von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 11.12.2025
«Wir unterstützen – aber wir können nicht alles abnehmen»

Räume, Ausstellungen, Gesuche: Was läuft gut, was braucht Veränderung? Die Thurgauer Kulturstiftung reagiert auf Kritik von Kulturschaffenden – und stellt neue Ideen vor. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)
Herr Wagner, in den vergangenen Wochen haben Künstlerinnen und Künstler ihre Erfahrungen mit der Thurgauer Kulturförderung öffentlich gemacht. Neben Anerkennung gab es auch Kritik an verschiedenen Punkten. Teilweise betraf das auch die Kulturstiftung. Können Sie die geäusserte Kritik annehmen?
Grundsätzlich finde ich es erst einmal gut, wenn Kulturschaffende sich offen zu ihren Themen äussern. Nur so kann eine Debatte entstehen, und nur so können allenfalls auch Veränderungen beginnen. Im Detail konnte ich nicht jede Kritik nachvollziehen; in den Fragen habe ich manchmal etwas Recherchetiefe vermisst. Da hätte man hier und da mehr nachfragen müssen, für mein Empfinden. Aber, wie gesagt: Grundsätzlich gibt es in den Interviews Ideen und Ansätze, mit denen man weiterarbeiten kann.
Ein Kritikpunkt bezog sich auf die Gesuchstellung. Ist das im Thurgau zu kompliziert?
Ich kann verstehen, dass dieser Teil der Arbeit ein eher wenig lustvolles Unterfangen ist. Ich habe das selbst in meiner freischaffenden Arbeit oft genug erlebt, wie mühsam das sein kann. Aber es ist Teil des Jobs. Dazu kommt, dass wir hier im Thurgau ein vergleichsweise niederschwelliges und einfaches System haben. In der Kulturstiftung haben wir in den letzten Jahren viel zur Vereinfachung beigetragen. Wir sind beispielsweise auch bei der Bearbeitung der Gesuche grosszügiger, als das in Grossstädten der Fall wäre. Dort würden viele Gesuche manchmal schon aus formalen Gründen durchfallen. Wir geben uns ein bisschen mehr Mühe und unterstützen die Kulturschaffenden, wo es nur geht.
Warum kommt das bei den Kulturschaffenden dann nicht immer an?
Meine Erfahrung ist, dass viele Kulturschaffende nicht einmal unsere Wegleitung lesen. Dort würden sie eigentlich ziemlich klar erfahren, wie sie Gesuche bei uns eingeben können. Professionelle Kulturschaffende sind auch dazu aufgefordert, sich zu informieren. Ich finde, das gehört dazu – ebenso wie die Tatsache, dass man Gesuche schreiben muss, wenn man öffentliche Gelder haben will.
In den vergangenen Wochen sind mehrere Interviews mit Thurgauer Künstlerinnen und Künstler erschienen. Darin sprechen sie über ihre Erfahrungen mit den Thurgauer Kulturförderinstitutionen. Ziel der Gespräche war es, die Perspektive der Kulturschaffenden auf Kulturförderung abzubilden. Zu Wort kommen in der Serie die bildenden Künstlerinnen Isabelle Krieg und Lina Maria Sommer, sowie die Musiker David Lang und Christoph Luchsinger. Alle Beiträge sind in einem Themendossier gebündelt.
«In der Kulturstiftung haben wir in den letzten Jahren viel zur Vereinfachung beigetragen.»
Stefan Wagner, Geschäftsführer der Kulturstiftung des Kantons Thurgau
Was können Künstler:innen tun, die sich mit dieser Form der Selbsterläuterung in Gesuchsprosa schwertun?
Man kann es natürlich delegieren. Es gibt Büros, die das gegen Geld machen. Sie können auch Projektleitungen installieren, die diese Aufgaben für sie übernehmen. Ausserdem gibt es inzwischen viele Workshop-Angebote von Branchenverbänden, in denen man das lernen kann.
Die Kulturstiftung kann das nicht leisten?
Das an uns als Kulturstiftung zu delegieren, finde ich schwierig. Wir können nicht gleichzeitig Gesuche schreiben und sie dann selbst beurteilen. Da wäre die Unabhängigkeit nicht mehr gewährleistet. Aber ich wäre sofort dabei, ein Projekt zu unterstützen, das solche Dienstleistungen für Kulturschaffende anbietet.
Da kommen wir an einen Punkt, der vielen Kulturschaffenden zu schaffen macht. Eine Projektleitung kostet Geld. In ihren Gesuchen stapeln Kulturschaffende oft schon tief, um überhaupt eine Chance auf Förderung zu bekommen. Christoph Luchsinger hat in einem Interview gesagt, dass er am meisten bei sich selbst spart. Wie kommt man aus diesem Dilemma wieder heraus?
