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von Brigitte Elsner-Heller, 20.01.2022

«Wir feiern die Kunst des Theaterspielens»

«Wir feiern die Kunst des Theaterspielens»
Vor fünf Jahren gingen sie noch als „Die fürchterlichen Fünf“ ins Jubiläumsjahr. 2022 gehen sechs Personen an den Start zum 10-Jährigen: Noce Noseda, Giuseppe Spina, Joe Fenner, Rahel Wohlgensinger, Judith Zwick und Simon Engeli (von links). Hier im Bühnenbild von „So ein Chaos!“, dem Familienstück, das im Januar noch läuft. | © Brigitte Elsner-Heller

Die „Theaterwerkstatt Gleis 5“ startet in ihre Jubiläumsspielzeit, denn 10 Jahre Theater in Frauenfeld, das muss gefeiert werden. Das „Jubiläumsstück“ wird ums Theaterspielen selbst gehen – selbstironisch und voller Anekdoten aus dem eigenen Leben vor und hinter den Kulissen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Erfolgsgeschichten in Sachen Kultur und Kulturveranstaltungen waren jüngst kaum die Regel. Umso erfrischender, in diesem Januar mit gerade eintreffender x-ter Virus-Welle Menschen zu begegnen, die sich auf das Jahr freuen und viele Pläne im Gepäck haben. Pläne, die sich rund um zehn Jahre Theatertätigkeit spannen, konkreter: um Theater an einem festen Ort in Frauenfeld, der „Theaterwerkstatt Gleis 5“.

Eine Geschichte, die eigentlich schon vor 32 Jahren auf einem Schulhof in Romanshorn begann, wenn man es schmunzelnd betrachtet. Als nämlich die Viertklässler Simon Engeli und Giuseppe Spina sich begegneten – und sich nicht ausstehen konnten.

Bis sie dann doch Gemeinsamkeiten entdeckten. Beide kamen letztlich zum Theater, lernten bald Noce Noseda, Joe Fenner und Rahel Wohlgensinger kennen und waren dann in unterschiedlichen Konstellationen und Produktionen vor allem als Tourneetheater unterwegs.

Sichtbar sein und bleiben

Giueppe Spina erinnert sich: „Wir hatten eigentlich einen Ort gesucht für die Wiederaufnahme einer Produktion – die dann allerdings bis heute nicht gespielt wurde“.

2011 stiess die Truppe auf den ehemaligen Lokschuppen; bis 2012 wurde wurde umgebaut, und im Mai desselben Jahres war die erste Premiere.

„Jedes Projekt ist einzigartig.“

Simon Engeli (Bild: Brigitte Elsner-Heller)

„Wir schaffen Flüchtiges, Vergängliches, wir sind einer Live-Kultur verpflichtet“, sagt Spina. Als Tourneetheater verschwinde man daher immer wieder. „Seit wir den Ort – die Theaterwerkstatt – haben, bleiben wir sichtbar, auch wenn wir nicht vor Ort sind.“ Später wird Rahel Wohlgensinger den Gedanken weiterführen: „Auch wenn wir nicht so einen hohen Output haben, zieht das Publikum doch mit und ist interessiert. Das funktioniert einfach.“

Laster statt Velo?

„Im Italienischen gibt es die Redensart: 'Du wolltest das Velo, jetzt musst du auch in die Pedale treten'. Wir haben damals das Velo gesucht und einen Lastwagen gefunden“, formuliert Spina. Will sagen: Die Möglichkeiten waren nun zwar vielfältiger, aber der Umbau erforderte gleichzeitig finanzielle Mittel und mangels solcher viel Eigenleistung.

Bilderstrecke: Umbau der Theaterwerkstatt

Aber auch das funktionierte, und bis heute sind alle Beteiligten dabei geblieben, sie spielen und entwickeln spartenübergreifende Projekte in unterschiedlichen Formaten und Konstellationen, für Publikum aller Altersklassen. Vielfalt ist Programm, soll auch Programm bleiben.

Vor zwei Jahren ist die Kulturvermittlerin Judith Zwick dazu gekommen, die das ohnehin breite Spektrum um die Sparte Literatur erweiterte. Literatur gelesen, verhandelt, auch gespielt. Podcasts zu kulturellen und gesellschaftlichen Themen ergänzen das Angebot.

Das Jubiläumsstück

Zeit, ein Jubiläumsprogramm auf die Beine zu stellen. Tatsächlich wird es ein Jubiläumsstück geben, das bislang schlicht „Das Jubiläumsstück“ heisst und im Mai präsentiert wird. Und wer weiss, ob es nicht auch am Ende in überbordendem Understatement noch so heissen wird.

Schliesslich soll selbstironisch das Theaterspielen aufs Korn genommen werden. Der Blick hinter die Kulissen sollte amüsant werden: „Wir sammeln alle Theateranekdoten, die uns passiert sind“, sagt Simon Engeli zu dem Stück, bei dem Noce Noseda Regie führt.

Wie vor fünf Jahren, als anlässlich des damaligen Jubiläums „Die fürchterlichen Fünf“ auf dem Programm stand, werden alle nicht nur hinter den Kulissen tätig sein, sondern auch auf der Bühne stehen. Organisatorisch ist das zwar eine Herausforderung, aber beim Spass mit Musik wird keiner fehlen (ab 6. Mai).

Video: So berichtete arttv.ch 2017 über „Die fürchterlichen Fünf“

Open-Air-Theater: Her mit dem Grafen!

