von Brigitte Elsner-Heller, 15.08.2022
Offene Rechnungen
Der Graf von Monte Christo übt im Greuterhof in Islikon Rache für 16 Jahre Kerkerhaft. Und das erstaunlich locker und unterhaltsam. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Das Leben ist ein ruhiger Fluss – zumindest, wenn das Glück einem hold ist. Und doch ist es so, dass ein beschauliches Dasein meistens wenig dazu taugt, zwischen Buchdeckeln ausgebreitet zu werden (nur die grossen Meister dürften das gewagt haben). Noch weniger in einer Zeitung.
Alexandre Dumas wusste das zu nutzen und schuf 1844–46 im „Le Journal des débats“ mit „Der Graf von Monte Christo“ eine Fortsetzungsgeschichte, die, wen wundert es, mit ihrem Erfolg auch immer länger wurde. Und verschlungener.
Aus dem Seemann Edmond Dantès, der unschuldig sechzehn Jahre eingekerkert war, wird dabei der Graf von Monte Christo, wird kurzzeitig ein Priester, auch Sindbad, der Seefahrer.
Intrigen wohin man schaut
Der jugendliche Zeitgenosse Fernando Mondego wird im Verlauf der Geschichte zum Grafen von Moncerf, aus einem weiteren, dem Rechnungsführer Danglar, ein reicher Bankier.
Zu nennen wäre da noch der Staatsanwalt von Marseille, Gérard de Villefort. Er ist wie die beiden zuvor Genannten an der Intrige gegen den jungen Seemann massgeblich beteiligt und steigt zum Staatsanwalt in Paris auf.
Veritable Karrieren mithin auf der Täterseite. Da sollte sich das Schicksal doch endlich mal aufbäumen.
Viele Figuren, aber nur eine Bühne
Wem das jetzt schon zu viel an Personal war, dem sei sogleich versichert, dass Alexandre Dumas noch einiges mehr an Figuren aufzubieten hat. Zunächst einmal braucht es für eine veritable Aufstellung wenigstens noch eine Liebesgeschichte, die erwähnt werden muss, wobei Mercedes ins Spiel kommt. Und nicht nur die, sondern auch noch … aber lassen wir diese „Feinheiten“ vorerst.
Was also tun, wenn man das alles auf eine Bühne bringen will? Dass der originale Text ordentlich durch die Mangel gedreht werden muss, ist sonnenklar. Aber dass sich jemand tatsächlich an diese Arbeit macht, schon weniger.
Der Regisseur als Abenteurer
Doch Dramaturg und Regisseur Noce Noseda war wohl Abenteurer genug, um den literarischen Koloss für die Sommerproduktion der Theaterwerkstatt Gleis 5 einzurichten. Und er hat darüber hinaus den Mut aufgebracht, das Ensemble aus fünf Person abwechselnd in sämtliche anfallende Rollen zu stecken.
Auf einem schlichten Bretterboden im Greuterhof in Islikon. Kann das denn überhaupt gutgehen? Braucht es da denn nicht eine ordnende Hand?
Weniger ist mehr
Noce Noseda weiss um die Grundgesetze des Theaters. Denn runtergebrochen auf den reinen Handlungsstrang wäre die Geschichte recht eindimensional und liesse kaum Raum für Fantasie. Bei der Premiere im Greuterhof wurde dennoch aus gutem Grund am „Drumherum“ gespart, so dass die Konzentration auf die wechselnden Figuren und ihre jeweilige Erzählung gelegt wurde.
Die wiederum schafft den Raum, der die Handlung dann doch tanzen lässt. Keinesfalls trocken kam das also daher, was an den Schauspielerinnen und Schauspielern sowie am ausgefeilten Sounddesign und den live dargebotenen Kompositionen von Morten Qvenild lag.
Was Theater alles kann
Aber auch an den offen stattfindenden Wechseln von Kostümen und den federleichten „Umbauten“. Ein Blick hinter die Kulissen sozusagen, mit dem gezeigt wird, was Theater ist und kann, wenn es Geschichten erzählt.
