von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 05.03.2021
Man müsste mal
Auf ins Abenteuer: Es gibt so viele Dinge im Leben, die man mal tun müsste. Aber dann kommt doch wieder irgendwas anderes dazwischen. Eine Kolumne zwischen Lebenslust und Sofa-Bequemlichkeit. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Ich habe in der Zeitung neulich ein Bild gesehen. Ein Bild aus Nairobi. Und ich dachte, ich dachte, da müsste man mal hinfahren. Man müsste mal da hin fahren, um zu sehen, wie das so ist. Dieses Leben. Dort.
Dabei war das Foto keines von der Sorte, wie man sie in Reisekatalogen finden kann. Die Strasse war überschwemmt von brackigem Wasser, Menschen liefen kreuz und quer durch das Bild, die Häuser wirkten abbruchreif und alles in diesem Bild sagt eigentlich: Komm nicht hierher. Dies ist ein schlechter Ort. Er wird dir nicht gut tun. Und trotzdem dachte ich, man müsste da mal hinfahren.
Wie schnell man im Alltag des Leben vergessen kann
Um zu sehen, wie das Leben so ist. Dort. Aber nicht nur dort. Mehr so allgemein. Dieses Leben. Im Alltag kann man ja schon mal schnell vergessen, was dieses Leben an und für sich so ausmacht.
Versunken zwischen Wäscheständern, Facebook-Status-Updates und dem Wocheneinkauf kann einem das durchaus abhandenkommen. Dieses Gefühl für das eigene Leben. Und was man damit jetzt eigentlich anfangen will.
Warum man manchmal Gefahr braucht, um sich lebendig zu fühlen
Wenn ich dann im Fernsehen Bilder aus Kabul, Teheran oder Johannesburg sehe, denke ich auch, da sollte man echt mal hin. Jetzt aber wirklich. Und warum? Weil da das Leben noch echt ist. Weil da das Leben noch lebendig ist. Nichts Festes und immer in Gefahr.
Manchmal habe ich das Gefühl, man kann sich nur an solchen Orten wirklich lebendig fühlen, weil man weiss, dass es jeden Moment vorbei sein kann. Eigentlich absurd, dass man das Leben erst schätzen lernt, wenn es nicht mehr so selbstverständlich ist.
Abenteuer warten ja nicht. Sie passieren
Es ist diese Mischung aus Abenteuerlust und Ausbruchfantasie, die mich aufreizend anlächelt. So wie diese unglaubliche Frau damals auf dem Tanzflur dieser schäbigen Dortmunder Grossraumdisko. Manchmal will ich auf sie zugehen und ihr sagen: „Baby, wir sind füreinander bestimmt. Lass uns diesen Höllenort verlassen und das richtige Leben beginnen.“
Oft genug wird mir dann aber auch klar, dass meine Fantasie wahrscheinlich kaum ausreicht, um zu erahnen, welche Abenteuer dort warten. Wobei die ja nicht wirklich warten. Irgendwer erlebt sie. Oder irgendwem passieren sie. Wenn nicht mir, dann eben jemand anderem.
Und dann merkt man plötzlich, wer man eigentlich ist
Dann erinnere ich mich daran, wer ich eigentlich bin. Jemand, der schon am Strassenverkehr in Sizilien verzweifelt. Jemand, dem schon Marrakesch auf Dauer zu laut und schmutzig ist. Jemand, der gerne in schönen Hotels übernachtet.
Dann weiss ich, dass das mit mir und der zwielichtigen Tanzflurfrau nichts wird. Und irgendwie ist das auch total okay. Trotzdem werde ich beim nächsten Bild aus Nairobi denken, da sollte man echt mal hin.
Andererseits: Geile Serien zu glotzen ist ja auch geil
Was ist also wichtig? Worauf kommt es an? Ein Freund von mir hat mal gesagt: „Am Ende geht es doch nur um Liebe und Freundschaft. Um Beziehungen zwischen Menschen.“ Ich glaube, er hat Recht.
Und dann denke ich, ich müsste echt mal wieder den Jan anrufen. Oder die Kati. Oder die Vroni. Und dann habe ich mir aber schon die neue Staffel von irgendwas runter geladen.
Und das ist ja auch geil. Geile Serien zu glotzen. Also rufe ich niemanden an. Und Nairobi? Muss weiter warten. War ja klar.
Hinweis: Dieser Text ist zuerst in dem Blog Warum ist das so? im April 2014 erschienen
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