Noce Noseda ist auch der Mann fürs Sommertheater unter freiem Himmel, das nach zweijähriger Pause wieder im Greutherhof in Islikon unterkommt – was auch in den kommenden Jahren bis 2025 so bleiben soll.

Ab Mitte August werden etwa ein Dutzend Aufführungen nach Alexandre Dumas' Roman „Der Graf von Monte Christo“ zu sehen sein. Die Adaption für die Bühne stammt wiederum aus der Feder von Noseda.

„Wir schaffen Flüchtiges, Vergängliches, wir sind einer Live-Kultur verpflichtet.“

Giuseppe Spina (Bild: Brigitte Elsner-Heller)

Fünf Personen auf der Bühne (darunter Simon Engeli und Joe Fenner) müssen dann ausreichen, um die „20 Hauptpersonen“, wie Noseda verschmitzt sagt, lebendig werden zu lassen.

Episch, lustig und hochdramatisch findet er die Romanvorlage, mit der er es zu tun hat. Stücke selbst zu schreiben und zu inszenieren ist erklärtermassen Ehrensache für die Truppe.

Eine Bühne für die Literatur

Mit Judith Zwick kommt die Literatur ins Spiel. Mit drei Reihen ist sie an den Start gegangen, wobei zum einen Lesungen und Gespräche mit Autoren geplant sind, die sich schon ein Oeuvre erschrieben haben. Am 25. Februar wird Peter Stamm zu Gast sein, auf ihn folgt am 12. Mai Alex Capus.

In einer thematischen Reihe wird jeweils eine Expertenrunde über Literatur zu einem Thema sprechen. Am 20. März werden sich Nicola Steiner und Philipp Tingler mit dem Gesellschaftsroman auseinandersetzen.

Joe Fenner, der Mann, der auch oft mit Bühnenbildern beschäftigt ist, und Rahel Wohlgensinger, als Puppenspielerin schon lange „Frauchen“ von Haushund Monty. Bild: Brigitte Elsner-Heller

 

Thomas Sarbacher, vor Zeiten Ensemblemitglied am Theater Konstanz und heute in Zürich lebend, zeigt als „Gastgesicht“ seine Verbindung zur Literatur, die er szenisch umsetzt. Zwei Termine sind vorgesehen (11. und 13. März). Einmal geht es um die Lust am Theaterspielen ansich, dann präsentiert Sarbacher „Der Schreiber“ von Herman Melville, jene abstruse Weltverweigerungsposse, die in der wiederkehrenden Äusserung kulminiert: „I would prefer not to ...“ – bestimmt nicht der klassische Leitgedanke der Theaterwerkstatt!

Neu ist auch die „Edition Theaterwerkstatt Gleis 5“, die am 28. April im Rahmen einer Lesung vorgestellt wird. Der erste Band umfasst ein Essay von Usama Al Shamani. Nicht genug: Im Jubiläumsjahr werden zehn Podcasts produziert, in denen es rund um Theater, Kultur und Gesellschaft gehen soll.

Der „böse“ Wolf?

Eine Produktion in einer italienischen und einer deutschen Version denkt Noce Noseda für den Herbst noch an, wobei der Schwerpunkt auf Bewegungstheater liegt. Arbeitstitel: „Na dann Gute Nacht!“ (ab Ende Oktober).

Nochmal um die grossen Tiere geht es zum Jahresabschluss, nämlich um den Wolf. In der Regie von Simon Engeli werden Rahel Wohlgensinger und Giuseppe Spina die Beziehung zwischen Wolf und Mensch oder auch zwischen Hund und Mensch spielerisch, dabei aber durchaus mit Hintergrund aufdröseln. Das Stück ist für Menschen ab zehn Jahre angedacht, denn es soll angstfrei zugehen.

„Das Publikum zieht mit und ist interessiert.“

Rahel Wohlgensinger (Bild: Brigitte Elsner-Heller)

Nach dem grossen Erfolg von „Biber the Kid“ wird das Thema Umwelt und Natur also weitergeführt. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass es durchaus Widersprüche im Umgang mit Tieren und der Natur gibt. Auch dieses Stück, das indoor gespielt wird (wegen der winterlichen Kälte!), wird natürlich selbst geschrieben. Ende November könnte der Wolf dann zu heulen anfangen. Ob Haushund Monty dann am Ende mitheult?

Einzigartig

Zehn Jahre Theaterwerkstatt Gleis 5, das sollen insgesamt 70 Veranstaltungen werden im Jubiläumsjahr. Ein stolzes Ziel, dem hoffentlich kein wie auch immer geartetes Virus die Show stehlen wird. Zumal man noch das Foyer umbauen will, damit das Publikum auch noch einen schönen Ort hat, um im Gespräch zu bleiben.

Und sonst? „Wir wollen beispielsweise keine Jahresthemen, sondern wollen bei der Vielfalt bleiben und nicht das Offensichtliche nehmen“, sagt Giuseppe Spina. Und Simon Engeli, der Feind vom Pausenhof, ergänzt: „Jedes Projekt ist einzigartig.“

Mit guter Laune und vielen Plänen ins Jubiläumsjahr: Noce Noseda, Judith Zwick, Rahel Wohlgensinger, Giuseppe Spina und Joe Fenner (von links). Simon Engeli ist gerade im „Off“. Bild: Brigitte Elsner-Heller

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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