von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 10.12.2018
Zeit für Helden
Die Welt gerät zunehmend aus ihren Fugen, die Sehnsucht nach neuen Helden wächst. Wie man zu einem wird und warum Helden auch fallen können.
Heroisch. Schon allein die Tatsache, wie schwer uns dieses Wort heute über die Lippen geht, zeigt, dass der Begriff ein wenig aus der Zeit gefallen scheint. Gibt es heute überhaupt noch Helden oder ist die Ära der Superhelden längst abgelaufen? Ein Held, so heisst es in einem Lexikon aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, „ist einer, der von Natur mit einer ansehnlichen Gestalt und ausnehmender Leibesstärke begabet, durch tapfere Thaten Ruhm erlanget, und sich über den gemeinen Stand derer Menschen erhoben.“ Schön soll er also sein, stark und tapfer, dieser Held. Die Männlichkeitsform ist hier kein Zufall. Das Heldenkonzept war lange vor allem auf Männer zugeschnitten, es gibt nur wenige Frauen, die diesen Status erhielten. Penthesilea, die Königin der Amazonen, war in der Antike eine Ausnahme.
Und heute? Wie ist das heute? Wer taugt da zum Helden, zur Heldin? Schönheit ist kein Ausschlusskriterium mehr, Stärke hat nicht mehr nur was mit Muskelkraft zu tun, aber Tapferkeit und Entschlossenheit zählen auch heute noch zur Jobbeschreibung eines Helden. Die beiden amerikanischen Psychologen Philip Zambardo und Zeno Franco haben das für ein Magazin der kalifornischen Universität Berkeley 2006 unter dem Titel „Banalität des Heldentums“ mal genauer untersucht. Darin halten sie unter anderem fest, dass Heldentum weiter geht als selbstloses, altruistisches Handeln: „Altruismus betont selbstlose Taten, die anderen helfen. Heldentum hat dagegen das Potenzial für ein grösseres persönliches Opfer“, schreiben Zimbardo und Franco. Im Kern gehe es bei Heldentum „um die persönliche Hingabe an ein edles Ziel - und die Bereitschaft, die Konsequenzen eines Kampfes für dieses Ziel hinzunehmen.“
Nadia Murad Basee Taha: Was für eine starke Frau
Schaut man heute in die Welt hinaus, dann gibt es da einige Menschen, die den Heldentitel verdienen. Zum Beispiel Nadia Murad Basee Taha. Für ihren Einsatz gegen sexuelle Gewalt als Waffe in Kriegen und bewaffneten Konflikten ist sie gerade eben mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Die nüchternen Worte der Jury erklären nur unzureichend, was die Jesidin in den vergangenen Jahren erleben musste und schliesslich daraus gemacht hat. Bei einem Überfall auf ihr Heimatdorf Kocho (Irak) durch Mitglieder der Terror-Miliz Islamischer Staat (IS) am 3. August 2014 verlor Nadia Murad ihre Mutter und sechs Brüder. Insgesamt starben 18 ihrer Familienmitglieder durch den IS. Sie selbst wurde aus dem Dorf entführt und geriet in Gefangenschaft. Während dieser Zeit wurde sie mehrfach versklavt, vergewaltigt und gefoltert.
Sie hätte an all dem zerbrechen können. Ist sie aber nicht. Sie hat alles, was sie durchleben musste in Energie verwandelt und kämpft seit Ende ihrer Gefangenschaft und ihrer Flucht nach Deutschland (sie lebt aus Sicherheitsgründen anonym irgendwo in Baden-Württemberg) für die Anerkennung des Völkermordes an den Jesiden und kümmert sich insbesondere um die Situation der Frauen in Gefangenschaft. Sie mahnt die internationale Gemeinschaft, nicht tatenlos zu bleiben, und setzt sich für eine internationale Strafverfolgung der IS-Verbrechen ein. Keine Frage: Nadia Murad Basee Taha ist die perfekte Heldin unserer Zeit. Sie hat sich weder unterkriegen noch einschüchtern lassen und wurde so zum weltweiten Symbol für den Kampf gegen sexuelle Gewalt, Terror und unerträgliches Unrecht. Es ging auch darum, ein Zeichen zu setzen und ihren Peinigern von damals ins Gesicht zu brüllen: „Ihr kriegt mich nicht klein!“ Was für eine starke Frau.
Helden sind vorm Sturz nicht gefeit. Sie können auch fallen
Geht man ein paar Jahrhundert zurück, dann hätte auch ein gewisser Napoleon Bonaparte ein grosser Held werden können. Der Komponist Ludwig van Beethoven glaubte jedenfalls sehr daran. Seine Sinfonie „Eroica“, sein bis dato grösstes Werk, wollte er ursprünglich dem Franzosen widmen. Beethoven begeisterte sich an der Persönlichkeit Napoleons und sah in ihm die politische Figur, die die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in Europa durchsetzen könnte.
Beethovens Napoleon-Begeisterung endete allerdings jäh, als dieser sich am 2. Dezember 1804 zum Kaiser krönte. Der Komponist reagierte empört und enttäuscht: „Ist er auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch? Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen, er wird sich nun höher wie alle anderen stellen, ein Tyrann werden!“ Als Widmumgsträger wurde daraufhin Fürst Franz Joseph von Lobkowitz eingesetzt, in dessen Palast die erste Aufführung stattfand und der massgeblich dafür bezahlt hatte. Das Werk erschien 1806 unter dem Titel "Sinfonia eroica, composita per festiggiare il sovvenire di un grand´uomo" (Heldensymphonie, niedergeschrieben, um das Andenken an einen grossen Mann zu feiern.) Vom Ideal Napoleon ist am Ende nicht mehr viel übrig geblieben.
So ist das mit Helden. Sie können eben auch fallen.
Wie man selbst zum Helden werden kann
Trotzdem brauchen wir sie auch noch heute. Vielleicht mehr denn je. Menschen, die vorangehen mit der Flagge der Menschlichkeit. Menschen, die bereit sind persönliche Opfer zu bringen für eine grössere Sache. Menschen, die laut und deutlich sagen: „Bis hierher und nicht weiter. Ihr habt sie ja nicht alle!“ Die leider viel zu früh in Ruhestand gegangene Popband Wir sind Helden hat dem modernen Helden in ihrem Song „Heldenzeit“ ein Denkmal gesetzt: „Der Reichtum macht uns alle arm/Armut macht uns handzahm - Alarm (…) Hat irgendwer gesagt es wäre Zeit für Helden? Wir kommen um die anderen Helden abzumelden.“
In diesem Sinne: Jeder kann ein Held sein. Das sagen auch die Psychologen Philip Zimbardo und Zeno Franco von der Universität Berkeley. „Zum Helden werden wir, wenn wir die Gelegenheit dazu bekommen, sie erkennen und handeln.“ Du musst Dich nur trauen.
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