppe in Sommeri nicht selbstverständlich. „Als wir Mario vorgestellt haben, war eine unserer Mitspielerinnen alles andere als begeistert", erzählt Peter Wenk. „Sie drehte sich um und sagte ‚ i mag nöd'." „Aber nach drei Minuten hat sie mich dann doch umarmt und zum Tanzen auf die Bühne gezogen", so Mario Müller weiter. Bei seinen neuen Kollegen zähle eben immer nur der Moment. „Es ist das, was sich die Leistungsgesellschaft beim Yoga wieder beizubringen versucht. Was gestern war oder morgen sein wird, spielt hier keine Rolle."
Alle Termine im Überblick:
Premiere Freitag, 17. März 2017, 18.30 Uhr (mit Theater-Dinner)
Weitere Aufführungen Sa. 18. März, 18.30 Uhr mit Theater-Dinner (schon ausverkauft)
Fr. 24. März, 20.00 Uhr
Fr. 31. März, 20.00 Uhr
Sa. 1. April, 18.30 Uhr mit Theater-Dinner
Fr. 20. Oktober, 18.30 Uhr mit Theater-Dinner
Sa. 21. Oktober, 18.30 Uhr mit Theater-Dinner
Von Inka Grabowsky
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