von Inka Grabowsky, 24.02.2014
Zehn Jahre integratives Theater Sommeri
Jetzt sind sie fast vorbei, die Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum des „COMEDYexpress“. Am Wochenende lief eine der letzten Vorstellungen im Programm „Das Beste zum Feste“. Nur eine einzige öffentliche Aufführung auf Schloss Dottenwil ist dieses Jahr bisher noch geplant.
Inka Grabowsky
Das Cafi der Bildungsstätte Sommeri war vollbesetzt – und das nicht nur, weil die Theatergruppe rund um Regisseur Peter Wenk und Clown Olli Hauenstein ein Heimspiel hatte: 2003 organisierte Peter Wenk in seiner Funktion als Kunsttherapeut und Theaterpädagoge hier die erste Aufführung mit Schauspielerinnen und Schauspielern mit Handicap. „Zu besonderen Anlässen hatten wir schon vorher immer mal etwas einstudiert, aber nach unserem grossen Erfolg mit ‚Entsorgt’ durfte ich mit Unterstützung der Bildungsstätte die Theaterwerkstatt Sommeri aufbauen.“
Selber Geld verdienen
Die Bildungsstätte übernimmt eine Defizit-Garantie für das Kulturprojekt und stellt die Darsteller während der Proben von ihren Aufgaben in den Werkstätten frei. Geld verdienen muss die Truppe aber selber. „Wir sind vor allem ein Tourneetheater“, beschreibt Peter Wenk die wirtschaftliche Seite seiner Arbeit. „Die meisten Vorstellungen geben wir vor geschlossenen Gesellschaften – bei Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, Vereins- oder Firmen-Anlässen.“ So kommen Jahr für Jahr bis zu vierzig Aufführungen zusammen – alle ein bisschen anders als die anderen. „Wir passen unsere Stücke den Bedürfnissen der Kunden an“, so der Theaterpädagoge. „Die Leute sollen etwas bekommen für ihr Geld“. Auch die Ausrichtung auf Comedy hat etwas mit Kundenbedürfnissen zu tun. Sie entspreche nicht nur den schauspielerischen Fähigkeiten des Ensembles, sondern treffe auch genau den Nerv des Publikums. „Früher habe ich oft auch Ernsthaftes gespielt, aber die Menschen wollen offenkundig lieber leichte und lustige Stücke sehen.“
Humor im Vordergrund
Jede Vorstellung des COMEDYexpress stellt das unter Beweis. Schon nach den ersten Augenblicken ernten die Schauspieler in „Das Beste zum Feste“ Lacher und Szenenapplaus. Das Stück arrangiert bekannte Szenen aus den vergangenen zehn Jahren neu, dementsprechend gibt es ein Wiedersehen mit den tollpatschigen Handwerkern aus „Achtung Baustelle“ aus 2004, der rabiaten Krankenschwester aus der „Schwarzwitzklinik“ von 2005 oder dem verliebten Chef aus „VollgasCo.“ von 2009.
Das Bühnenbild mit seinen wenigen Requisiten reicht schon, um eingefleischte Fans zum Schmunzeln zu bringen. „Oh, jetzt kommt das Büro – ich habe letztes Mal so darüber gelacht“, heisst es am Nebentisch. Wer heute Claudia Kaufmann als Pflegekraft oder Sekretärin auf der Bühne sieht, kann sich kaum vorstellen, dass sie bei ihren Anfängen als Schauspielerin eine Auftrittsblockade hatte. Damals war sie entsetzt, dass die Menschen alle lachen, wenn sie Theater spielt. Heute betrachtet sie das Gelächter als Anerkennung für ihre gute Arbeit. Die Schauspieler hätten sich alle stark weiterentwickelt, meint der Theaterpädagoge im Rückblick. „Ausserdem sind wir im Ganzen professioneller geworden. Die Abläufe sind straffer als zu Beginn. Wir wissen, wie man mit Veranstaltern verhandelt und was im Vertrag stehen muss, und auch PR und Werbung haben mittlerweile einen hohen Stellenwert.“
Darsteller mit besonderen Fähigkeiten
Vorstellungen vom COMEDYexpress leben nicht von gesprochenen Dialogen, sondern von Situationskomik. „Unsere Darsteller und Darstellerinnen sind keine Wortkünstler, sondern Meister von Ausdruckskraft und Authentizität“, erklärt der Theaterleiter. Kein Wunder, dass der Clown Olli Hauenstein aus Sommeri, der seit 2004 zur Truppe gehört, sofort einen guten Draht zu den Schauspielern mit Handicap bekam. Er steht als Profi in vielen Szenen im Mittelpunkt und ist auch der Notanker, auf den sich die Laienspieler verlassen können, wenn mal etwas schief geht.
Denn selbstverständlich geht bei der Gruppe, die zum grossen Teil aus Menschen mit Down-Syndrom besteht, nicht immer alles glatt. „Jeder hat seine besonderen Eigenheiten, die man kennen sollte. Man muss sich einfühlen.“ Rücksichtnahme ist also unbedingt notwendig. Zum Ausgleich bekommen die beiden Regisseure ausgesprochen authentische Darsteller. „Die ruppige Krankenschwester ist wirklich ruppig – sie spielt nicht aufgesetzt.“ Ausserdem mangele es den Schauspielern kaum jemals an Motivation. „Sie denken mit, fühlen sich verantwortlich und identifizieren sich mit der Gruppe.“
Integration und Anspruch
Als nächstes plant Peter Wenk für den COMEDYexpress eine Kriminalkomödie. Sie soll im Rahmen eines Integrationsprojektes gemeinsam mit Schülern aus Sommeri aufgeführt werden. „Wir wollen beides: Integration und unseren künstlerischen Anspruch verwirklichen.“ Niemand solle Beifall aus Mitleid spenden, aber alle Zuschauer sollten mit der Erkenntnis nach Hause gehen, dass auch Menschen mit Handicap qualitativ gutes Theater bieten können. Am Wochenende in Sommeri hat das eindeutig funktioniert.
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