Das ist tatsächlich schwierig. Kulturschaffende beantragen oft zu wenig Geld für die Grösse ihrer Projekte. Ich kann das psychologisch nachvollziehen, weil es ja auch unangenehm ist, nach Geld zu fragen. Aber vielleicht braucht es da auch ein anderes Selbstbewusstsein auf Seiten der Kulturschaffenden – damit sie aus dieser Bittsteller-Position herauskommen. Wir versuchen bei der Kulturstiftung des Kantons Thurgau dem jedenfalls entgegenzuwirken. Zum Beispiel dadurch, dass wir einmal gesprochene Gelder sehr zeitnah auszahlen.
«Es braucht ein anderes Selbstbewusstsein auf Seiten der Kulturschaffenden – damit sie aus dieser Bittsteller-Position herauskommen.»
Stefan Wagner, Geschäftsführer der Kulturstiftung des Kantons Thurgau (Bild: Judith Schuck)
Was heisst das konkret?
Innerhalb von zwei bis drei Wochen nach dem positiven Bescheid hat man in der Regel den kompletten Betrag auf dem Konto. Das gibt es sonst fast nirgendwo. Bei Pro Helvetia musst du erst einmal alles selbst vorfinanzieren, auch beim Kanton St. Gallen musst du zunächst in Vorleistung für das gesamte Projekt gehen. Dann musst du eine detaillierte Abrechnung einreichen, und manchmal kann es dann noch sein, dass du weniger Geld bekommst, weil du zu wenig weitere Drittmittel eingeworben hast. Ganz ehrlich: Im Vergleich dazu haben wir hier im Thurgau gute Bedingungen für die Unterstützung.
Manchmal würden sich Kulturschaffende statt einer formalen Ablehnung auch ein Feedback wünschen, weshalb es nicht geklappt hat.
Das ist ein guter Punkt. Wir haben das bei uns vor einem Jahr neu eingeführt. Wir bieten allen Künstlerinnen und Künstlern, die einen negativen Bescheid erhalten haben, die Gelegenheit zu einem Feedback-Gespräch mit uns. Darin erklären wir, warum das Gesuch dieses Mal nicht überzeugt hat oder wo das Problem sonst lag. Das sind nicht immer einfache Gespräche, weil Ablehnung ja oft auch mit Verletzung verbunden ist. Aber fast alle Betroffenen, die diese Gespräche in Anspruch genommen haben, haben hinterher gesagt, es habe ihnen etwas gebracht und sie könnten unsere Entscheidung nun besser nachvollziehen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir im Gespräch mit den Kulturschaffenden bleiben – auch wenn es mal schwierig wird.
Können Sie das für alle abgelehnten Künstler:innen leisten?
Ab einer bestimmten Anzahl von Gesuchen wird das tatsächlich schwierig. Wir könnten das beispielsweise bei unseren Recherchestipendien aktuell nicht mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen in der Kulturstiftung leisten. Was mir hier aber noch grundsätzlich wichtig ist zu sagen: Jurys entscheiden sich für bestimmte Positionen, die sie als Jury unterstützen wollen. Das heisst nicht, dass ein abgelehntes Gesuch nicht gut war, sondern dass einfach die anderen besser waren im konkreten Kontext der jeweiligen Jury. Das ist ein Unterschied.
«Wir bieten allen Künstlerinnen und Künstlern, die einen negativen Bescheid erhalten haben, die Gelegenheit zu einem Feedback-Gespräch mit uns.»
Stefan Wagner, Geschäftsführer der Kulturstiftung des Kantons Thurgau
Ein anderes Thema, das viele Kulturschaffende umtreibt, ist die Suche nach Räumen. Atelier- und Proberäume sind hier ebenso gemeint wie Auftritts- oder Ausstellungsmöglichkeiten. Wie kann die Kulturstiftung hier helfen?
Wir als Kulturstiftung können keinen günstigen Atelierraum zur Verfügung stellen. Wir sind keine Vermietungsimmobiliengesellschaft. Was ich aber sagen kann, sind zwei Dinge. Erstens: Wir sind weiterhin sehr interessiert daran, in der Frauenfelder Stadtkaserne sogenannte Studiolini einzurichten. Insgesamt neun Räume mit jeweils rund 50 Quadratmetern sind im Gespräch. Entstehen sollen sie im Hauptgebäude der Stadtkaserne. Ob das kommt, hängt aber davon ab, ob die Stadt Frauenfeld das Hauptgebäude so instand setzt, dass das möglich wird. Es hängt massgeblich am Geld.
Und zweitens?