Suramina Vos, Christina Spaar, Florian Steiner, Josef Mohamed und Joe Fenner waren dabei zu jedem Zeitpunkt als ausdrucksstarke, lebendige Akteure zu erleben, die dem Spiel Dramatik, aber auch viel an verschmitzter Heiterkeit gaben.
Mit Atmosphäre in den Kerker
Als der noch unbefangene Seemann Edmond Dantès mit dem Frachtschiff Pharao in den Hafen von Marseille einläuft, knarren Planken und dicke Taue, während der Schiffseigner die Ankunft des Schiffes erwartet.
Zum Verhängnis wird Dantès ausgerechnet seine Treue zum verstorbenen Kapitän der Pharao, für den er Napoleon, der in Verbannung auf Elba sitzt, eine Nachricht überbracht hat. Und die Tatsache, dass er selbst zum Kapitän ernannt wird.
Die Flucht gelingt spektakulär
Die schöne Mercedes ist das I-Tüpfelchen, das die Neider auf den Plan ruft. Der Staatsanwalt, dessen Vater Bonapartist ist, fürchtet um seine Karriere und schwupps ist ein Platz im Kerker für den Seemann gefunden. Hier tröpfelt nun Wasser, und eines Tages (es sind schon vier Jahre vergangen) taucht plötzlich der weise alte Faria, der in der Nachbarzelle sein Dasein fristet, neben Dantès auf.
Einen weiteren Tunnel nach draussen werden sie indes nicht mehr fertigstellen, dafür gelingt Dantès aber nach dem Tod des Freundes spektakulär die Flucht. Zudem wird er unermesslich reich, so dass er seine Rachepläne als Graf von Monte Christo nicht nur reifen lassen, sondern auch umsetzen kann.
Rache 1, Rache 2, Rache 3
Bis hierhin ist die Geschichte mit grossem Unterhaltungswert, mit Blick auf Details und Tempowechsel umgesetzt. Von dieser Arbeitsweise wird auch in den weiteren Teilen nicht abgewichen, keine Abnutzungs- oder Ermüdungserscheinungen sind erkennbar beim Ensemble, das mit Ruhe und Selbstverständlichkeit spielt, als sei eine Premiere eine tägliche Angelegenheit.
Einzig Dumas' Erzählung selbst macht es den Theatermachern zunehmend schwer, sich durch die verschlungenen Pfade zu arbeiten. Zusätzlich zu den drei Männern, die dem Rächer nicht entgehen sollen, kommen noch deren Nachkommen ins Spiel, weitere Liebesgeschichten und Gift. Das kann schon ein bisschen überfordern.
Zumal das Prinzip, die Intriganten zu strafen und die „Guten“ zu belohnen, durchschaubar ist. Ob Noce Noseda hier noch mehr als ohnehin schon hätte streichen können, ist nicht leicht zu beantworten.
Und dann der Rest
Erinnern wir uns also an die überschaubareren Szenen und deren Umsetzung. An den weisen Faria etwa, der im Kerker durch den Tunnel kriecht und – Jahre später – stirbt. Oder an die heiteren Szenen im Wirtshaus, wo Freund Caderousse nicht nur Wirt, sondern auch sein bester Kunde ist.
Wie es ausreicht, einen schwarzen Tisch und ein, zwei schwarze Stühle nur zwei Meter weiter zu rücken, um aus dem Wirtshaus eine Kanzlei zu machen. Erinnern wir uns auch an das gigantische Platschen, als Dantès an Stelle des toten Faria vom Chateau d'If aus ins Meer geworfen wird. Schauen wir einfach zu, wie Theater zeigt, was Theater ausmacht.
Video: Trailer zur Inszenierung
Weitere Aufführungen & Ticketvorverkauf
Das Stück wird bis zum 27. August gespielt - jeweils dienstags bis samstags. Beginn jeweils 20.15 Uhr.
Tickets gibt es über die Website des Theaters.
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