Bei unseren Atelierstipendien wird es Änderungen geben. Wir werden das Atelierstipendium Belgrad beenden. Nicht, weil es nicht gut wäre – ganz im Gegenteil. Die Leute, die sich darum kümmern, machen das toll. Aber für uns hatte dieses Stipendium zu viele Ausschlusskriterien. Sechs Monate sind sehr lang; das ist für Familien oder alle, die mitten im Leben stehen, schwierig zu realisieren. Deshalb werden wir im nächsten Jahr unseren Umgang mit Atelierstipendien ändern.
«Mein Rat an Künstler:innen lautet: Organisiert euch! Vernetzt euch! Das ist in diesen Zeiten vielleicht wichtiger denn je.»
Stefan Wagner, Geschäftsführer der Kulturstiftung des Kantons Thurgau
Wie genau?
Wir wollen die Ausschreibung öffnen. Das heisst: Die Kulturschaffenden bewerben sich nicht mehr auf ein konkretes Stipendium an einem festen Ort – wie in unserem Fall Belgrad –, sondern sie bewerben sich mit einem eigenen Vorschlag, wo sie wie lange hingehen wollen. Das kann Belgrad sein, aber auch Basel, Toulouse oder Wien. Damit wollen wir den Kulturschaffenden entgegenkommen.
Eine Kritik der Kulturschaffenden richtet sich auch an den aus ihrer Sicht zu geringen Ausstellungsmöglichkeiten. Können und wollen Sie daran etwas ändern?
Ich weiss es nicht. Bevor wir die Werkschau Thurgau 2019 abgeschafft haben, hatten wir uns bei den beteiligten Institutionen umgehört. Und da war das Echo nicht so, dass das Format unbedingt bleiben müsse. Das war eher ambivalent. Ausserdem gibt es inzwischen mit dem Heimspiel quasi einen Ersatz für die Werkschau. Es gibt auch andere Plattformen wie kunstthurgau, wo Künstlerinnen und Künstler sich engagieren können. Im Format „Auto“ in St. Gallen können Kulturschaffende ebenfalls ausstellen. Ich meine, es gibt schon Ausstellungsorte; aber die Künstler:innen müssen sich vielleicht eher selbst organisieren, um das umzusetzen.
„Es gibt schon einige Ausstellungsorte; aber die Künstler:innen müssen sich vielleicht eher selbst organisieren, um das umzusetzen.“
Stefan Wagner, Geschäftsführer der Kulturstiftung des Kantons Thurgau
Wünschen Sie sich eine aktivere Rolle von Kulturschaffenden?
Klares Ja. Und zwar nicht nur in Bezug auf Ausstellungen. Künstlerinnen und Künstler sollten sich nicht nur als Empfänger:innen staatlicher Kulturförderung verstehen, sondern versuchen, diese aktiv mitzugestalten und sich einzubringen. Mein Rat an Künstler:innen lautet: Organisiert euch! Vernetzt euch! Das ist in diesen Zeiten vielleicht wichtiger denn je.
Zum Schluss noch ein letztes Wort in Richtung der Kulturszene?
Für uns als Kulturstiftung kann ich sagen: Wir pflegen das Prinzip der offenen Tür. Wenn etwas unklar ist, sollen sich Kulturschaffende lieber einmal mehr melden als zu wenig. Im Gespräch können wir viele Dinge lösen.
Transparenz-Hinweis: Die Kulturstiftung des Kantons Thurgau ist eine von zwei Aktionär:innen der gemeinnützigen Thurgau Kultur AG, die thurgaukultur.ch betreibt. Alle Details zur Struktur und Finanzierung von thurgaukultur.ch findet ihr hier.
Mehr über Stefan Wagner
Stefan Wagner (*1973, aufgewachsen in Gossau SG) wuchs nicht in einem klassischen “Kunst-Milieu” auf. Nach einer Ausbildung als Bahnbetriebsdisponent bei der damaligen Bodensee-Toggenburg-Bahn (heute Südostbahn) realisierte er, dass ihn diese Arbeit nicht erfüllte. Er holte die Matura nach und studierte auf dem zweiten Bildungsweg an der Universität Zürich Kunstgeschichte, Filmwissenschaft und Philosophie.
Ab 2004 war er als Kurator, Kunstvermittler und Autor tätig, unter anderem im Off-Space Corner College. Für seine Vermittlungsarbeit erhielt er den Swiss Art Award. Seit Dezember 2019 ist er geschäftsführender Beauftragter der Kulturstiftung Thurgau und entwickelt dort unter anderem neue, partizipative Förderformate. Seine Leitidee: Kulturförderung soll aktiv sein — nicht nur Mittel verteilen, sondern Räume öffnen, Netzwerke stärken und künstlerische Freiheit ermöglichen.

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